Im Aufbruch

Junge Christinnen und Christen schufen eigene Jugendorganisation / JW-Gespräch mit dem CDJ-Vorsitzenden

Während die Diskussion um das künftige Antlitz der FDJ noch in vollem Gange ist, haben sich in den vergangenen Tagen bereits neue Jugendverbände konstituiert. Die "Christlich-Demokratische Jugend" (CDJ) ist einer von ihren. Die CDJ versteht sich als politische Plattform junger Menschen, die ihre ethisch-moralischen Wurzeln im Christentum sehen. Auf der Gründungsversammlung der CDJ wurde der 44jährige Henning Stoerk, Produktionschef Export-Import beim Fernsehen der DDR zum Landesvorsitzenden gewählt. Mit ihm sprach JW-Mitarbeiter Frank Pawlowski.

Offenbar fühlst du dich noch jung genug, um den Vorsitz eines Jugendverbandes zu übernehmen?

Ehrlich gesagt hatte ich so meine Bedenken. Die andere Seite ist jedoch die: Ich bin schon sehr lange in der Jugendarbeit tätig, habe 17 Jahre als AG-Leiter an einer Schule gearbeitet Auch als Abgeordneter für Jugendfragen bin ich an den Problemen der jungen Leute dran. Na ja, und als Vater zweier Söhne im Alter von 15 und 21 bekommt man schließlich auch eine Menge mit.

Ihr bezeichnet die Gründung der CDJ als einen Aufbruch im Interesse der christlichen Jugend. Aufbruch wohin?

Es ist ein Aufbruch junger Christinnen und Christen zwischen 14 und 35 im Interesse aller Menschen, vor allem der Jugendlichen dieses Landes. Es geht darum, die vielen Potenzen, Wünsche und Ideen, die an der Basis vorhanden sind, über gewählte Vertreter der Basisgruppen zur Sprache zu bringen und damit letztlich politisch wirksam werden zu lassen.

Ich habe es immer sehr beklagt, wie bei uns über die Probleme junger Menschen hinweggegangen wird. Also vereinfacht - bist du für den Frieden, dann bist du für die DDR, und ansonsten bist du ein Klassenfeind. Diese entsetzliche, kurzschlüssige Denk- und Handlungsweise hatte Folgen beispielsweise für die engagierten Mitarbeiter der Umweltbibliothek. Und nicht nur für sie.

Die Tatsache, dass in den Oktobertagen gerade junge Leute aus den Kirchen auf die Straße gingen, zeigt doch, dass der Aufbruch bereits vollzogen wurde.

Ja, auch ich war dabei. Es war eine Situation entstanden, in der nichts anderes mehr möglich war. In den vergangenen 40 Jahren waren viele junge Menschen von der Demokratieausübung ausgegrenzt . Auch in der FDJ fühlten sie sich nicht heimisch. Selbstloses Handeln fand oftmals kein Echo - und hatte keine Wirkung. Dass so etwas nie wieder passiert, dafür haben wir jetzt einen Jugendverband, und der steht fest auf dem Boden der Gesetze. Ich denke, die Anerkennung einer Opposition, was nicht Reaktion ist - eine entscheidende Sache, die die frühere SED-Führung verwechselt hat - ist ein erster Schritt in Richtung eines wahrhaft demokratischen Sozialismus.

Was verstehst du darunter?

Vor allem die Anerkennung des Pluralismus in der DDR. Außerdem verstehe ich Sozialismus zuerst im Sinne von sozial, das heißt vor allen Dingen für die schwächsten Glieder der Gesellschaft vorhanden, und da hoben wir einen ungeheuren Nachholebedarf. zum Beispiel hinsichtlich der Integration geistig und körperlich behinderter Menschen.

Wir müssen vor allen Dingen daran erinnern, dass die Grundwerte des Sozialismus auf der ethisch-moralischen Basis liegen, denn das menschliche Miteinander ist in großen Maßen verlorengegangen in der Karrieregesellschaft. Und wir müssen uns fragen, welche Werte wesentlich sind. Ob es wesentlich ist, dass ich ein noch größeres und nach schnelleres Auto fahre, oder ich die Frage stelle, wie viele Menschen dafür dankbar sind, dass es mich gibt auf dieser Welt.

Diese Lebensmaxime darf doch nicht allein an den christlichen Glauben gebunden sein . . .

Ja, und das ist unsere Chance. Wir hatten neulich eine Diskussion mit Andersdenkenden. Vertreter der SED, der LDPD, der CDU, des Neuen Forums, des Demokratischer, Aufbruchs und der Katholischen Laien waren dabei. Das war hochinteressant. Der SED-Genosse hat sinngemäß gesagt: Wir sind uns doch ideologisch oder geistig viel näher, als es überhaupt ahnbar ist. Unser Grundgedanke ist doch, für den Menschen dazu sein. Und er wünscht sich, dass jeder Genosse an seiner Seite einen Christen und der Christ an der Seite einen Genossen hat, die sich aneinander reiben und die voneinander lernen können. Er sprach mir aus dem Herzen - so verstehe ich eine Koalition der Vernunft in unserem Lande, die wir dringend brauchen.

Wie ist eure Stellung zur CDU?

Wir wollen unabhängig von ihr sein und ihre Arbeit kritisch begleiten. Viele Basisgruppenvertreter befürchten allerdings, von der CDU vereinnahmt zu werden. Diese Gefahr sehe ich nicht. Wir selbst bestimmen unser Verhältnis zur CDU mit dem Programm, das in einer breiten Diskussion erarbeitet wird.

Wir wollen über die CDU die Interessen der Jugendlichen in den Parlamenten vertreten. Zudem hat Lothar de Maizière zugesichert, uns nicht reinzureden.

Plant ihr die Herausgabe einer eigenen Zeitung?

Ich sag's ganz ehrlich, schön wäre es, wenn die Junge Welt uns und anderen Jugendorganisationen einen gleichberechtigten Platz einräumen würde. Das hielte ich für besser als einzelne Jugendzeitschriften, weil man in einer gemeinsamen Zeitung die Meinung der anderen mitlesen kann. Doch dazu haben wir noch keine endgültige Meinung. Wie gesagt, es gibt viele Sachen, die müssen wir einfach gemeinsam machen Unabhängige Jugendverbände dürfen nicht in Sektierertum ausarten. Unser Land braucht alle und nicht irgendwelche Vereine, die in sich schmoren. Das kann's nicht sein.

Brauchen wir einen Dachverband?

Ich glaube schon, dass wir im Interesse aller Jugendlichen in der DDR einen Dachverband bilden können, nachdem weitere Gründungen vollzogen wurden Dann können wir uns gemeinsam Gedanken machen über einen Dachverband, wo wir zum Beispiel auch solche Fragen wie das Reisen für alle Jugendlichen regeln können. Außerdem - wenn wir von Frieden und Dialog reden, dann wird es erst mal interessant, wie sie Jugendorganisationen lernen, miteinander umzugehen, und zwar im Sinne einer Partnerschaft.

Junge Welt, Mi. 22.11.1989

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