Stellungnahme der "Vereinigten Linken" Berlin zum Besuch Modrows in Bonn
Ministerpräsident Modrow hat in seiner Erklärung zu Beginn der Bonner Pressekonferenz in dankenswerter Offenheit zum Ausdruck gebracht, worüber er verhandelt hat: Über die Substanz der DDR, also ihre Bevölkerung und das Nettonationalvermögen von 1,4 Billionen Mark einschließlich des Staatseigentums von 980 Milliarden Mark und 6,2 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche. Dies, so sagte Modrow, hat die DDR in ein künftiges Deutschland einzubringen. Bundeskanzler Kohl blieb in seinem Sinne nichts schuldig: er kündigte seitens der BRD an, dass immerhin die DM als schnellstes Pferd im bundesdeutschen Stall in's Wiedervereinigungsrennen geschickt wird. Modrow nützte die Gelegenheit, um vorwurfsvoll anzumerken, dass die, welche heute rasch und gern von einer instabilen DDR oder deren schwieriger Wirtschaftslage sprächen, den Preis der Vereinigung zu Lasten des Volkes drücken wollten. Wer fragt da noch, wer der Käufer und wer der Verkäufer ist? Ist noch immer nicht klar, wer den Preis macht und was verkauft werden soll? Hier wird mit einer BRD-Regierung verhandelt, deren Chef sich wiederum weigerte, die Nachkriegsgrenzen definitiv anzuerkennen und kurz darauf sogar verlauten ließ, mit ihm sei ein neutrales Deutschland nicht zu haben, selbst wenn eine Mehrheit dafür wäre. Angesichts dessen ist wohl auch die Antwort auf die Frage klar, was uns hinsichtlich des Prozesses der Angleichung der Rechts- und Sozialsysteme beider Staaten erwartet, wenn es nach der CDU geht:
Legalisierung der Republikaner in ganz Deutschland, permanente Berufsverbotsandrohung für Linke und anpassungsunwillige Demokraten, Werktätige als Arbeitsmarkt-Freiwild mit allen bekannten Konsequenzen usw.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Lothar Späth hat die Sache brutal auf den Punkt gebracht: Es geht um die bedingungslose Kapitulation der DDR zu den Bedingungen des wirtschaftlich Mächtigeren. Berghofer fordert in Stuttgart postwendend im Chor mit Späth, dass die DDR schnellstmöglichst die BRD-Wirtschaftsordnung übernehmen solle. Wer all dies ernst nimmt, versteht auch, warum die vollmundigen Hilfsankündigungen Kohls in Dresden schnöde Rhetorik geblieben sind und die Bonner Verhandlungen in Absichtserklärungen zur Bildung von Expertengremien für die Herbeiführung einer Wirtschafts- und Währungsunion "gipfelten". Es geht ganz einfach um die Verbesserung der Geschäftsbedingungen zum Sofortanschluss der DDR nach Wahlen am 18. März, wenn eine neue Regierung womöglich noch bereitwilliger darauf einzugehen bereit ist. Solange wird gewartet. Um so mehr, als man es mit einer DDR-Regierung zu tun hat, die wie ein Kaninchen vor der hilfsbereiten Schlange zurückweicht, bis endlich die Vereinigung im Magen der Schlange erfolgen kann. Mit Recht denkt sich Kohl, so wird sich die DDR schon selbst übergabereif zerrütten.
Bis auf einige Minister ohne Geschäftsbereich haben kaum noch Leute Grund, sich über die Strategie der CDU/CSU zu wundern. Wer jetzt seiner Enttäuschung Luft macht, muss lernen, dass er sich getäuscht hat, ohne getäuscht worden zu sein. Denn deutlicher, als mit fingierten Bankrottzuweisungen aus BRD-Regierungskreisen an die Adresse der DDR, wie vor der Modrow-Reise geschehen, kann man gar nicht die eigenen Absichten offenlegen.
