Für Würde und Recht

Aus einem Offenen Brief an die Regierung und den Zentralen Runden Tisch zu Fragen der vietnamesischen Mitbürger

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Die Menschenrechte sind unteilbar. Diese humanistischen Prinzipien sind vielen Bürgern der DDR und Staatsorganen im Umgang mit ausländischen Mitbürgern nicht selbstverständlich . . .

Mit 60 000 bis 70 000 stellen die Vietnamesen unter den Nationalitäten in der DDR einen großen Anteil. Unsere Volkswirtschaft benötigt sie dringend als Arbeitskräfte: auch nach dem 18. März und auch, wenn es in der DDR Arbeitslosigkeit geben wird. Denn die Struktur der Arbeitsplätze und die Qualifikationsstruktur in der DDR stimmen nicht überein.

Vietnamesen üben meist Tätigkeiten aus, die DDR Bürger nicht verrichten wollen. Wegen ihrer Arbeitsleistung ist die Mehrheit der Vietnamesen in der DDR geachtet. Außerhalb der Arbeitswelt wird ihnen oft mit Unkenntnis, Intoleranz und offener Feindlichkeit begegnet . . .

Vietnamesen leben auf Grund von Staatsverträgen in der DDR. Als Individuen sind sie darin keine Rechtssubjekte. In einem einheitlichen Deutschland würden sie im rechtsleeren Raum schweben. Mit unserem Bekenntnis zu einer multikulturellen Gesellschaft müssen wir juristische Lösungen einklagen.

Unsere Forderungen:

- Überarbeitung der vertraglichen Regelungen . . .

- Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. In der Praxis wird das unterlaufen . . .

- Übersetzung elementarer Gesetzeswerke ins Vietnamesische und Publikation . . .

- Recht auf Medien: Das heißt vor allem Schaffung einer Wochenzeitung in vietnamesischer Sprache, die speziell für Vietnamesen in der DDR schreibt, Ausbau der vietnamesischen Rundfunksendungen und Sendezeit im Fernsehen . . .

- Verbesserung der Integration in unsere Gesellschaft durch völlige Veränderung der Wohnverhältnisse . . . Durch separates Wohnen bestehen unter DDR-Bürgern Gerüchte über die Situation der Vietnamesen, wie mietfreies Wohnen,- Verdienen von Devisen, die völlig der Realität widersprechen . . .

- Gründung eines staatlichen Forschungsinstituts für Ausländerintegration . . .

- Staatlich subventionierte Zentren der Weltkultur mit Etagen für vietnamesische Kultur . . .

- Uneingeschränktes Wahlrecht für Ausländer mit ständigem Wohnsitz in der DDR, aktives und passives kommunales Wahlrecht für Ausländer mit mindestens 2 Jahren Aufenthalt . . .

- Sicherung, dass Vietnamesen von ihrem ehrlich verdienten Geld das kaufen können, was sie möchten. Überarbeitung der Zollbestimmungen . . .

Die Mündigkeit eines Bürgers in unserem Land darf nicht länger eine Frage seiner Nationalität sein!

Kontaktadresse: Arbeitsgruppe "Vietnam" des "Ring", Wilhelm-Pieck-Straße 216, Berlin; (...)

Der Morgen, Nr. 47, Sa. 24.02.1990

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