Acht Alternative kämpfen um Fraktionsstatus

Vera Wollenberger zur künftigen Arbeit im Bundestag

In dieser Woche wird sich im Reichstag der zwölfte Deutsche Bundestag konstituieren. Die acht Abgeordneten von Bündnis 90/Grüne, gewählt auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, wollen dort eine deutlich hörbare Stimme sein. Die Berliner Zeitung sprach mit einer von ihnen, der Grünen Vera Wollenberger.

BZ: Wie die PDS, so kämpfen auch die acht Abgeordneten von Bündnis 90/Grüne um den Fraktionsstatus im Bundestag.

V. Wollenberger: Das stimmt, aber bei uns liegt der Fall doch anders als bei der PDS. Wir sind die einzige Gruppierung, die nur in einem Wahlgebiet angetreten ist. Wir haben die Fünf-Prozent-Hürde übersprungen, und nach der in der Verfassung formulierten Gleichheit aller Parteien und dem Geist des Wahlvertrages mit seinen besonderen Sperrklauseln, durch die ja schließlich den neuen Gruppierungen in der damaligen DDR eine faire Chance gegeben werden sollte, müsste uns der Fraktionsstatus verfassungsmäßig zuerkannt werden.

BZ: Wie schätzen Sie die Aussichten Ihres Antrages ein?

V. Wollenberger: Gut. Wir stellen einen Antrag auf Änderung der Geschäftsordnung. Sollte wider Erwarten diesem Änderungsantrag nicht stattgegeben werden, dann bliebe uns noch der Weg nach Karlsruhe.

BZ: Wie es schon die PDS tun will . . .

V. Wollenberger: Aber unser Fall hegt ganz anders. Unsere Argumente sind viel starker.

BZ: Ob nun Gruppe oder Fraktion - die acht Bundestagsabgeordneten von Bündnis 90/Grüne vermitteln ein ziemlich heterogenes Bild. Wie kann es trotzdem zu einer sinnvollen Arbeit kommen?

V. Wollenberger: Uns allen gemeinsam ist, dass wir die starren Parteistrukturen aufbrechen, auf überparteiliche Zusammenarbeit hinwirken wollen. Und dabei schließen wir die Zusammenarbeit mit niemandem aus - weder zu den Konservativen noch zur anderen Seite hin. Sonst waren wir nicht glaubwürdig. Man kann nicht über überparteilichem Konsens reden und dann immer nur in eine Richtung schielen.

BZ: Sie wollen - ähnlich wie in der Volkskammer - auch im Bundestag versuchen, über die in der alten Bundesrepublik sehr starren Parteigrenzen hinweg mit Abgeordneten aller Fraktionen bei wichtigen inhaltlichen Fragen zusammenzuarbeiten. Glauben Sie, dafür entsprechende Partner zu finden?

V. Wollenberger: Es wird mit Sicherheit viel schwieriger, im Bundestag nach diesem Konzept wirksam zu werden, als in der Volkskammer, wo interfraktionelle Initiativen schon fast normal waren. Dieses Parteiensystem ist unheimlich harsch und hat Formen angenommen, die schon wieder dem Grundsatz der Gewissensfreiheit des einzelnen Abgeordneten entgegenstehen. So steht bei namentlichen Abstimmungen je ein Vertreter der Regierungskoalition und der Opposition an der Stimmurne und hebt das Kärtchen hoch, wie gestimmt werden soll, und das ist für mich eine unzulässige und unerträgliche Einschränkung der Gewissensfreiheit des Abgeordneten. Daher kann ich mir vorstellen, dass eine unserer ersten parlamentarischen Initiativen darauf zielen wird, das zu verändern.

Das Gespräch führte
Peter Richter

Berliner Zeitung, Nr. 294, Mo. 17.12.1990

Bündnis 90/Grüne erhielten wie die PDS/Linke Liste kein Fraktionsstatus.

Δ nach oben