DOKUMENTATION

Die Debatte um SPD-Listenplätze für Mitglieder der Fraktion Bündnis90/Grüne hat die Bürgerbewegungen aufgeschreckt. Am Freitag Abend trafen sich in Berlin-Pankow VertreterInnen des Basis des Neuen Forums, von Demokratie Jetzt, der Initiative für Frieden und Menschenrechte sowie ein Vertreter der Grünen (DDR), um "zu retten, was zu retten ist", sprich, doch noch ein grün-bürgerbewegtes Bündnis für die Landtagswahlen und die gesamtdeutschen Wahlen auf die Beine zu stellen.

In der Intention war man sich schnell einig: Eine Vereinigung der Bürgerbewegungen ins Leben zu rufen, die dann mit mehr Gewicht mit den Grünen in Ost und West Verhandlungen über Listenplätze aufnimmt. Kontrovers blieb der Name: Während die einen - namentlich aus den Reihen des Neuen Forums - das Kind "Bürgerforum" taufen wollten, plädierten andere für die Beibehaltung des bereits etablierten Begriffes Bündnis 90 (oder 91). Und zu später Stunde stand die Frage im Raum, so schnell wie möglich mit sieben Personen eine Wahlpartei zu konstituieren. Jetzt soll der dokumentierte Aufruf erst einmal an der Basis verbreitet werden.

B.S.

Bürgerbewegte wollen sich weiterhin einmischen

Der Herbst 1989 hat in der DDR eine neue politische Kultur hervorgebracht. Es sind Bürgerbewegungen mit vielfältigen thematischen Schwerpunkten entstanden. Uns alle verbindet unsere basisdemokratische Orientierung, unsere inhaltliche Nähe und der Wille, außerparlamentarisch zu arbeiten sowie auf allen parlamentarischen Ebenen Verantwortung im Interesse der BürgerInnen zu übernehmen. Aus dieser Gemeinsamkeit entstand das Bündnis 90, das wir täglich an der Basis, in vielen Gemeinderäten, den Stadtbezirks-, Stadt - und Kreisparlamenten und in der Volkskammer erleben.

In dieser kurzen Zeit hat sich gezeigt, dass wir sehr wohl in der Lage sind, BürgerInnen-Interessen wirksam zu vertreten. Es gelingt uns immer öfter, parteipolitisches Taktieren zugunsten sachbezogener Politik zurückzudrängen.

Das gibt uns Mut, auch für die Landtagswahlen und das Parlament des vereinigten Deutschland den politischen Anspruch zu erheben, unsere erstrittenen Positionen zu behaupten - uns weiterhin einzumischen. Alle bisherigen Bemühungen, die verschiedenen Bürgerbewegungen durch Gremienverhandlungen zu einer großen politischen Kraft zusammenzuführen, haben bis heute zu keinem greifbaren Ergebnis geführt.

Ein Scheitern der Bündnisverhandlungen bedeutet aber das Aus für sämtliche basisdemokratischen Gruppen im ersten gesamtdeutschen Parlament. (Auch Die Grünen in der Bundesrepublik können in diesem Fall die Fünf-Prozent-Hürde nicht überwinden.) Die Politik, die von diesem Parlament ausgehen wird, entscheidet maßgeblich über die zukünftige Entwicklung Deutschlands und Europas.

Wir, Mitglieder der INITIATIVE FRIEDEN UND MENSCHENRECHTE, von DEMOKRATIE JETZT und des NEUEN FORUMS sowie DIE GRÜNEN/DDR haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben, diese Politik mitzugestalten. Deshalb rufen wir heute alle basisdemokratischen Gruppen der DDR auf, unsere Initiative für ein gemeinsames

BÜRGERBÜNDNIS

zu unterstützen. Unser Ziel ist es, eine wählbare politische Vereinigung zu bilden, die dann mit Den Grünen Verhandlungen über ein gemeinsames Antreten zu den Wahlen führt.

aus: taz, 23.07.90, Dokumentation S. 5