Interview mit Ruth Martin, Gewerkschaft Kunst, Kultur, Medien der DDR
Zusammen mit der IG Medien . . .
Zu den DDR-Gewerkschaften, die einen Zusammenschluss mit Gewerkschaften der Bundesrepublik vorbereiten, gehört die Gewerkschaft Kunst, Kultur, Medien mit ihren rund 65 000 Mitgliedern. Zu einigen Hintergründen haben wir in Berlin die Gewerkschaftsvorsitzende Ruth Martin befragt
UZ: In einem Leitbeschluss zum Zusammenschluss Ihrer Gewerkschaft mit der IG Medien in der Bundesrepublik ist unter anderem davon die Rede, eine "echte Interessenvertretung" anzustreben und eine "Kampforganisation" sein zu wollen. Was meinen Sie damit?
Ruth Martin: Wir haben bisher eine Gewerkschaftsarbeit gemacht, die im wesentlichen soziale Aspekte zum Inhalt hatte. Wir haben Ferienplätze verteilt, uns um Kindergeld und Krankengeld gekümmert, hier eine Zuwendung veranlasst dort etwas gegeben usw. Das alles geschah unter Bedingungen einer zentralistischer Planwirtschaft. Alle unsere Mitwirkungsrechte waren auf diese Planwirtschaft projiziert. Kampfmaßnahmen, gar Streiks, das waren Begriffe die uns zuallerletzt über die Lippen gekommen wären. Nun wird dieses Planwirtschaftssystem angeschafft. Es entstehen andere Produktionsbedingungen, die auf Effizienz ausgerichtet sind. Effizienz unter Verhältnissen die das Kapital bestimmt.
Wir haben jetzt dafür zu sorgen, dass Marktwirtschaft sozial wird, dass ökologische Erneuerung in ihr möglich ist und - das ist nie erwähnt worden - dass sie auch kulturvoll sein muss. Ich muss Ihnen nicht erzählen, dass diese Ansprüche nicht mehr mit einer Gewerkschaftsarbeit durchzusetzen sind wie ich sie eben beschrieben haben. Hier ist im Grunde täglich neu probierte uni erlebte Solidarität notwendig.
Solidarität stand bei uns als Begriff hauptsächlich für Hilfe auf internationaler Ebene. Jetzt ist damit auch Hilfe für den Nachbarn, Solidarität für den Erhalt und die Gestaltung seines Arbeitsplatzes gemeint, um ein Beispiel zu nennen.
UZ: Ihre Gewerkschaft verbindet strukturelle und inhaltliche Veränderungen mit Kritik am FDGB.
Ruth Martin: Was den FDGB betrifft so ist meines Erachtens nicht richtig rübergekommen, dass er sich erneuert und entsprechend ist das Verhältnis vieler Mitglieder ihm gegenüber. Es gab vereinzelt Austritte viel mehr aber auch Protest in der Form, dass Mitgliedsbeiträge nicht mehr abgeführt wurden. (Mitgliedsbeiträge von Einzelgewerkschafter wurden in der DDR zentral vom FDGB eingezogen d. Red.) Wer wirklich überzeugt ist von der Arbeit einer Organisation, der hält keine Mitgliedsbeiträge zurück. Das sind also sichtbare Zeichen eines nicht mehr abzubauenden Misstrauens gegenüber dem FDGB. Die Zweifel an der Erneuerung des Verbandes kamen bei vielen Mitgliedern auch, weil sie gesehen haben, dass auf vielen gewerkschaftlichen Ebenen immer noch die alten Funktionäre sitzen. Wie sollen – und dies ist nicht einem als Vorwurf gedacht – Funktionäre eine neue Politik betreiben, die zuvor bis zu 40 Jahre auf eine bestimmte Linie festgelegt waren.
UZ: Es ist beschlossen Sache, dass Ihre Gewerkschaft den Zusammenschluss mit der IG Medien in der Bundesrepublik durchführen wird. Welche Erwartungen haben Sie an die IG Medien und an den dann für Sie neuen Dachverband DGB?
Ruth Martin: Die IG Medien ist ja eine kampferfahrene und streikbereite Gewerkschaft. Das ist bekannt. Sie haben ja kürzlich mit dem erfolgreichen Redaktionsstreik die Lorbeeren eingesammelt. Wenn auf solche Weise auch Solidarität und Erfahrung mit und für die Kollegen der DDR rüberkommt, könnte für uns doch eine Menge herausspringen.
