Bei den Verhandlungen zwischen der Modrow-Regierung, den Vertretern der Koalitionsparteien und den oppositionellen Gruppen und Parteien über den Eintritt in die Regierung am 28.01.1990 stimmte die VL trotz Bedenken dem Eintritt zu. Zu groß war die Angst sich von der übrigen Opposition zu isolieren und als Sektierer dazustehen. Die Verkündung Modrows Konzept "Deutschland einig Vaterland" am 01.02.1990 nahm dann die VL zum willkommenen Anlass aus der ungeliebten Regierungsbeteiligung auszusteigen.
Erklärung der Vertreter der "Vereinigten Linken" zu den Gesprächen über eine Beteiligung der Opposition an der Regierungsverantwortung
Die Modrow-Regierung hat am 22.1.1990 weitreichende Zusammenarbeitsangebote an die Adresse der nicht in der Volkskammer vertretenen Parteien und politischen Bewegungen am "Runden Tisch" gemacht.
Dass diese Angebote bis hin zur direkten Regierungsbeteiligung reichten, ist nicht nur Ausdruck der Krise dieser Koalition, sondern auch Ausdruck der sich vertiefenden Krise im Land selbst als Folge der Politik dieser Regierung: Einerseits wuchs der Zorn in der Bevölkerung über die halbherzige Abrechnung mit den Auswüchsen des Stalinismus. Andererseits wächst das Misstrauen gegenüber der SED als führender Koalitionspartei, welche die Chance, sich an die Spitze einer konsequenten Abrechnung mit ihrer eigenen Vergangenheit zu setzen, verpasst hat. Und zum Dritten hat diese Regierung bis in den Januar hinein den Versuch unternommen, auf eigene Rechnung, an der Öffentlichkeit und am "Runden Tisch" vorbei Reformen "von oben" zu realisieren. Das Ergebnis ist auch hier nur wieder, dass die Verunsicherung wächst und die sozialen Ängste zunehmen.
Wir sehen die Modrow-Regierung als politischen Arm einer technokratischen Reformströmung, die Marktwirtschaft und Kapitalimport als Sanierungskonzept und uneingeschränkten Parlamentarismus als politisches System favorisiert. Das Ergebnis bisheriger Politik dieser Regierung ist eine neue gesamtgesellschaftliche Krise: Die kommunalen Strukturen beginnen unter anderem infolge zu spät begonnener Aufklärung des Wahlbetrugs vom Mai 1989 zu zerfallen und fortschreitender Autoritätsverlust der Exekutive auf allen Ebenen ist ebenso zu konstatieren, wie zunehmende Missachtung geltenden Rechts. Die CDU destabilisiert trotz augenscheinlicher Krisenmerkmale die Regierung zusätzlich. Mehr und mehr steht nun die staatliche Souveränität der DDR auf dem Spiel und diese Souveränität wird mit dem Fortschreiten dieser Krise von verschiedenen politischen Strömungen des Landes selbst immer deutlicher in Frage gestellt. Die Modrow-Regierung ist vor dem Druck von Rechts aus dem In- und Ausland immer weiter zurückgewichen.
In dieser Situation wurde die Opposition aufgerufen, die politische Basis der Regierung breiter zu machen.
Die "Vereinigte Linke" konnte an den Gesprächen über die Möglichkeiten der Übernahme von Regierungsmitverantwortung seitens der Opposition nur mit dem Ziel teilnehmen, mit allen bereitwilligen Kräften ein Bündnis für eine Alternative zu dieser Regierungspolitik zu erreichen. Wir werden nicht zusehen, wenn unser Land in Perspektivlosigkeit verharrend sich an den Meistbietenden verkauft. Auf lange Sicht kann eine solche Alternative nur in der Herausbildung eines neuen Selbstbewusstseins für die Chance eines eigenständigen demokratischen Wegs der DDR sein. Wir sehen in den demokratischen Bürgerbewegungen des Landes Verbündete, mit denen Fortschritte auf diesem Weg möglich werden können. Doch in diesen Tagen haben politische Destabilisierung, soziale Ängste und nationalistische Aktivitäten bis hin zu rechtsradikalen Ausschreitungen gefährlich zugenommen. Hier sind alle demokratischen Parteien und Bewegungen, namentlich die der Opposition, gefordert, schlimmeres zu verhindern.
