Erklärung der amtlichen sowjetischen Nachrichtenagentur TASS:

"Am 10. Februar hat im Kreml ein Treffen Michail Gorbatschows mit dem Kanzler der Bundesrepublik Deutschland Helmut Kohl, stattgefunden. Obwohl dieses Treffen in eine: wesentlich anderen Situation stattfand, ist es doch mit den Ergebnissen der vorangegangenen Treffen in Moskau und in Bonn unmittelbar verbunden und stützte sich auf ausnahmslos alle prinzipiellen Festlegungen der im Juni vergangenen Jahres unterzeichneten gemeinsamen sowjetisch-bundesdeutschen Erklärung. Die Begegnung verlief in einer Atmosphäre des bereits früher erzielten tiefen gegenseitigen Verständnisses und Vertrauens sowohl in politischer als auch persönlicher Hinsicht.

Wir leben in einer Zeit, sagte Michail Gorbatschow, in der wir ständig Kontakt halten müssen. Der Bundeskanzler hat recht, wenn er sagt, dass alles, was zu tun ist, ausgehend von Geist und Buchstaben der gemeinsamen Erklärung getan werden muss.

Es war ein offenes und inhaltsreiches Gespräch, im vollen Bewusstsein der Verantwortung des Augenblicks und der Bedeutung aller Entscheidungen, die nach einem derartigen Austausch von Gedanken und Einschätzungen des Verlaufs gegenwärtiger Ereignisse getroffen werden können. Die Erörterung verlief in zwei Bahnen, entsprechend den beiden untrennbar miteinander verbundenen objektiven Prozessen. Die deutsche Frage ist auf heutigem Niveau nur im Kontext der gesamteuropäischen Entwicklung und unter Berücksichtigung der Sicherheit und Interessen der Nachbarn wie auch der anderen Staaten Europas und der Welt lösbar.

Michail Gorbatschow konstatierte - und der Bundeskanzler stimmte ihm zu - dass es derzeit zwischen der UdSSR, der BRD und der DDR keine Meinungsverschiedenheiten dahingehend gibt, dass die Deutschen die Frage der Einheit der deutschen Nation selbst entscheiden müssen und sie auch selbst ihre Wahl bestimmen müssen, in welchen staatlichen Formen, in welchen Zeiträumen, wie schnell und unter welchen Bedingungen sie diese Einheit realisieren werden.

Michail Gorbatschow berief sich dabei auf sein kürzliches Gespräch mit dem Vorsitzenden des Ministerrates der DDR, Hans Modrow. Insbesondere hob er hervor, dass alle Deutschen im Osten wie im Westen diese Position der Sowjetunion kennen müssen. Bei der Lösung ihrer nationalen Fragen dürfen sie aber nicht die Realitäten vergessen, dass es einen Krieg gab, der, wie auch die Nachkriegszeit, ein Erbe hinterlassen hat. Zur Zeit überdenken wir das alles gründlich. Wir sind von der Konfrontation abgegangen, der europäische Prozess entfaltet sich, und die deutsche Annäherung darf den hier bereits erzielten positiven Ergebnissen, den Ost-West-Beziehungen insgesamt, keinen Schaden zufügen, darf das europäische Gleichgewicht nicht stören.

Im Gegenteil, sagte Michail Gorbatschow, sie kann und muss sich so vollziehen, dass sie ein Beitrag zur konstruktiven gesamteuropäischen Entwicklung ist. Deshalb ist nur eine solche Politik akzeptabel, die allen Realitäten und eventuellen Folgen Rechnung trägt - den innenpolitischen, außenpolitischen, wirtschaftlichen und natürlich der psychologischen Reaktion sowohl der Deutschen als auch der in anderen Ländern, insbesondere derjenigen, die am Krieg beteiligt waren.

Die Lösung der deutschen Frage ist nicht zu trennen vom Erfolg der Verhandlungen über Abrüstung in Europa, von der sich verändernden Rolle der beiden militärpolitischen Bündnisse sowie von den Fragen, die mit der Präsenz ausländischer Truppen auf dem Territorium europäischer Staaten verbunden sind.

Helmut Kohl bekräftigte die feste Entschlossenheit der Deutschen, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen darf. Er verstärkte diese Aussage sogar noch: 'Von deutschem Boden darf nur noch Frieden ausgehen.'

Bei der Errichtung der deutschen Einheit, stellte Michail Gorbatschow fest, und beim Finden eines neuen Platzes in der europäischen und in der internationalen Struktur durch die Deutschen müssen die grundlegenden Realitäten der neuen Zeit stets berücksichtigt werden. Ich habe schon vor langem gesagt, dass die Geschichte die deutsche Frage lösen wird. Nun hat sie ein unerwartetes Tempo angeschlagen. Wir müssen sehr ausgewogen handeln und dabei die wirklich historischen Kriterien berücksichtigen. In der neuen Situation muss so zusammengearbeitet werden, dass das erzielte gegenseitige Einvernehmen auf staatlicher Ebene nicht nur nicht gestört, dass dem neuen Charakter der Beziehungen zwischen dem deutschen und dem sowjetischen Volk nicht nur nicht geschadet wird, sondern so, dass diese Beziehungen entwickelt und bereichert werden.

Die Gesprächspartner einigten sich darauf, ihr umfassendes, offenes und fruchtbares Vier-Augen-Gespräch, das sie länger als zwei Stunden führten, fortzusetzen, auch im Kontakt mit den anderen interessierten Seiten, vor allem mit den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich. Die Dynamik der Ereignisse fordert das mit Nachdruck.

Den Hauptteil des Gespräches abschließend, sagte der Bundeskanzler: 'Wir waren uns in Bonn einig, dass wir ein neues Kapitel in unseren Beziehungen eröffnen, und jetzt ist klar, dass die Notwendigkeit, gerade in diesem Geiste zusammenzuarbeiten, nicht kleiner, sondern größer geworden ist.' Michail Gorbatschow stimmte dem zu und stellte fest, dass es in der gegenwärtigen, außerordentlich verantwortungsvollen Etappe vor allem darauf ankommt, das Zusammenwirken zu verstärken, Vertrauen zu mehren, die erreichten Vereinbarungen strikt einzuhalten und unverzüglich miteinander in Kontakt zu treten, wenn die Lage dies erfordert.

Danach kam es zu einem erweiterten Gespräch, an dem auch Eduard Schewardnadse und Hans-Dietrich Genscher teilnahmen. Letzterer informierte über seine Gespräche mit Schewardnadse, die parallel verlaufen waren. Zusammenfassend wurde festgestellt, dass der Besuch außerordentlich zeitgemäß und nützlich war. Es kommt darauf an, dass zwischen der UdSSR und der BRD völlige Klarheit in Bezug auf die deutschen Angelegenheiten und die Schlüsselprobleme der europäischen und internationalen Politik herrscht."

TASS, Moskau, nach einer Übersetzung der DDR-Nachrichtenagentur ADN, Berlin vom 10. Februar 1990

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