Erklärung

des Bauernverbandes e.V. der DDR und des Raiffeisenverbandes der DDR e.V.

Der Bauernverband e.V. der DDR und der Raiffeisenverband der DDR e.V. sehen im Staatsvertrag ein Dokument von historischer Bedeutung. Mit ihm wird der Prozess der Vereinigung der beiden deutschen Staaten in Frieden und Freiheit eingeleitet und die Trennung von Menschen einer Nation in zwei Staaten beendet. Zugleich erwarten der Bauernverband e.V. der DDR und der Raiffeisenverband der DDR e.V., dass von der Vereinigung beider deutscher Staaten positive Impulse für die Schaffung einer dauerhaften Friedensordnung in Europa ausgehen.

Der Bauernverband e.V. der DDR und der Raiffeisenverband der DDR e.V. stimmen dem Staatsvertrag in seinen wesentlichen Zielsetzungen zu. Das betrifft vor allem die Einführung des Preisstützungs- und Außenschutzsystems entsprechend der EG-Marktordnung, die Anwendung von Übergangslösungen mit spezifischen mengenmäßigen Regelmechanismen für sensible Agrarerzeugnisse und die Förderung der Agrar- und Ernährungswirtschaft zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe während einer Übergangszeit.

Die prinzipielle Kritik des Bauernverbandes e.V. der DDR und des Raiffeisenverbandes der DDR e.V. richtet sich dagegen, dass die Ausgestaltung dieser Maßnahmen aus dem Dokument ausgeklammert wird. Die Nichtfestschreibung der Vertragsbedingungen im Staatsvertrag benachteiligt den Berufsstand der Bauern und lässt die wirtschaftliche und soziale Zukunft von fast einem Fünftel der Bevölkerung der DDR weitestgehend offen. Dieses Verhandlungsergebnis können der Bauernverband e.V. der DDR und der Raiffeisenverband der DDR e.V. nicht akzeptieren, weil dadurch Zukunftsungewissheit und Ängste in der Bauernschaft entstehen und der soziale Frieden gefährdet ist.

Wir fordern deshalb, dass die Grundsätze, Wege und Mechanismen des Zusammenwachsens der Agrar- und Ernährungswirtschaft beider deutscher Staaten so schnell wie möglich mit dem Bauern- und dem Raiffeisenverband abgestimmt werden, damit bis spätestens Anfang Juni 1990 die umfassende Information der Bauern und Gärtner über die neuen Regelungen auf dein Gebiet der Steuern, über das System des Einsatzes der staatlichen Fördermittel, über die Produktionsquoten sowie über die garantierten Mindestpreise für die landwirtschaftlichen Hauptprodukte möglich ist. Wir fordern die sofortige Einbeziehung in die Ausarbeitung der Marktordnungen für die Agrarerzeugnisse, einschließlich des Systems zur Stabilisierung der Erzeugerpreise sowie zur Festlegung von Produktionsquoten. Gleichzeitig ist die Einbeziehung des Bauernverbandes als Gesellschafter für solche Einrichtungen wie das Amt für landwirtschaftliche Marktordnung, der neu zu schaffenden zentralen Markt- und Preisberichtsstelle oder einer landwirtschaftlichen Marketinggesellschaft zu gewährleisten.

Handlungsbedarf der Regierung sehen der Bauernverband e.V. der DDR und der Raiffeisenverband der DDR e.V. gegenwärtig vor allem auf folgenden Gebieten

1. Der Bauernverband e.V. der DDR und der Raiffeisenverband der DDR e.V. fordern die Regierung der DDR dazu auf, ihr in der Regierungserklärung gegebenes Versprechen, sich für den Erhalt des Eigentums der Bauern einzusetzen, einzulösen. Das schließt die Anerkennung der durch die Bodenreform geschaffenen Eigentumsverhältnisse ein. Wir erwarten den gesetzlichen Schutz des Eigentums an Grund und Boden. Beim Verkauf staatlicher Böden ist nach sorgfältiger Klärung der tatsächlichen Eigentumsverhältnisse den gegenwärtigen Nutzern ein Vorkaufsrecht einzuräumen. Damit werden Voraussetzungen geschaffen, dass in einer eigentumsorientierten DDR-Landwirtschaft Platz für größere Betriebsformen und für den bäuerlichen Familienbetrieb ist. Für den Erwerb von Grund und Boden, für die Veränderung der Nutzungsform und für die Verpachtung landwirtschaftlich genutzter Böden sind solche Rahmenbedingungen zu schaffen, mit denen Bodenspekulationen begegnet und die Erhaltung des ländlichen Raumes gewährleistet werden. Durch entsprechende Gesetze ist die Unterbindung von Wertmissverhältnissen bei der Veräußerung von Grund und Boden sowie das gesetzliche Vorkaufsrecht gemeinnütziger Bodennutzung zu sichern.

