Bernd Gehrke zur bevorstehenden Volkskammerwahl

Der Wahlkampf ist fast vorüber. Am Sonntag sprechen die Wähler ihr Wort. Was haben Sie ihnen mit auf den Weg gegeben?

Ich hoffe, die Überzeugung von einer glaubwürdigen Linken. Dazu zählt für mich auch, dass, bei allem Respekt vor den PDS-Reformern und den deutlichen Demokratisierungstendenzen in der PDS, wir uns als starke linke Kraft außerhalb dieser Partei behaupten. Auch im Interesse der Reformen in der PDS. Bemüht haben wir uns ebenso, die Wähler erkennen zu lassen. Jede Stimme, die der SPD aus Bedenken über einen Wahlsieg der "Allianz für Deutschland" gegeben wird, ist eine Stimme für die Zwei-Drittel-Mehrheit von SPD und Allianz in der künftigen Volkskammer und damit für einen Anschluss der DDR an die BRD. Denn beides schloss die SPD nicht eindeutig aus.

Das ist eine recht kritische Haltung zur SPD. Dabei: Brach man zu Beginn der revolutionären Umwälzung in der DDR nicht von gemeinsamen Anschauungen auf?

Durchaus. Aber die schnelle finanzielle und personelle Abhängigkeit von der West-SPD, nicht zuletzt sichtbar am Bonner SPD-Polit-Profi-Wahlkampf in der DDR, hat die ursprünglichen eigenständigen Intentionen vom Herbst 1989, die auch wir mittrugen, weitgehend auf der Strecke bleiben lassen.

Die Vereinigte Linke hält an den 1989er Herbstträumen fest?

Wir treten für eine radikale Erneuerung der DDR ein. Das ist keine Negierung des Einheitswillens von Deutschen, sondern ein Plädoyer dafür, dass die DDR eine demokratische Chance für Deutschland ist. Natürlich muss die tiefe wirtschaftliche Krise überwunden werden, was gewiss nicht ohne Opfer geht. Aber deren weitgehend eigenständige Bewältigung ermöglicht die beste soziale Absicherung. Der andere Weg führt in die Zwei-Drittel-Gesellschaft.

Wo sieht die Vereinigte Linke ihre Koalitionspartner?

Dazu gibt es keine Aussage, da wir ganz sicher keine Mehrheit erringen werden. Allerdings: Wie bereits jetzt in der Praxis erkennbar, werden wir parlamentarisch und außerparlamentarisch mit allen Kräften zusammenarbeiten, die sich eindeutig von stalinistischen Verbrechen abgegrenzt haben und sich der nackten Kapitalisierung widersetzen.

ELKE SCHMIDTKE

aus: Neues Deutschland, Jahrgang 45, Ausgabe 64, 16.03.1990, Sozialistische Tageszeitung. Die Redaktion wurde 1956 und 1986 mit dem Karl-Marx-Orden und 1971 mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold ausgezeichnet.