Berlin, den 08.01.1990
Arbeitsgruppe Werk 1 BAE
Konzeption zur Bildung eines Betriebsrates
Der Betriebsrat - die Volkskammer des Betriebes
In letzter Zeit gab es in der Presse Beiträge, die meiner Meinung nach die Vorstellungen über die zu schaffenden Betriebsräte nur ungenügend darstellten. Dort wurden vor allen Dingen Vergleiche mit gleichnamigen Gremien in der BRD gezogen, ohne zu beachten, dass es sich in der DDR um volkseigene, in der BRD aber zum größten Teil um privatwirtschaftliche Betriebe handelt, und damit die Ausgangsbasis eine grundverschiedene ist. Diesen Punkt besonders herauszuarbeiten ist deshalb so wichtig, weil er erst unsere Forderung klar verständlich macht. Der Betriebsbelegschaft muss gezeigt werden, dass ihre Meinung gefragt ist und die Betriebsleitung nicht in der Lage ist an einer mehrheitlichen Meinung der Belegschaft vorbeizuentscheiden. Nur so können wir wieder Interesse und Engagement der Belegschaft an betrieblichen Problemen entwickeln. Profitieren würde davon nicht nur die Mehrheit der Arbeiter und untergeordneten Angestellten, sondern natürlich auch die Betriebsleitung, die ihre Vorstellungen allseitig beleuchtet sieht und damit in Zusammenarbeit der Betriebsleitung mit den Betriebsrat effektiver entschieden werden kann. Das würde bedeuten, dass viele Probleme in Vorfeld geklärt werden können und damit nicht mehr das Betriebsklima vergiften. Nur wenn der Betriebsrat das letzte Wort hat, nur dann können wir erhoffen, dass sich echtes Eigentümerbewusstsein gegenüber dem Volkseigentum entwickelt. Noch besteht aber ohne einen Betriebsrat die Möglichkeit, dass der Betriebsdirektor seine Entscheidung in aller Stille gegen die Meinung der Mehrheit der Belegschaft trifft, denn er wird nicht demokratisch gewählt, sondern eingesetzt. Wie kann die Belegschaft also sicher gehen, ohne einen Betriebsrat?
Des Weiteren wurden Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Betriebsrat und der Gewerkschaft, bzw. ein Wertigkeitsverlust der Gewerkschaft durch Einschränkung ihrer Aufgaben befürchtet. Dazu möchte ich unsere Auffassung klar zum Ausdruck bringen.
In einer Zeit, in der wichtige wirtschaftliche Entscheidungen anstehen, zeigt sich die Gewerkschaft durch die vorangegangenen Ereignisse nicht unbedingt in Zenit ihrer Nicht. Außerdem repräsentiert sie aus demselben Grund nicht unbedingt den überwiegenden Teil der Belegschaft, und hat damit natürlich auch nicht unbedingt das Mandat der Belegschaft. Da die Gewerkschaftsmitgliedschaft kein Hinderungsgrund für eine Betriebsratmitgliedschaft ist, wird sich die dementsprechende Stärke der Gewerkschaft auch in Betriebsrat ausdrücken. Für die Gewerkschaft wird es noch eine Menge Arbeit bedeuten, bis sie zu der Macht gelangt, die sie fordert. Das Gewerkschaftsgesetz ist erst der eine Teil der Arbeit, nach dessen Verabschiedung es erst richtig losgeht, nämlich durch die gute Umsetzung der dann existierenden gesetzlichen Grundlagen zu zeigen, dass es mit der Gewerkschaftsarbeit wieder voran geht. Dann wird auch wieder durch steigende Mitgliederzahlen die Macht der Gewerkschaft sichtbar. Doch bis dahin müssen wir, in dieser doch recht unsicheren Zeit, einen direkteren Weg wählen, um unsere Interessen wirksam schützen zu können. Diesen berechtigten Anliegen soll der Betriebsrat dienen.
Der Betriebsrat - Vorstellungen zu einem Gremium
Um eine allseitige Vertretung der Belegschaft zu sichern, wird der Betriebsrat demokratisch von der Belegschaft gewählt. Der Betriebsrat soll paritätisch zusammengesetzt sein und das in zweierlei Hinsicht:
- Alle großen Bereiche laut Betriebsstruktur müssen vertreten sein z.B. die großen Prod.-Bereiche (Blei, Rundzelle, alkal. Akkus.) aber auch Ökonomie, Technik, Absatz, Grundfond, Hauptbuchhalter / Material
- Gleichzeitig müssen auch alle Klassen und Schichten entsprechend ihrem Anteil an der Belegschaft vertreten sein. Das macht eine Quotierung notwendig
- Der Betriebsrat soll eine Gesamtmitgliederzahl von 12 Kollegen nicht überschreiten (entspricht etwa einen Vertreter auf 100 Kollegen)
- Die Mitglieder des Betriebsrates sollen in den Bereichen kompetent sein, aus denen heraus sie gewählt wurden, gleichzeitig aber auch ein echter Vertreter ihrer Klasse bzw. Schicht sein.
Alle vorab genanten Dinge müssen in einem Betriebsstatut geregelt sein.