2. Der Bauernverband e.V. der DDR und der Raiffeisenverband der DDR e.V. fordern die Regierung auf, alle Voraussetzungen zu schaffen, dass die Versorgung des Binnenmarktes der DDR vorrangig auf der Grundlage inländischer Agrarproduktion gesichert wird. Wir begrüßen die dazu eingeleiteten Maßnahmen für die Regulierung der Ein- und Ausfuhren von Agrarprodukten. Gleichzeitig wird erwartet, dass bei der Erteilung der Genehmigungen und Lizenzen solchen Anbietern der Vorzug gegeben wird, die bereit sind, in den DDR-Nahrungsgüter- und Lebensmittelbetrieben Voraussetzungen für die Produktion hoch veredelter Agrarerzeugnisse zu schaffen.

3. Der Bauernverband e.V. der DDR und der Raiffeisenverband der DDR e.V. begrüßen, dass mit geeigneten Maßnahmen in einer mehrjährigen Übergangszeit der in der Agrar- und Ernährungswirtschaft erforderliche strukturelle Anpassungsprozess insbesondere zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe gefördert werden soll. Der Umfang der dafür bereitzustellenden finanziellen Mittel muss so bemessen sein, dass Chancengleichheit der DDR-Landwirtschaft auf dem EG-Agrarmarkt erreicht wird. Voraussetzung für den Eintritt in die soziale Marktwirtschaft ist die finanzielle und soziale Absicherung solcher Maßnahmen wie die Entflechtung von Betriebsstrukturen, die Neugründung von Betrieben und einzelbäuerlichen Wirtschaften, Flurtrennungs- und Flurbereinigungsmaßnahmen, die Entschuldung landwirtschaftlicher Betriebe sowie Maßnahmen zur Gewährleistung der Liquidität der Betriebe.

4. Der Bauernverband e.V. der DDR und der Raiffeisenverband der DDR e.V. fordern von der Regierung, dass mit der Wirtschafts- und Währungsunion gleichzeitig die Besonderheiten der sozialen Sicherheit der Bauernschaft berücksichtigt werden, die sich aus der unmittelbaren Bindung der persönlichen Einkommen an das wirtschaftliche Ergebnis der landwirtschaftlichen Betriebe ergeben. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass die Einkommen aus der individuellen Pflanzen- und Tierproduktion, die eine wichtige Voraussetzung für die Sicherung der Unterhaltung und Schaffung von bäuerlichen Höfen, Eigenheimen und Wirtschaftsgebäuden darstellten, stark zurückgehen werden. Die Einkommens- und Fördermaßnahmen für die Landwirtschaft sind deshalb so zu gestalten, dass

- die Agrarproduktion im ländlichen Raum der Deutschen Demokratischen Republik im wesentlichen weitergeführt werden kann und dieser in seiner sozialen Funktion erhalten bleibt;

- den Bauern, soweit sie in der Landwirtschaft verbleiben, ein angemessener Lebensstand einschließlich des Ausgleichs naturbedingter Nachteile in benachteiligten Gebieten gewährleistet wird;

- aus der Landwirtschaft aus scheidende Beschäftigte durch die Schaffung neuer Arbeitsplätze im ländlichen Raum möglichst rasch andere Tätigkeiten aufnehmen können und dabei entsprechend der Arbeits- und Sozialgesetzgebung unterstützt und sozial abgesichert werden.

Zur sozialen Absicherung bei gleichzeitiger Entlastung der Landwirtschaftsbetriebe von neu entstehenden Sozialkosten sollten in Anlehnung an die agrar-sozialen Regelungen der Bundesrepublik Deutschland (Beitragsentlastung der Landwirte) die Betriebsbeiträge für eine Vorruhestandsregelung sowie für die Unfall-, Altersrenten- und Arbeitslosenversicherung aus Mitteln des Staates finanziert werden. Das sollte auch für die Erhöhung des Betriebsanteils zur Krankenversicherung gegenüber der derzeitigen Sozialversicherung erfolgen.

5. Der Bauernverband e.V. der DDR und der Raiffeisenverband der DDR e.V. fordern von der Regierung die Festschreibung eines befristeten staatlichen mittelständischen Förderungsprogramms für die Versorgung der Landwirtschaft. Für den bäuerlichen Bankenverbund, den Handel und die Dienstleistungen fordern wir steuerliche Vergünstigungen. Die Körperschaftssteuer sollte für die nächsten 10 Jahre auf 20 Prozent, entsprechend einer systembedingten Besteuerung, festgelegt werden.

Bauern-Echo, Nr. 127, Sa./So. 02./03.06.1990

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