Aber die Opposition war inzwischen einem rasanten Differenzierungsprozess unterworfen. Der "Demokratische Aufbruch" fordert inzwischen offen die Reprivatisierung auf breiter Ebene und orientiert auf die Wiedervereinigung lieber heute als morgen. Die "neuen Kader" der SPD scheinen in erster Linie die Macht über einen Wahlsieg und weniger einen Konsens mit den Bürgerbewegungen zu wollen. Die Vorgespräche am "kleinen Runden Tisch der Opposition" vom Freitag, dem 26. 1. haben in aller Deutlichkeit gezeigt, dass der Riss zwischen Parteien und Bürgerbewegungen nicht mehr zu kitten ist. Mit der "Vereinigten Linken" jedenfalls ist in der deutschen Frage und auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik kein Konsens mit bedingungslosen Verfechtern eines kapitalistischen Gesamtdeutschland zu haben. Wir werden aber unsere Bemühungen um ein basisdemokratisches Bündnis mit den Bürgerbewegungen deshalb nicht in Frage stellen, sondern eher verstärken.
Am vergangenen Freitag gelang es, nach zäher und kontroverser Debatte einen Kompromiss zwischen Bürgerbewegungen einerseits und den neuen Parteien "Demokratischer Aufbruch" und SPD andererseits zu erreichen: Die Opposition reagierte auf die Aufforderung Modrows nach Regierungsbeteiligung mit dem Angebot, den "Runden Tisch" als öffentliches Organ der Kontrolle aufzuwerten in Richtung einer Zusammenarbeit von Regierung und Volkskammer bei Gesetzgebungsverfahren. Außerdem wurde die Nominierung von Kandidatinnen und Kandidaten für eine Partei unabhängige Personalregierung vom "Runden Tisch" aus vorgeschlagen. Ein solches Ergebnis konnte angesichts der Krise im Land und der Differenzen in der Opposition als Erfolg gewertet werden, obwohl wir im Namen der "Vereinigten Linken" mehrfach scharf kritisierten, dass es am Freitag nicht gelang, zu erreichende Ziele einer von der Opposition zu unterstützenden Personalregierung auch nur zu diskutieren.
Am Sonntag nun wurde der gemeinsame Vorschlag der Opposition von Ministerpräsident Modrow und den Vertretern der Koalitionsparteien abgelehnt. Modrow qualifizierte den Vorschlag der Opposition als den Versuch der Installierung einer "Doppelherrschaft" und kündigte einen Vorstoß für Neuwahlen der Volkskammer schon für den 18. März an.
Wir haben für die "Vereinigte Linke" in der nachfolgenden Aussprache ausdrücklich das gemeinsame Votum der Opposition vom Freitag bekräftigt und bedauern, dass alle Bürgerbewegungen nacheinander diesen Ausgangspunkt aufgaben. Unter den neuen Voraussetzungen eines zu erwartenden vorgezogenen Wahltermins sehen wir die Übernahme von Regierungsverantwortung durch die Opposition für eine Stabilisierung der Lage bis zu den Wahlen als Kompromiss an, der dem Ernst der entstandenen Lage im Land Rechnung trägt.
Berlin, den 29.01.1990
Thomas Klein, Bernd Gehrke
(wegen Nichtreproduzierbarkeit abgetippt /red)
aus: gesammelte Flugschriften DDR `90, Heft 3, März 1990, erstellt von der Initiative für eine Vereinigte Linke, Technische Gestaltung, Produktion und Vertrieb: ASTA TU Berlin