Stellungnahme des Zentralen Runden Tisches zum Besuch von BRD-Kanzler Kohl


Die Teilnehmer des Runden Tisches begrüßen den offiziellen Arbeitsbesuch von Bundeskanzler Kohl in der DDR. Sie bringen die Erwartung zum Ausdruck, dass der Besuch zum Ausbau in den Beziehungen zwischen der DDR und der BRD beiträgt und damit auch der Verantwortung beider deutscher Staaten für die Errichtung einer systemübergreifenden Friedensordnung in Europa entspricht. Die Verantwortungsgemeinschaft für den Frieden, die durch ein aktives Zusammenwirken von DDR und BRD für Frieden und Abrüstung geprägt sein müsste, sollte durch eine Vertragsgemeinschaft für die Beziehungen ergänzt werden. Die langfristige Perspektive des Verhältnisses kann nur in die gesamteuropäische Entwicklung in Richtung der Überwindung der Teilung Europas eingeordnet werden.

Der Besuch sollte den politischen und ökonomischen Rahmen für die weitere Gestaltung der Beziehungen zwischen der DDR und der BRD abstecken sowie konkrete Schritte vorbereiten, die zu einer engeren Kooperation führen. Das trifft vor allem Fragen der Zusammenarbeit auf den Gebieten Wirtschaft, Wissenschaft und Technik, Umweltschutz, Verkehr, Post- und Fernmeldewesen, Tourismus und Rechtshilfe.

Die Teilnehmer des Runden Tisches appellieren an Ministerpräsident Modrow und Bundeskanzler Kohl, die Gespräche und deren Ergebnisse in Richtung Kooperation und Kommunikation zum Wohle der Bürger ihrer beiden Staaten zu lenken. Die Souveränität und staatliche Identität jedes der beiden deutschen Staaten darf durch keine Seite in Frage gestellt werden.

Die Regierungen der beiden deutschen Staaten werden aufgefordert zu bekräftigen, dass sie sich ihrer Verantwortung für die Stabilität und Sicherheit in Europa bewusst sind und danach handeln.

Von deutschem Boden darf heute keine Destabilisierung für Europa und damit die Welt ausgehen.

Wir erwarten klare Aussagen, wie bei Abschaffung der Visapflicht und des Mindestumtausches für Reisen in die DDR ein Ausverkauf der DDR an Waren und Dienstleistungen und die Einreise von Neonazis und anderen Rechtsradikalen verhindert werden sollen.

Minderheitenvotum des NEUEN FORUM und der VEREINIGTEM LINKEN zur "Stellungnahme des Zentralen Runden Tisches zum Besuch von BRD-Kanzler Kohl"!


Wir fordern, dass alle stattfindenden Gespräche auf Regierungsebene und alle Gespräche über internationale Wirtschaftskooperationen weder zu sozialen Nachteilen für wirtschaftlich Schwache noch zu einer Wiederbelebung kapitalistischer Ausbeutungsverhältnisse in der DDR, auch nicht in Form eines Billiglohn-Landes DDR als verlängerter Wertbank BRD noch zu einseitiger, wirtschaftlicher Abhängigkeit führen dürfen. Die von uns befürworteten Kontakte und Verhandlungen im Rahmen der zu ergreifenden Sofortmaßnahmen mit dem Ziel der Dämpfung der gesamtgesellschaftlichen Krise dürfen nicht als unkontrollierte Generalvollmacht für die Regierung gehandhabt werden. Volksvermögen, insbesondere Grund und Boden sowie die Arbeitskraft dürfen nicht in Waren verwandelt werden und in die Reichweite ausländischen Kapitals geraten.

Wir fordern Ministerpräsident Modrow auf, bei seinen Verhandlungen mit Bundeskanzler Kohl die ökonomischen und währungspolitischen Auswirkungen der Einstellung des Zwangsumtauschs für Bürger der BRD und Westberlins zu berücksichtigen. Das beinhaltet sofortflankierende Maßnahmen zum Schutz der Wirtschaft unseres Landes, insbesondere des Konsumgüter- und Dienstleistungssektors in Absprache mit dem Runden Tisch zu beschließen.

[18.12.1989]