Presseerklärung der Vertreter der Initiative "Vereinigte Linke" zu den Ergebnissen des "Runden Tisches" vom 18.12., 22.12. und 27.12.1989

Am 7.12.1989 wurde vom "Runden Tisch" aus die Offenlegung der wirtschaftlichen, finanziellen und ökologischen Situation des Landes durch die Regierung gefordert. In einer Presseerklärung vom 8.12. wiesen die Vertreter der "Vereinigten Linken" darauf hin, dass "vielerorts ... die von SED-Richtlinien befreiten Betriebe- und Kombinatsleitungen beginnen, in Ausnutzung der Agonie der Gewerkschaften selbstherrlich Entscheidungen zu treffen, kommerzielle Kontakte mit potentiellen ausländischen Kapitalgebern auf zunehmen und kontrolliert Vertragsabschlüsse in Erwartung signalisierter gesetzgeberischer Schritte der Modrow-Regierung vorzubereiten." Die Wirtschaftsministerin Frau Luft erklärte am 22.12. an "Runden Tisch", die Regierung stehe angesichts zunehmender Forderungen nach Ablösung von Betriebsdirektoren fest hinter diesen Direktoren. Inzwischen haben die Regierungsparteien CDU und LDPD die Perspektive des Sozialismus aus ihrer politischen Programmatik verabschiedet. Die Unsicherheit in der Bevölkerung wächst, ob und wie mit der Modrow-Regierung noch an dieser Perspektive festgehalten werden soll. Auch deshalb werden die Stimmen nach einer Wiedervereinigung mit der kapitalistischen BRD lauter.

Am 18.12. fehlten aussagefähige Regierungsvertreter am "Runden Tisch" und die Forderung vom 7.12. blieb uneingelöst. Die Vertreter aller Regierungsparteien sind ihrer besonderen Verantwortung für die unverzügliche Einlösung dieser Forderung nicht gerecht geworden. Vor allem infolge der massiven Proteste von Vertretern der Opposition konnte dann am 22.12. eine außerordentliche Anhörung der Wirtschaftsministerin Frau Luft und anderer Regierungsvertreter anberaumt werden.

Nicht nur unserer Auffassung nach waren die gegebenen Informationen weder hinreichend, noch konkret genug. Ein nach der Anhörung vorgelegter umfangreicher Katalog ungeklärter Fragen der Opposition zur Wirtschaftslage und zur Wirksamkeit der angekündigten Sofortmaßnahmen insbesondere zum Schutz der Wirtschaft vor dem Ausverkauf subventionierter Güter und Dienstleistungen belegen dies erschöpfend. Die Ministerin versicherte, DDR-Unternehmen würden weder auf die Anteilsmajorität bei joint ventures (welche die Gültigkeit des Arbeitsrechts der DDR garantiere) verzichten, noch seien laufende Kontakte bereits zu Verträgen gediehen, da die gesetzlichen Grundlagen fehlten. Am gleichen Tag wurde bekannt, dass der DDR-Automobilbau mit dem VW-Konzern Wolfsburg auf der Grundlage 50-50 bereits einig sei.

Die von den Vertretern der "Vereinigten Linken" gestellten Fragen nach dem Konzept der Regierung sind unbeantwortet geblieben. Wenn am 3.1. am "Runden Tisch" erneut in Anwesenheit von Regierungsbeauftragten über Wirtschaftsfragen gesprochen wird, haben die Ressortminister schon über ein Stabilisierungsprogramm für die Produktion, den Binnenmarkt, die Staatsfinanzen und die Außenwirtschaft für 1990 beraten. Wie das Staatseigentum durch Demokratisierung in Volkseigentum verwandelt werden kam, scheint die Regierung kaum zu beschäftigen. Richtungsweisende Gesetze zur Kapitalkooperation sind aber angesichts startbereiter westlicher Unternehmen schon für die nächste Zeit angekündigt worden. In der Staatlichen Plankommission denkt man sogar schon über inländisches Kapital nach und die Regierung hat durch Suspendierung von Beschränkungen für private Wirtschaftsunternehmen unter Hinweis auf ins Haus stehende Verfassungsänderungen bereits den Weg gewiesen. Fragen nach offenbar laufenden Verhandlungen über die Errichtung von Kernkraftwerken durch BRD-Firmen blieben unbeantwortet. Ein neues Energiekonzept für die DDR ist jedoch frühestens im April 1990 angekündigt - ebenso ein volkswirtschaftliches Strukturkonzept und Programme für eine neue Umweltpolitik.

