INITIATIVE FÜR EINE VEREINIGTE LINKE BERLIN
1. Wie steht die VL zur Frage der "deutschen Einheit"?
Wir treten ein für die Verteidigung der Souveränität der DDR gegenüber allen Forderungen nach einer schnellen "Wiedervereinigung" als Angliederung an die BRD. Damit verteidigen wir die Chance einer wirklichen Alternative zum Kapitalismus im Sinne einer Gesellschaft der sozialistischen Freiheit und Demokratie. Selbstbestimmung heißt für uns nicht Unterwerfung unter das politische und wirtschaftliche System des Kapitalismus, sondern eigenverantwortliche Gestaltung unserer Zukunft. Ebensowenig wollen wir den stufenweisen Ausverkauf zu den Bedingungen des Auslandskapitals: Die Verwandlung der DDR in ein Billiglohnland und eine verlängerte Werkbank der BRD. Wir wollen die schnelle Aufnahme von Verhandlungen mit der BRD über die langfristige Ausgestaltung des Grundlagenvertrags im Sinne einer Vertragsgemeinschaft entsprechend dem Grundsatz "Zwei Staaten - eine Nation" bei gegenseitiger staatsrechtlicher Anerkennung. Wir wollen die Entwicklung enger wirtschaftlicher und politischer Beziehungen bei Ausbau aller Aspekte des gemeinsamen nationalen Zusammenhangs und die Ausarbeitung eines verbindlichen Rahmens zur Wahrnehmung gesamtdeutscher Verantwortung, insbesondere für den Frieden. Wir unterstützen eine gemeinsame Garantieerklärung beider deutscher Staaten für die polnische Westgrenze.
2. Wie steht die VL zur "Alternative Plan- oder Marktwirtschaft"?
In der DDR ist nicht die Planwirtschaft gescheitert, sondern ein als "Planung" getarntes System bürokratischer Kommandowirtschaft. Dies ist eine besonders schädliche Form von Planlosigkeit, weil ein auf riesige Apparate gestützter Dirigismus die verheerenden Folgen seines Handelns durch penetrante Erfolgspropaganda verschleierte. So brauchen wir nicht etwa weniger, sondern mehr Planung - jedoch eine ökonomisch begründete, mit Wert- und Preisregulativen arbeitende, auf betrieblicher Selbstverwaltung gestützte bedürfnisgerechte Wirtschaftsregulation, die sich auch über die Ausnutzung von Marktmechanismen verwirklicht. Neben der verantwortungsbewussten zentralen Planung infrastruktureller Bereiche müssen Marktregulative wirken, die bedarfsgerecht Produktion insbesondere von Massengütern und Proportionalität sichern. Der Staat soll nicht mehr dirigierend, sondern regulierend auf die betriebswirtschaftliche Planung selbstverwalteter Unternehmen einwirken. Planung im volkswirtschaftlichen Sinne wird sich so "von unten nach oben" unter zentral beeinflussten Rahmenbedingungen durchsetzen. Die Scheinalternative "Plan- oder Marktwirtschaft" wird von den Befürwortern einer "sozialen Marktwirtschaft" in der jetzt stattfindenden Diskussion benutzt, um einen alles andere als sozialen Kapitalismus als "die Lösung" auch für die DDR anzubieten.