Was ist zur Entwicklung Modrow'scher Regierungspolitik zu sagen? Nach Bekräftigung des Willens für einen eigenen Weg der DDR in der Antrittserklärung bedurfte es nur einiger Monate inkonsequenter Wirtschaftsreformspielchen, halbherziger Vergangenheitsbewältigung und steten Zurückweichens vor den ausufernden Konsequenzen selbst verschuldeten Rechtsdrucks, bis Modrow im Alleingang seinen 3-Punkte-Plan zur Wiedervereinigung zum Maßstab von Regierungspolitik machte. Das fragwürdige Wirtschaftsreformkonzept von Frau Luft hängt nun vollends in der Luft: Sobald alles nur noch von der Währungsunion spricht, sind selbst ihr die Grundlagen entzogen und die stellvertretende Ministerpräsidentin beschwert sich fassungslos bei Bonner Regierungsstellen, dass ihr Fortschritte in Sachen Währungsunion über die Presse bekanntgegeben werden. Die DDR-Regierung macht schon geraume Zeit keine "Reformpolitik" mehr, sondern handelt in "Nationaler Verantwortung" die Konditionen der Übergabe aus. Die beschwörenden Appelle der DDR-Regierung an die Adresse der BRD, den sozialen Besitzstand der DDR-Bevölkerung sichern zu helfen, sind falsch platziert. Das Kapital hat nichts zu verschenken und wird seinen Schnitt machen - und sich dabei der Mitwirkung neuer alter Manager der DDR-Wirtschaft versichern, die als ehemalige Betriebs- oder Kombinatsdirektoren sicher schon auf Staatsbankkredite warten, um sich als Hauptgesellschafter bald reprivatisierter VEB's den neuen Herren anzubieten. Warum sollte hier ein der DDR zustehender Kompensationsbetrag für die gewaltigen Reparationsleistungen, welche die DDR auch anstelle der Marshall-Plan-gepäppelten BRD nach dem Krieg zu zahlen gezwungen war (und den Modrow jetzt verschämt "Solidarbeitrag" nennt) noch gezahlt werden? Einen solchen Lastenausgleich wird es nicht geben, wohl aber dosiertes Kapital zu genau kalkulierten Verwertungsbedingungen.
Langsam wird überall in der Bevölkerung klar, was da auf uns zurollt. Und klarer wird auch, auf wessen Kosten die Sanierung der DDR à la Anschlusspolitik gehen wird: Eigentumsansprüche alter und neuer Boden-, Grundstücks- und Immobilieneigner, Enteignungsdruck und Reprivatisierungskurs bei Massenbankrotten und explodierenden Arbeitslosenraten, Sozialabbau bis hin zur Schulspeisung und Reallohnsenkungen für die werktätige Bevölkerung auch in der BRD.
Dafür ist die Bevölkerung der DDR im Oktober nicht auf die Straße gegangen. Auch die Menschen, welche heute infolge des Fehlens jeder greifbaren Alternative bei Massendemonstrationen die Wiedervereinigung als Sofortlösung befürworten, werden sich vielleicht bald mit den anderen vom Oktober auf der Straße wiedertreffen, wenn gegen den Sozialabbau demonstriert werden muss. Schließen wir alle uns zusammen, um uns zu wehren! Lassen wir uns nicht einreden, es gäbe für uns keine andere Chance, als uns bedingungslos neuen Ausbeutern zu unterwerfen! Eine konsequente Wirtschaftsreform bei Stärkung der Werktätigen-Mitspracherechte ist nur von der Regierung, nicht aber durch uns von der Tagesordnung gestrichen worden! Die internationale Wirtschaftskooperation nicht auch auf andere Partner zum gegenseitigen Vorteil auszudehnen hat keinen anderen Grund, als den der Kapitulation vor bundesdeutscher Wirtschaftübermacht! Die Regierung wird weder den sozialen Besitzstand des werktätigen Volkes, noch unser Recht auf einen besseren Weg als den des uns offerierten gediegenen BRD-Kapitalismus verteidigen! Vor der Einheit Deutschlands zu bundesdeutschen Bedingungen hat die Einheit der Werktätigen bei der solidarischen Verteidigung ihrer Rechte unter allen Bedingungen Vorrang.
Berlin, den 16.2.1990
(wg. Nichtreproduzierbarkeit abgetippt /red)
aus: gesammelte Flugschriften DDR `90, Heft 3, März 1990, erstellt von der Initiative für eine Vereinigte Linke, Technische Gestaltung, Produktion und Vertrieb: ASTA TU Berlin