Das Betriebsstatut - die Grundlage der Arbeit des Betriebsrates
Das Betriebsstatut stellt eine augenblicklich noch freiwillige (bis zur Schaffung eines Betriebsverfassungsgesetzes) Abmachung der Betriebsleitung mit der Belegschaft dar in der Folgendes verankert werden soll:
- Wahlordnung, um eine demokratische Wahl des Betriebsrates und dessen paritätische Zusammensetzung zu gewährleisten
- Zusammensetzung des Betriebsrates (Quotierung)
- Festlegung der Wahlperiode
- Abgrenzung der Zuständigkeiten des Betriebsrates
- wichtige Strukturveränderungen
- große Investitionsvorhaben
- Kooperationsvorhaben, bzw. Austritt aus solchen Verträgen
- Rationalisierungsmaßnahmen größeren Umfangs
- Umfangreiche Kreditaufnahmen
- Vorhaben im Zusammenhang mit ausländischen Firmen
- Entscheidungskompetenzen des Betriebsrates (Verbindlichkeit für die Betriebsleitung)
- Möglichkeiten des Betriebsrates zur Entscheidungsfindung
- Einforderung von Konzepten der Leitung zu Sachthemen
- Einholen von Expertenmeinungen (betrieblich und unabhängig)
- Einberufen von Arbeitsgruppen zu Sachthemen
- Allgemeine Diskussion der Belegschaft bei grundsätzlichen Veränderungen im betrieblichen Bereich
- Abwägen der Interessen der einzelnen Struktureinheiten
- Unterstützung der Betriebsratsmitglieder bei der Ausübung ihrer Tätigkeit durch den Betrieb, vor allen Dingen um Arbeiter in dieser Funktion nicht zu benachteiligen
- finanzielle Absicherung der Betriebsratsmitglieder bei notwendigen Arbeiten innerhalb der Arbeitszeit durch den Betrieb
- Rechenschaftspflicht des Betriebsrates gegenüber der Belegschaft
- Informationspflicht des Betriebsrates gegenüber der Belegschaft, insbesondere der einzelnen Mitglieder gegenüber dem Teil der Belegschaft, von dem sie ihr Mandat erhielten, beim Anstehen grundsätzlicher Entscheidungen, um eine demokratische Meinungsfindung zu ermöglichen
Ein solches Betriebsstatut soll überall in Betrieb diskutiert, Vorschläge sollen eingebracht und nach dessen bestmöglichster Erarbeitung durch eine Vollabstimmung angenommen werden.
Danach erfolgen dann die Wahl und die Konstituierung eines Betriebsrates.
Die Betriebsleitung ist von diesem Projekt informiert worden. Man hat uns versichert, dass ein Betriebsrat als zeitgemäß und richtig angesehen wird.
Wir wollen nochmals darauf verweisen, dass wir den Betriebsrat nicht als Konkurrenzgremium zur BGL sehen. Der Betriebsrat soll sein Mandat von möglichst allen Belegschaftsmitgliedern erhalten, auch von den anders oder nicht organisierten Beschäftigten. Die Gewerkschaft in ihrer jetzigen Krise, mit dem damit verbundenen Vertrauensverlust, kann sich augenblicklich wohl kaum die Alleinvertretung der Belegschaft anmaßen. Sie ist aber herzlich eingeladen an den Projekt Betriebsrat mitzuarbeiten, um so den ihrer augenblicklichen Kraft entsprechenden Einfluss auf dieses Gremium auszuüben.
Wir wollen die Zusammenarbeit mit allen Kräften des Betriebes, um so schnell wie möglich den Betrieb wieder flott zu bekommen, in Interesse der Mehrheit der Belegschaft.
Dieses Papier soll lediglich ein Arbeitspapier sein, welches als Grundlage zur Diskussion dienen soll. Es erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und absolute Richtigkeit.
Helft uns zu einer gemeinsamen Linie zu kommen, damit ein Betriebsrat so schnell wie möglich seine Arbeit aufnehmen kann.
Wir erwarten also von Euch konstruktive Vorschläge zu den aufgeführten Punkten oder auch Ergänzungen. Ebenfalls interessieren uns zu diesem Thema ablehnende und zustimmende Meinungen. Wir begrüßen auch eine direkte Zusammenarbeit mit anderen Kollegen die sich dem Arbeitsgremium anschließen wollen.
Kontaktpersonen und Anlaufpunkte für Meldungen und Stellungnahmen
Martin K(...), Werk 1 Abt. FBPP, Tel. App. 333 (Pastiererei), bzw. App. 329 (Säuremischanlage)
Norbert W(...), Werk 1 Abt. FBP , Tel. App. 330 (Gießerei)
Wir erbitten Eure Stellungsnahmen im Interesse der Wichtigkeit unseres Anliegens; bis zum 24.01.1990 bei uns abzugeben.
aus: gesammelte Flugschriften DDR `90, Heft 3, März 1990, erstellt von der "Initiative für eine Vereinigte Linke", Technische Gestaltung, Produktion und Vertrieb: ASTA TU Berlin