"Das sozialistische Zusammenleben gestört"

Anne W. von Robin Wood, Hamburg

taz: Am Dienstag morgen haben Umweltaktivisten in West-Berlin den Grenzübergang Lichtenrade blockiert, um gegen die Abschiebung des West-Berliner Mülls in die DDR zu protestieren. Ihr wolltet gleichzeitig eine Demonstration in der DDR machen. Was ist dort passiert?

Anne W.: Wir haben uns mit VertreterInnen der Umweltbibliothek, des Friedenskreises Friedrichsfelde, mit Punkern, Erlösern und der Gruppe Frieden und Menschenrechte und der Kirche von Unten in Ost-Berlin getroffen und wollten zusammen mit ihnen mit dem Rad nach Schöneiche fahren. Dort wollten wir eine Demonstration machen. Das hat nicht geklappt. Wir wurden vorher von der Volkspolizei aufgegriffen und nach Schönefeld gebracht. Dort wurden wir von der Staatssicherheit vernommen. Wir waren drei Männer und eine Frau von Robin Wood Hamburg und ungefähr 16 Leute aus der DDR.

Seid Ihr von der Volkspolizei auch so nett bewirtet worden wie die BesetzerInnen des Kubat-Dreiecks, die nach ihrem Mauersprung Frühstück serviert bekamen?

Nein, wir wurden um 14.40 Uhr festgenommen und haben bis zu unserer Abschiebung nachts um halb zwölf nichts zu essen bekommen, auch keinen Tee, Kaffee, nichts.

Hat die Stasi euch angedroht, dass Ihr längere Zeit im Knast bleiben müsstet?

Ja, mir wurde gesagt, unser Verhalten könnte auch als Verbrechen oder Vergehen gewertet werden. Aber es wurde im Laufe der Vernehmung doch sehr klar, dass die uns schnell wieder abschieben werden.

Was hat man euch denn vorgeworfen?

Das wir gegen das Aufenthaltsbestimmungsrecht verstoßen haben, weil wir nur ein Tagesvisum für Ost-Berlin hatten und keines für die DDR und dass wir das sozialistische Zusammenleben der DDR-Bürger gestört hätten durch diese Aktion. Die haben uns lange vernommen und wollten vor allem wissen, welche Kontakte wir zu Leuten aus der DDR haben. Aber dazu haben wir nichts gesagt. Wir wurden auch erkennungsdienstlich behandelt und lange Zeit im Polizeilastwagen festgehalten. Wir vier Westler sind dann mit drei Leuten zum Grenzübergang Friedrichstraße gebracht worden und über den Diplomateneingang abgeschoben worden. Jeder von uns Vieren muss nun innerhalb von 30 Tagen 500 DM Strafe zahlen. Das werden wir auch machen, weil wir sonst bestimmt nie wieder einreisen dürfen.

Ihr kommt alle von Robin Wood Hamburg. Schöneiche ist ziemlich weit weg von Euch und wird vor allem die Bewohner der DDR und West-Berlins schädigen. Warum habt Ihr demonstriert?

Das ist nicht nur ein West-Berliner Problem, dass wir hier Sondermüll produzieren und abschieben in andere Länder, obwohl wir eigentlich dafür verantwortlich sind und der Müll auch hier im Land ordnungsgemäß beseitigt werden sollte. Wir wollten deutlich machen, dass man dafür sorgen muss, dass nicht soviel Sondermüll produziert wird, sondern mehr auf die Müllvermeidung gesetzt wird.

Ist Eure Aktion gescheitert?

Nein, das würde ich nicht sagen. Es war uns schon klar, dass wir wahrscheinlich nicht bis Schöneiche kommen würden. Aber es ist für die DDR-Umweltgruppen schon eine Aktion, wenn man sich überhaupt trifft und gemeinsam dorthin fährt. Das ist schon ein politisches Aufbegehren.

Interview: mow

aus: taz, Berlin lokal, 03.11.88


Müll aus Westberlin wurde zunächst auf die Deponie Groß-Ziethen dann auf die Deponien in Deetz (bei Potsdam), Schöneiche (bei Zossen, heute Stadtteil Zossens) und Vorketzin gebracht. Der Müllexport begann im September 1973 und dauerte bis Dezember 1994. Der Deponiebetrieb in Schöneiche wurde zum 31. Mai 2005 eingestellt.
Auch aus der Bundesrepublik wurde Müll auf Deponien in der DDR gebracht.