Warum diese einseitige Fixierung auf Bonn?
45 Jahre haben diese Leute nur auf den Tag X gewartet
Nun also war die Regierung Modrow, erweitert um acht Minister der einstigen Opposition, in Bonn. So groß wie die Erwartungen, so groß steht ihr die Enttäuschung im Gesicht geschrieben. Nun gilt es Lehren zu ziehen. Zunächst diese: Es hat nichts gebracht, dass sich die Regierung, bundesdeutschen Versprechungen und der Illusion einer Art nationaler Solidarität anhängend, in ihren Plänen und Hoffnungen völlig auf Bonn und München fixierte (oder auch fixieren ließ). Warum, so darf man doch wohl fragen, sind die Kreditangebote aus Wien, Paris, Tokio und Kuwait in den Wind geschlagen worden? Hatte man wirklich von den westdeutschen "Brüdern" bessere Konditionen erwartet? Wie blauäugig, wie naiv ist diese Regierung eigentlich?!
Aus der ersten Lehre ergibt sich die zweite: Zu keiner Zeit ging es den Herren zwischen Isar und Rhein um Hilfe für ihre "mitteldeutschen Brüder und Schwestern", sondern, wie Lothar Späth zwei Tage nach freundlichem Händedruck mit Hans Modrow "brutal" bekräftigte, um die totale Kapitulation der DDR. In diesem Kontext steht auch der brüske Auftritt Helmut Kohls während der gemeinsamen Pressekonferenz mit Hans Modrow, als er eine definitive Garantieerklärung für die Oder-Neiße-Grenze verweigerte und die Frage der Regelung der polnischen Westgrenze auf die Zeit nach der Vereinigung Deutschlands vertagte. Damit werden Weg und Ziel der Regierung Kohl und der hinter ihr stehenden Wirtschaftskreise der BRD klar.
45 Jahre haben diese Leute auf den Tag X gewartet, die - wie sie sagen - deutsche Frage offen gehalten. Nie hatten sie die Hoffnung aufgegeben, die Ergebnisse des zweiten Weltkrieges zu revidieren, den von Hitler und seinen Generalen begonnenen und verlorenen Krieg nachträglich und auf relativ "friedliche" Weise doch noch gewinnen zu können. Die einstigen Gutsherren, Fabrikbesitzer und Hauseigentümer bzw. deren Nachkommen toben schon durch die DDR, inspizieren "ihre" Besitztümer und halten Ausschau nach den "Roten" oder was sie dafür halten.
Und die Herren Berghofer, Schiller und etliche Direktoren biedern sich an. Gestern noch linientreue SED-Funktionäre, empfehlen sie sich heute den neuen Herren als Zuchtmeister des aufmüpfigen DDR-Volks. Professor Siegfried Schiller, stellvertretender Chef des Institute Manfred von Ardenne, verkündet ohne mit der Wimper zu zucken, dass Arbeitslosigkeit nicht zu umgehen sei, weil unrentable Betriebe geschlossen werden müssen. Es ginge schließlich nicht an, dass Faule auf Kosten der Fleißigen lebten. Und damit klar ist, wer am ganzen Übel schuld ist, fügt unser "gewendeter" Professor hinzu, dass ein Leben wie im Westen mit Arbeiten wie im Osten nicht vereinbar sei. Damit will er sagen, dass nicht Mittag und seine Gefolgschaft diese Wirtschaft ruiniert haben, sondern die Faulpelze in der Produktion, im Handel, Verkehrswesen usw. So verkündet's ein Professor, dem es zu keiner Zeit an etwas mangelte. Sein Institut war das Hätschelkind sowohl Ulbrichts als auch Honeckers. Jetzt sagt der Professor: "Der Sozialismus ist tot". Er stimmt in den Chor derer ein, die 45 Jahre auf die Gelegenheit warteten, sich an denen zu rächen, die 1947 die Betriebe der Kriegsgewinnler in Volkseigentum überführten und das Land denen gaben, die es bebauten.
Unter den Leipziger Demonstranten hört man schon das "heute gehört uns Deutschland und morgen..." Und morgen? Herr Kohl verweigert die Garantie für die Oder-Neiße-Grenze! Ist morgen oder übermorgen Schlesien an der Reihe, oder West- oder Ostpreußen, oder das Großherzogtum Posen, oder das Sudetenland, vielleicht auch das Banat oder das Gebiet der Wolgadeutschen? Eine solche Politik hat das deutsche Volk schon einmal bitter bezahlen müssen. Reicht es nicht, dass unsere Wirtschaft nicht wettbewerbsfähig ist, muss sie auch noch und mit ihr ganz Europa wieder in Schutt und Asche versinken?
Wäre es nicht vernünftiger, wir machten unsere Wirtschaft wieder flott, suchten uns Kreditoren frei von aberwitzigen politischen Zielen und ließen die Ewiggestrigen samt Schönhuber am Rhein. Dieses Land lag einst in Schutt und Asche, und wir haben etwas aus ihm gemacht, trotz Ulbricht, Honecker und Mittag. Tauschen wir jetzt nicht die Schmarotzer gegen die Ausbeuter ein! Lassen wir nie wieder zu, dass sich Funktionäre und Ideologen über uns erheben! Bleiben wir hier und krempeln wir die Ärmel hoch - endlich einmal für uns selbst!
Von Hans S(...), VEREINIGTE LINKE.
aus: Neues Deutschland, 45. Jahrgang, Ausgabe 47, 24.02.1990. Die Redaktion wurde 1956 und 1986 mit dem Karl-Marx-Orden und 1971 mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold ausgezeichnet.