3. Was hält die VL von einer Währungsreform in der DDR?
Sofortige Währungsreform in der DDR hin zu voller Konvertibilität der Mark ohne parallelen Leistungsanstieg in der Wirtschaft hieße heute Abwertung der Währung, Entwertung von Löhnen und Spareinlagen und Preisanstieg. Eine "Reform" der Wirtschaft nur über Geldmechanismen und ohne dämpfende Staatsregulation ist eine unkontrollierbare Schocktherapie. Dies hieße Aufgabe der DDR statt Sanierung ihrer Wirtschaft - also ihre Auslieferung an die Wirtschaftsübermacht der BRD. Hier würden die Folgen bisheriger bürokratischer Misswirtschaft auf Europa abgewälzt, statt dass in europäischer Kooperation die DDR aus eigener Kraft diese Folgen beseitigt. Wir wollen schrittweise eine im Volk diskutierte Konzeption des Abbaus von verschwendungs- und effektivitätshemmenden Subventionen durchführen und die Angleichung der wichtigsten Industriepreise an die des Weltmarkts vornehmen. Dies darf nicht auf Kosten der sozial Schwachen geschehen. Die Erreichung einer Teilkonvertibilität der Mark über einen gesamteuropäischen Währungsfond würde den Wechselkurs stabilisieren und einen Entwicklungskredit mit freier Verfügung ermöglichen und zum erforderlichen Leistungsanstieg beitragen.
4. Was hält die VL von einem EG-Beitritt?
Ein Stabilisierungsverbund osteuropäischer Länder, das als "Schuldnerkartell" die Möglichkeiten einer engen Zusammenarbeit mit der EG prüft, wird die guten Möglichkeiten, die das westeuropäische Währungssystem auf der Grundlage der ECU bietet, nutzen können, wenn Bereitschaft zu beiderseits vorteilhafter Kooperation besteht. Wir stehen einer engen Zusammenarbeit der RGW-Länder mit der EG positiv gegenüber und setzen die Priorität auf die Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen in einem reformierten RGW. Ein einseitiger EG-Beitritt der DDR mit allen Konsequenzen würde heute nichts anderes, als den nominellen Verlust der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit unseres Landes bedeuten.
5. Wie denkt man in der VL über einen Austritt der DDR aus der WVO?
Für uns ist die Perspektive nicht der einseitige Austritt, sondern eine Auflösung beider Blöcke als Resultat (nicht als Voraussetzung) politischer Entspannung, vertraglich geregelter kontrollierter Abrüstung und auf Defensivkonzepte umgestellter Militärdoktrinen beider Seiten. Ein paralleler Austritt beider deutscher Staaten (also die Neutralität) ist aufgrund der unterschiedlichen Bedeutung von BRD und DDR in ihren Bündnissen weniger realisierbar, als die genannte Lösung. Die deutsche Chance liegt in der Rolle des Schrittmachers in Europa bei forcierten (auch einseitigen) Abrüstungsschritten.
6. "Wer sichert den Staat"?
Heute gilt: Keine Staatssicherheit, kein nationales Sicherheitsamt und bis zu den Wahlen auch kein Verfassungsschutz. Zu schützen ist in erster Linie das Volk und nicht der Staat. Wir haben uns im Innern nicht nur vor rechtsextremen und faschistischen Kräften, sondern auch vor dem in Kadern des ehemaligen MfS personifizierten Stalinismus zu schützen. Der legitime Schutz der Verfassung kann sich wirksam nur auf die basisdemokratisch organisierte Volksbewegung und Rechtssicherheit im Innern stützen. Ein Verfassungsschutz ist nicht nur unter Parlamentskontrolle zu stellen, sondern seine Verselbständigung als Apparat ist durch Volkskontrolle zu verhindern. Ist dies gesichert, so kann auch eine solche Einrichtung zum Schutz der Verfassung beitragen. Die Notwendigkeit eines Nachrichtendienstes zur Gewährleistung äußeren Sicherheit versteht sich für uns von selbst und muss wie die Armee ebenso der Kontrolle unterworfen sein.
