Gewerkschaft Deutscher Lokführer und Anwärter
Bald Beamte auf der Lok
Noch im Juli Tarifverhandlungen mit der Generaldirektion der Deutschen Reichsbahn
Ohne eigene Gewerkschaft sahen sich die Lokführer der DDR in 40 Jahren Deutscher Reichsbahn. Seit Januar dieses Jahres nun existiert die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer und Anwärter (GDL) wieder zwischen Stralsund und Zwickau, Eisenach und Frankfurt (Oder). 1867 gegründet, ist die GDL die älteste deutsche Berufsgewerkschaft. Unter den Nazis verboten, gründele sie sich nach dem Krieg nur im Westteil Deutschlands wieder. In der DDR dauerte es bis zum 24. Januar 1990, ehe die Lokführer vom Bahnbetriebswerk Halle die Initiative ergriffen.
Waren es im März noch 20 Prozent, so sind heute bereits 80 Prozent der über 17 000 DDR-Lokführer in der GDL vereint. Inzwischen haben sich 89 Ortsgruppen gebildet Angesichts dieser Zahlen scheint die GDL unanfechtbar. Doch zum Teil harte Auseinandersetzungen mit der Reichsbahndirektion sowie mit gewerkschaftlicher Konkurrenz aus dem Eisenbahnerlager machten die Aufbauarbeit alles andere als leicht. Hinzu kam, dass vielen Erstmitgliedern der jungen Gewerkschaft in der DDR die blauen Briefe angedroht wurden.
Mit der Übernahme in den Beamtenstatus Welten sich die Lokführer den Wunsch nach Unkündbarkeit erfüllen. Bis jedoch das Beamtenrecht in der DDR eingeführt wird, handelt die GDL noch im Juli Tarifverträge mit der Generaldirektion der Deutschen Reichsbahn (DR) aus. Ein breiter Forderungskatalog sieht unter anderem zweimalige Gehaltserhöhungen von 200 Mark, die Zahlung des 13 Gehalts, Wahl von Personalräten sowie die unbedingte Beibehaltung der vorerst gültigen Freifahrtsordnung vor. Für die Durchsetzung dieser Forderungen hat die GDL auch einige Reserven in der Hinterhand. Wenn der designierte GDL-Vorsitzende Georg Beck aber meint, "wir haben dem Verkehrsministerium mitgeteilt, dass wir die Räder still stehen lassen könnten, wenn . . .‚ dann sind das eher Drohgebärden, die sieh für künftige Beamte wohl nicht ziemen. Die Partner von der BRD-GDL heben sich an diese Ohnmacht aber bereits gewöhnt, und Manfred Schnell, Bundesvorsitzender der GDL (BRD), begründet auch, warum: "Der Beamtenrock ist eng, aber er hält warm."
Auf die Eisenbahner wartet viel Arbeit, die Jahre der Vernachlässigung haben viele Schäden hinterlassen. Die Sanierung der Reichsbahn, schätzt der Vorstand, werde 100 Milliarden Mark kosten. Ziel der GDL ist es dennoch, das Verkehrsaufkommen in der DDR zu 80 Prozent auf der Schiene zu belassen und einen "Verkehrsinfarkt", wie so in der BRD durch übermäßigen Straßenbau nach dem Kriege entstand, zu verhindern.
(Bei Redaktionsschluss dauerte die Generalversammlung noch an).
Hagen Wangemann
Tribüne, Do. 05.07.1990