Bericht der AG Selbstverwaltung und Betrieb an das Plenum
Die Arbeitsgruppe hat im Schwerpunkt zu drei PROBLEMFELDERN diskutiert:
- Die Reaktion der Gesellschaftswissenschaften auf die Krise des staatsbürokratischen Kommandosystems;
- Die Ursachen der Systemkrise
- Sofortprogramm und Reformvorstellungen.
Dabei wurden drei WIDERSPRÜCHE teilweise äußerst kontrovers, aber erstaunlich diszipliniert, diskutiert:
- Worin unterscheidet sich dieser bürokratische Sozialismus vom Kapitalismus, wenn Volkseigentum in der alleinigen Form von Staatseigentum nicht gemeinschaftliches, sondern Privateigentum ist und Arbeit daher Lohnarbeit?
- Ist es möglich, ohne Neubestimmung des 'Fernziels' einer zu schaffenden sozialistischen Gesellschaft über Sofortmaßnahmen zu diskutieren, ohne die jede Chance auf Sozialismusentwicklung in kurzer Zeit vergeben ist?
- Ist die Hauptrichtung eines Sofortprogramms - Verbindung der Arbeiter mit ihrem Eigentum über schritt- und stufenweise Lohnfondsuebergabe - realisierbar, wenn massenhaft jedes Motiv zur Arbeit fehlt?
- Ist die Möglichkeit der direkten Gestaltung der Produktions- und Reproduktionsprozesse ein wesentliches Motiv für sozialistisches Engagement des einzelnen?
- Wie kann bei einer solchen Selbstverwaltung das Gesamtinteresse der Gesellschaft durchgesetzt werden?
In der DISKUSSION wurde die Frage nach dem Systemunterschied nicht schlüssig geklärt und zugunsten der Perspektivendiskussion abgebrochen. Es gelang eine Übereinkunft, sich auf den Streit über ein Sofortprogramm zu konzentrieren, weil sonst eine Einflussnahme auf Massnahmen der Krisenbewältigung nicht möglich wäre.
Die wichtigsten Ergebnisse der Diskussion wurden als Konsens- und Dissensaussagen formuliert und durch die Arbeitsgruppe gebilligt.
Sie liegen als ERKLÄRUNG vor.
24.11.89
Vereinigte Linke/AG Thema 8
ERKLÄRUNG
Durch Abstimmung im Plenum der Arbeitsgruppe wurde flg. Erklärung bestätigt:
1.) Wissenschaft und Krise
Die Bildung von gesellschaftswissenschaftlichen Initiativgruppen in den Institutionen von Staat und gesellschaftlichen Organisationen ist ein wichtiger Schritt, um arbeitsfähig zu werden.
Die vorhandenen Gruppen haben schon Konzepte zu den Ursachen der Krise, zu einem Sofortprogramm und Reformen. Ihre Koordinierung untereinander kommt nicht voran. Die Initiative für eine Vereinigte Linke (IVL) muss sich für ihre Integration engagieren.
Die Wissenschaftsgruppen ebenso wie die noch informellen haben die Verpflichtung, so konkret zu arbeiten, dass Arbeiterforderungen erreicht und Kontakt zu Arbeitergruppen geschlossen wird. Dazu müssen die vorhandenen Organisationen (Gewerkschaft und Parteien) genutzt werden.
2.) Krise und Umbau
Die Hauptursache der Krise ist das ökonomische und politische Macht- und Eigentumsmonopol von Staat und SED. Es muss gebrochen werden. Macht und Eigentum müssen geteilt werden.
Selbstgestaltung von humanistischen Produktions- und Reproduktionsprozessen durch Produzentengruppen und Individuen muss beginnen und ist Bedingung und Inhalt einer Neubestimmung von Sozialismus. (Ziel)
3.) Fondsübergabe und ökonomische Selbstverwaltung
Stufenweise Übergabe von Fonds (finanziellen und materiellen) bis in die Arbeitsgruppen hinein ist ökonomische Grundlage einer Alternative zur heutigen Zentralisierung von Eigentum und Macht. (Weg, Mittel)
Durch solche Übergaben von Eigentum und Fonds ist über Plandiskussion die Blockierung unrealer zentraler Vorgaben und die Durchsetzung eines akzeptierten Plans möglich. Das ist ein wesentlicher Teil von Gesellschaftgestaltung über die Betriebsebene hinaus.
4.) Dissens- Positionen
Strittig ist, ob die Realisierung dieses Weges zur Selbstverwaltung in Abhängigkeit vom kapitalistischen Weltmarkt möglich ist.
Keinen Konsens gibt es zur direkten Besitzergreifung der Produktionsmittel durch die Arbeiter.
Offen bleibt die Formulierung von Sozialismus-Werten, die die Möglichkeit von Gesellschaftsgestaltung als alternatives System[unleserlich] konkret untersetzt und erweitert.
aus 1. DDR - weites Arbeitstreffen der Initiative Vereinigte Linke 25./26. November 1989, Konferenz Reader, Herausgeber: Initiative Vereinigte Linke Berlin