Was ist von alledem zu halten?

Hier beginnt eine geschäftsführende Übergangsregierung auf gesetzgeberischem Wege vollendete Tatsachen der Veränderung unseres Wirtschafts- und Sozialgefüges zu schaffen. Ohne Strukturkonzepte drohen Entscheidungen zu fallen, die etwa unsere Energiepolitik über die Köpfe der Werktätigen und am "Runden Tisch" vorbei auf Jahrzehnte festlegen. Was anfangs noch wie ein Notprogramm zur Sanierung unserer am Boden liegenden Volkswirtschaft auch mit Hilfe ausländischen Kapitals aussah, nimmt nun Formen an, die solche Kapitalkooperation zu den Bedingungen des Westens als tragende Säule einer "Wirtschaftsreform" erscheinen lassen. Entpuppt sich die Modrow-Regierung als der politische Arm eines technokratischen Reformflügels, der mir zu gern die Anpassung an ein System kapitalistischen Wirtschaftens vollziehen möchte? Werden hier die ökonomischen Fundamente einer Wiedervereinigung gelegt?

Die Gelegenheit scheint günstig. Immer mehr auch neue politische Kräfte des Landes verwässern die Perspektive eines sich auf der Grundlage gesellschaftlichen Eigentums an den Hauptproduktionsmitteln entwickelnden sozialistischen Gemeinwesens und geben Ängsten vor Arbeitslosigkeit und dem Abbau sozialer Sicherheit Nahrung. Freie Wahlen erscheinen als du politische Allheilmittel der Demokratisierung. Doch am 6. Mai könnten die Entscheidungen bereits gefallen sein - trotz freier Wahlen.

Angesichts dieser Situation erneuern und bekräftigen wir unsere Bereitschaft, mit allen an der Perspektive eines freiheitlichen und demokratischen Sozialismus festhaltenden Kräften unseres Landes zusammenzuarbeiten. Wir bekräftigen unsere Überzeugung, dass noch vor den Wahlen ein Volkskongress aus Delegierten der Bürgerkomitees, Volksausschüsse und Betriebsräteinitiativen zusammentreten sollte. Wir begrüßen es, dass nun auch der Vorsitzende des Parteivorstand der SED-PDS, Dr. Gregor Gysi, unsere Forderung nach sofortiger Bildung von Betriebsräten teilt.

Der "Runde Tisch" ist in eine Krise geraten. Am 27.12. wurde über die ganze Sitzungsperiode und buchstäblich bei jedem Tagesordnungspunkt die unzureichende Arbeitsfähigkeit des Gremiums infolge Abwesenheit auskunftsfähiger Regierungsbeauftragter angemahnt. Wir appellieren eindringlich an die Vertreter der Regierungsparteien, ihrer Verantwortung endlich gerecht zu werden. Ein "Runder Tisch", degradiert zum Debattierklub, verkommt sonst zum scheindemokratischen Ablenkungsmanöver. Die Bevölkerung hat nicht nur ein Recht darauf, zu wissen, was die Regierung will, sondern auch darauf, wo die politischen Kräfte dieses Landes stehen.

28.12.1989

Bernd Gehrke
Thomas Klein


[Zu diesem Zeitpunkt wurde noch von der Volkskammerwahl am 06. Mai 1990 ausgegangen. Der Wahltermin wurde am 28. Januar auf den 18. März vorgezogen.]

aus: gesammelte Flugschriften DDR `90, Heft 3, März 1990, erstellt von der Initiative für eine Vereinigte Linke, Technische Gestaltung, Produktion und Vertrieb: ASTA TU Berlin

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