7. Ist die Umwelt zu retten?
Die Rettung der Umwelt wird, wenn sie noch möglich werden soll, in letzter Minute erfolgen! Dies erfordert ein neues Denken, das Länder- und Systemgrenzen überschreitet und die Menschen als Notgemeinschaft handlungsfähig machen muss. Nur dann wird dies gelingen. Und die Möglichkeiten liegen auf der Hand, wenn etwa an eine koordinierte Umlenkung der Mittel zur Rüstungsproduktion gedacht wird, falls solche Reserven sich im Vollzug weltweiter Abrüstung erschließen. Diese Mittel können zur Welthungerbekämpfung und zur technologischen Modernisierung im Namen der "ökologischen Vorbeugung" (ressourcensparendes Wirtschaften, Ablösung umweltzerstörender Technologien ect.) eingesetzt werden, wenn dies gemeinsam mit einem Druck von unten, durch ökologische Basisbewegungen auf die Regierungen, einhergeht. Somit ist der Kampf um unsere Umwelt nicht nur ein administratives, technologisches oder ideologisches Problem, sondern vor allem ein politischer Kampf, in dem wirtschaftliche Sonderinteressen nur zu oft und immer noch den Schaden vergrößern.
8. Wer rettet unsere Städte?
Kommunale Selbstverwaltung und Mittelumlenkung aus staatlicher Verfügung in die Kommunen können allen, die unmittelbar Leidtragende der Verwahrlosung städtischer Infrastruktur sind, helfen. Sie sind als Hauptbetroffene der Folgen organisierter Verantwortungslosigkeit am besten in der Lage, mit diesen Mitteln das Richtige zu tun. Die Städte sind auf Dauer nur durch die Initiative der in ihnen lebenden Menschen zu retten und dann auch lebenswert zu erhalten, selbst wenn zentrale Sonderfonds und internationale Hilfe jetzt vielen nicht zu Unrecht als das einzige (weil letzte) Mittel erscheint.
9. Was bleibt vom Sozialismus?
Unser Land ist über lange Zeit dem Diktat selbstherrlicher Bürokraten ausgeliefert gewesen, die ihre Misswirtschaft mit unerträglicher Sozialismusdemagogie verbrämten. Eine der verheerendsten Konsequenzen des Missbrauchs dieses Begriffs ist, dass viele Menschen in unserem Land den Stalinismus mit Sozialismus zu identifizieren begannen. In der großen Koalition von Kohl bis Honecker hieß es, es gäbe keine Alternative zwischen Kapitalismus und eben jenem als "Sozialismus" auftretenden Stalinismus. Wir sagen: Jene Alternative ist auch heute noch SOZIALISMUS; ein Sozialismus der Freiheit und der Demokratie, ein auf Volkssouveränität beruhendes Gemeinwesen selbstverwalteter Betriebe und Kommunen, deren Räte unmittelbar die Interessen der Menschen vertreten. Er ist heute das Einfache, was nach vierzig Jahren Stalinismus nur noch schwerer zu machen sein wird.
Er ist nicht gescheitert, weil er noch nicht begonnen wurde. Wird er begonnen, beginnt die konkrete Alternative zu Kapitalismus und Stalinismus.
10. Abrechnen oder vergessen?
Wer die eigene Erfahrung vergisst, liefert sich wiederum aus.
Wer die Alternative zu Kapitalismus und Stalinismus, also den Sozialismus, will, wird nicht vergessen dürfen, was Stalinismus ist, sondern begreifen müssen, wie er möglich wurde. Er ist weder die Erfindung zynischer Technokraten der Macht, noch gesetzmäßiges Resultat bisheriger Anstrengungen für eine sozialistische Alternative. Man wird ihn als geschichtliches Produkt benennbarer Ursachen begreifen, dessen Wurzeln weit in die Geschichte dieses Jahrhunderts zurückreichen und der nicht unabwendbar war. Nur so kann man mit ihm abrechnen. Diese Abrechnung hat eine andere Logik, als die Abrechnung mit den Sachwaltern dieses Systems. Sie ist mehr, als die Bestrafung der Schuldigen. Sie trägt dazu bei, dass er nie wieder möglich wird.
(20.1.90 erscheint im Sonderheft des Stern zu den DDR-Wahlen /red)
aus: gesammelte Flugschriften DDR `90, Heft 3, März 1990, erstellt von der Initiative für eine Vereinigte Linke, Technische Gestaltung, Produktion und Vertrieb: ASTA TU Berlin