Was den DGB betrifft, bin ich persönlich nicht ganz so optimistisch. Ich denke da zum Beispiel an das dort in Vorbereitung der Zusammenschlüsse entstandene Strategiepapier, indem festgelegt wird, wie mit den DDR-Gewerkschaften umzugehen ist. Franz Steinkühler hat dazu ein Interview gegeben, das an Klarheit nichts zu wünschen übrig lässt. Und diese dinge sind für uns nicht gerade positiv. Ich meine besonders die ständigen Vorwürfe an die DDR-Gewerkschaften, sie seien unfähig und könnten sich nicht erneuern. Immer noch wird uns gegenüber ein Vokabular benutzt, wie SED-Funktionäre oder Stasi-Angehörige und dergleichen mehr. Das muss doch langsam mal aufhören. Das ist kein guter Stil. Wer immer nur mit Schuldzuweisungen arbeitet, schwächt den Erneuerungsprozess an satt ihn zu stärken.
UZ: Zur anderen Seite, dem Kapital, das ja in Ihrem Lande fleißig Einzug hält. Welche Konfliktfelder erwarten Sie?
Ruth Martin: Sicher kann man in unserer neuen Situation nicht mehr von Kooperation ausgehen. Wer die Wirkungsweise von Kapital kennt, muss durchaus von Gegnerschaft sprechen. Wir müssen mit allen Mitteln Gesetze und Regelungen ertrotzen, die humane Bedingungen in der Arbeitswelt ermöglichen können und müssen. Die Tradition der westlichen Gewerkschaften zeigt uns, dass dies kein leichter Weg sein wird. Wie oft sind sie auf die Straße gegangen, haben sie gestreikt und oftmals ohne Erfolg.
Nun bekommen wir hier einen hochqualifizierten Mechanismus übergestülpt und haben überhaupt keine Erfahrungen damit umzugehen. In dieser Situation wäre es sträflich einen falschen Ehrgeiz zu entwickeln und zu meinen, wir könnten das zustande bringen was andere mit langjähriger Erfahrung noch nicht geschafft haben.
UZ: Der enge Zeitrahmen für den Zusammenschluss wird sicher von den rasanten Veränderungen in der DDR diktiert. Dennoch bleibt die Frage, ob die Basis diesen Prozess inhaltlich so schnell mitvollziehen kann.
Ruth Martin: Man muss davon ausgehen, dass die Mehrzahl unserer Mitglieder zu denen gehört, die am 18. März die Volkskammer mitgewählt haben und sich mehrheitlich für eine schnelle Einheit entschieden haben. Insofern ist große Aufklärungsarbeit sicher nicht erforderlich. Diesen Willen vollziehen wir in Grunde mit dem Zusammenschluss auf unserer Ebene. Weitaus schwieriger ist es allerdings, eine Haltung zu dem herzustellen, was an neuen Verhältnissen kommt. Eine solche Haltung muss entwickelt werden. In den Betrieben entsteht beispielsweise eine Erwartungshaltung gegenüber und Gewerkschaften, eine Ausbesserung des Staatsvertrages durchzusetzen. Das können die Gewerkschaften aber gar nicht und dazu sind sie auch gar nicht da. Wir werden hier für etwas in die Pflicht genommen, was man den Politiker gegenüber versäumt hat, nämlich diese zu zwingen, bessere Bedingungen auszuhandeln als das was uns da jetzt über den Tisch gereicht wurde.
UZ: Noch einmal zum Thema Vergangenheitsbewältigung. Berührt Sie der Volkskammerbeschluss, das Vermögen der früheren Blockparteien und Verbände unter Staatsaufsicht zu stellen und – was für die PDS real ist – diese gegeben falls zu enteignen?
Ruth Martin: Ich halte diesen Beschluss im höchsten Maße für unmoralisch. Unabhängig davon, dass er auch auf unsere Gewerkschaft Auswirkungen haben kann. Was dort in der Volkskammer passiert ist, das hat mit wirklicher Demokratie nicht zu tun. Hier scheint mit parteitaktisches Kalkül im Vordergrund gestanden zu haben. Enttäuschend ist für mich auch, dass sich die SPD (West, d. Red.) dazu hergegeben hat, so etwas zu initiieren. Ich ersehe nicht die Tradition der SPD und ihre Gewerkschaftsnähe, aber wie kommt die SPD eigentlich dazu, sich zum hohen Richter über die Bürger der DDR aufzuspielen? Das finde ich ungeheuerlich. Was an Vergangenheit in diesem Land aufzuarbeiten ist - und das ist gewiss eine Menge - muss von unserem Land' selber ausgehen. Es ist ja bereits viel geschehen, wenn ich an die Bürgeraktionen zur Stasi.Auflösung denke oder an die Arbeit der Runden Tische. Aber die sind nicht so weit gegangen, die Enteignung zu fordern.
Das Gespräch führte Reinhold Schlitt
unsere zeit, Fr. 15.06.1990