Selbst- und Mitbestimmung in den Betrieben
Wir wollen die mit zu hoher Machtfülle ausgestatteten Leitungen reformieren. In ihnen paart sich Kapitallogik mit stalinistischem Demokratieunverständnis. Einzige Alternative für eine basisdemokratische Lösung der betrieblichen und wirtschaftlichen Probleme ist die rechtlich und politisch geregelte Einbeziehung der Betriebskollektive in den Entscheidungsprozess.
Es ist dringend geboten:
1. in Betrieben mit überwiegend gesellschaftlichem Eigentum:
- müssen sofort arbeitsfähige Vertretungen der Werktätigen gebildet werden, um die umfassende Selbstbestimmung in den Betrieben durchzusetzen und zu kontrollieren.
- in Betrieben, in denen noch Gewerkschaften existieren, sollen diese schnell durch Neuwahlen arbeitsfähige und von der Belegschaft legitimierte Leitungen erhalten und ihre Rechte entsprechend dem noch gültigen Arbeitsgesetzbuch ausschöpfen.
- Analog sollen in den Betrieben ohne Gewerkschaften Interessenvertretungen der Werktätigen gewählt werden. Diese sollen, solange noch kein Betriebsverfassungsgesetz in der DDR existiert, mit der Betriebsleitung an einem Runden Tisch ihre Interessen vertreten, da sie den Gewerkschaften laut AGB zustehende Rechte nicht verbindlich einfordern können.
2. In Betrieben mit überwiegend privatem Eigentum:
- Das noch geltende AGB ist für diese Betriebe bindend und damit der gewerkschaftliche Einfluss vorläufig abgesichert.
- Ohne die Gewerkschaft hat hier die Belegschaft keine Rechte. (Sie kann eine Interessenvertretung wählen, ob der Betriebsleiter die Interessen respektiert, ist seine Sache.) Die einzige Möglichkeit, um hier eine solide Mitbestimmung zu gewährleisten, wäre ein Betriebsverfassungsgesetz.
In dem zu schauenden Betriebsverfassungsgesetz muss enthalten sein:
Die Zustimmung der Vertretungen der Werktätigen sind erforderlich für
- Auswahl der Handels-, Kooperations- und Finanzpartner einschließlich der einzugehender Vertragsbedingungen,
- innerbetriebliche Leitungsstruktur,
- Kaderfragen,
- Produktions- und Entwicklungsstruktur,
- Änderung der Eigentumsverhältnisse.
Die Vertretungen der Werktätigen haben die Einhaltung
- der Umweltnormen,
- der leistungsgerechten Entlohnung,
- der Eingliederung von Behinderten und Geschädigten in den Produktionsprozess sowie
- der sozialen und kulturellen Maßnahmen durchzusetzen.
aus: freie presse, Nr. 22, 26.01.1990, 28. Jahrgang, Karl-Marx-Stadt