Jeder Bürger unseres Landes

Teilhaber an der DDR?

Sollen 40 Jahre Arbeit und Mühen umsonst gewesen sein? Vorschlag zur Rettung des Volkseigentum: Bildung einer Treuhandgesellschaft, die Anteilsrechte der Bürger wahrt

Morgen kommt die Arbeitsgruppe Wirtschaft des Runden Tisches zusammen. Zur Diskussion steht der Vorschlag zur umgehenden Bildung einer "Treuhandgesellschaft (Holding) zur Wahrung der Anteilsrechte der Bürger mit DDR-Staatsbürgerschaft am 'Volkseigentum' der DDR."

Eingebracht hat diesen die freie Forschungsgemeinschaft "Selbstorganisation", ein akademischer Arbeitskreis, der sich vor einem knappen Jahr zusammenfand und in dem Natur- und Geisteswissenschaftler sich vor allem der Frage widmeten und widmen, wie die DDR wieder aus des Katastrophe finden könnte und wohin sie dabei driften würde. JW sprach mit Dr. Mathias Arzt einem der Gründer.

Aus welchen Überlegungen heraus entstand Ihr Holding-Vorschlag?

Wahrscheinlich ist, dass es eine baldige Angliederung der DDR an die BRD geben wird. Schon jetzt haben viele Menschen in unserem Land Angst um ihre Existenz, fragen, was wird mit der Arbeit, der Wohnung... Sollen 40 Jahre voller Arbeit und Mühen völlig umsonst gewesen sein! Damit diese Schufterei eben nicht ergebnislos bleibt, erarbeiteten wir dieses Modell.

Was beinhaltet es konkret?

Wir wollen, dass das Volkseigentuns nicht herrenlos wird und verlorengeht. Deshalb schlagen wir vor, sofort eine Kapital-Holding-Treuhandgesellschaft zu schaffen, die als neues Rechtssubjekt dem entgegenwirkt.

Woraus resultiert die Gefahr, dass das Volkseigentum verlorengeht?

Im Grundgesetz der BRD, dessen Geltungsbereich ja vermutlich auf das Territorium der DDR ausgedehnt wird, ist die Rechtskonstruktion "Volkseigentum" nicht enthalten. Deshalb muss das Volkseigentum so umgewandelt werden, dass es den Rechts- und Eigentumsformen der Bundesrepublik entspricht.

Wie soll das nun aussehen?

Jeder Staatsbürger der DDR erhält der Holding-Gesellschaft eine Kapitalteilhaber-Urkunde, also einen Anteil am Volkseigentum. Vorstellbar wäre, dass der 18. März als Stichtag gilt. Das heißt also, wer bis zu diesem Tag DDR-Bürger ist hat Anspruch darauf. Die Treuhandgesellschaft kümmert sich darum, dass das Eigentum zu gleichen Teilen verteilt wird.

Bleibt aber die Frage, wie der Wert des Volkseigentums bestimmt werden soll…

Die Wertbestimmung jedes einzelnen konkreten Volkseigentums erfolgt frei über den Markt. Sie kann nur zustande kommen über die Nachfrage konkurrierender Interessenten der Wirtschaft aus der ganzen Welt.

Was aber, wenn sich keine Interessenten finden?

Das gibt es nicht. Die DDR liegt Im Herzen Europas, an der Nahtstelle zu Osteuropa. Und hier ist bereits ein qualifiziertes und kultivierter Potential gegeben.

Also Verkauf der DDR?

Natürlich muss die Staatsverschuldung beglichen, das heißt einiges an Volkseigentum verkauft werden. In erster Linie aber ist daran zu denken, dass Interessenten über Konkurrenz zu Joint Ventures stimuliert werden, die der DDR-Holding möglichst hohe Beteiligungsquoten an den Unternehmen einräumen.

Wer soll denn nun darüber entscheiden, wie das Grundkapital verwendet wird?

Nur die Bürger der DDR. Das heißt, das Statut der Treuhandgesellschaft, das ihre Kompetenzen und Aufgaben definiert, muss durch die neugewählte Volkskammer bzw. später durch Volksentscheide der Bürger in den Ländern der ehemaligen DDR bestimmt werden.

Sagen wir mal, ich wäre Besitzer solch einer Kapitalteilhaber-Urkunde und bin auf schnelle D-Mark aus, dann würde ich einfach meinen Anteil verkaufen…

Nach unseren Vorstellungen ist solch ein Anteil nicht an Ausländer verkaufbar. Außerdem stellen wir uns vor, bestimmte Modalitäten festzulegen, wie mittels der Kapitalbeteiligungsurkunde Wohnungen, Gebäude, Betriebsstätten durch DDR-Bürger erworben werden können. Sie hätten das Vorkaufsrecht. Damit würde generell einem Ausverkauf der DDR entgegengewirkt. Denn als DDR-Bürger hätte man gegenüber westlichen Konkurrenten sonst nie eine Chance.

Ist das so zu verstehen, dass man mit seinem Anteil beispielsweise Mitspracherecht in einem bestimmten Betrieb hat, an dessen Gewinn beteiligt ist oder mit ihm bankrott geht?

Nein. Die Kapitalbeteiligungsurkunde ist ein Wertpapier, nicht bezogen auf ein konkretes Volkseigentum. Man kann sich damit aber an einem bestimmten Unternehmen beteiligen oder, wie gesagt, dieses salbst erwerben. Dann wäre dem natürlich so.

Wenn Ihr Vorschlag angenommen wird: Welche Vorteile sehen Sie dann noch?

Die Stabilitätswirkungen eines solchen Schrittes sind unbestreitbar. Zum einen stehen die Kapitalanbieter sofort Schlange, so dass der Wirtschaftsaufschwung unmittelbar beginnen kann. Zum anderen werden übersiedlungswillige DDR-Bürger Ihre Vermögensanteile - wenn sie schlau sind - nicht aufs Spiel setzen. Denn der Wert des Anteils wird Innerhalb einiger Jahre stark steigen.

(Das Gespräch führte
Sabine Sauer)

Junge Welt, Di. 20.02.1990

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