Erklärung von Teilnehmern am Treffen der "Vereinigten Linken" in Böhlen

Die Ereignisse der letzten Wochen haben die Situation im unserem Land verändert. Viele Menschen fragen sich, ob wirklich schon ein Umbruch begonnen hat und was nun zu tun sei. Was ist geschehen?

Während die Fluchtwelle ihrem Höhepunkt zustrebte, fuhr die politische Führung fort, die Bürger unseres Landes wie Menschenabfall zu behandeln: Zehntausende aus dem Land flüchtende Bürger wurden als von westlichen Medien und kalten Kriegern manipulierte Abtrünnige verurteilt, denen man keine Träne nachzuweinen hätte. Nachdenklichere Stimmen gingen in diesem Trommelfeuer unter. Andererseits wurden zentrale Interessen der Bevölkerung weiter ignoriert, Forderungen nach Demokratisierung diffamiert und Teilnehmer an öffentlichen Manifestationen anfangs pauschal als antisozialistische Randalierer und Provokateure abgestempelt. Die Glaubwürdigkeit ritualisierter Ergebenheitsadressen an die Sicherheitsorgane und die SED-Führung oder Horrorstories in Bildzeitungsmanier haben nach dem 7. Oktober einen neuen Tiefpunkt erreicht. Die einzigen "Argumente" der Herrschenden im Dialog mit dem Volk blieben die stumpfe Waffe der Phrase oder die Überzeugungskraft des Knüppels.

Doch die Flut von Protesten auch aus den Reihen der Gewerkschaft, der Parteigruppen und von immer mehr Berufsverbänden ließ sich immer weniger totschweigen, wenn gleichzeitig Zehntausende gewaltlos demonstrieren und Diffamierung oder Einschüchterung immer weniger greifen. Schließlich wurde auch ein sachlicherer Umgang mit unseren Problemen und Konflikten auf verschiedenen Ebenen sichtbar, aber noch wird das Bild durch die alten Muster geprägt. Hoffnungsvolle Zeichen weniger staatlicher Verantwortlicher oder einzelner Funktionäre verschiedener Parteien und Massenorganisationen, wenigstens die Dialogbereitschaft zu signalisieren, liefen weiter Gefahr, durch die massive Pressekampagne gegen Ruhestörer und gekaufte Konterrevolutionäre ausgelöscht zu werden. Immer weniger kann die Regierung darauf beharren, den Weggang Zehntausender Menschen hauptsächlich subversiven Aktivitäten kalter Krieger des Westens zuzuschreiben. Und mehr und mehr erwies es sich als untauglich, fortgesetzt innere Ursachen mit wachsendem Realitätsverlust zu leugnen und die ungeheuren Verluste an Menschen und Hoffnungen mit Zynismus zu quittieren. Die Verachtung, mit der bis jetzt die Bedürfnisse der Mehrheit von zum Bleiben entschlossener Bürger weggewischt wurden, richtet nun auch für die Regierenden sichtbar immer größeren Schaden an. Eine wachsende Zahl von Mitgliedern und Funktionären der SED sieht dies so, wie öffentliche Bekundungen für einen Dialog beweisen. Die Lüge, auf Reformen drängende Menschen unseres Landes seien darauf aus, den Sozialismus in der DDR zu vernichten, gerät in immer schreienderen Kontrast zu den Forderungen der Menschen, die Reformen fordern, gerade weil sie den Sozialismus in der DDR endlich aufbauen wollen! Mit der Unterstellung, einer vom Westen gesteuerten Opposition gehe es angeblich um die Wiederherstellung des Kapitalismus, maßen die Herrschenden sich an, einen Sozialismus zu verteidigen, der weder diesen Namen verdient noch in seiner heutigen Gestalt von der Bevölkerung getragen wird. Er muss erst einmal erkämpft werden! Nicht irgendwann, sondern heute gilt es, den Sozialismus überhaupt zu ermöglichen, indem wir unsere Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen und der bisherigen verhängnisvollen politischen Stagnation ein Ende setzen!

Mit der Aufforderung des Politbüros der SED vom 11. Oktober, einen gesellschaftlichen Dialog über alle Probleme des Landes zu beginnen, hat die Führung der SED den bisher geleugneten Handlungsbedarf eingestanden und indirekt die Tauglichkeit der bisherigen Politik in Frage gestellt. Machen wir nicht die Haltung der für die gegenwärtige Situation verantwortlichen Parteiführung zum Dialog, sondern unsere eigene Bereitschaft zu einem radikalen Wandel im Namen des Sozialismus und der Demokratie zum Maßstab unseres Handelns! Nun sind alle Bürger, auch die SED-Mitglieder, nicht nur verstärkt gefordert, sondern auch in der Lage, sich selbst für einen solchen Weg zu engagieren.

Wir können jetzt nicht mehr die Verantwortungslosigkeit der Mächtigen dieses Landes zum Maßstab unseres Tuns und Lassens machen. Nicht das Dialogangebot in der Erklärung des Politbüros vom 11. Oktober, sondern der Druck, welcher von den entstandenen scharfen Widersprüchen ausgeht, und die Herausforderung an alle Menschen unseres Landes, endlich selbst etwas zu ändern, ist die Grundlage unseres Handelns. Über die entstandene Situation und die Schuldigen dafür dürfen wir uns keine Illusionen machen: Nicht nur die sozialistische Perspektive der DDR steht auf dem Spiel; auch die Bewahrung und Entwicklung so wichtiger sozialer Errungenschaften wie die Beseitigung der Arbeitslosigkeit, die kostenlose medizinische Betreuung aller Bürger, die soziale Sicherheit oder die gleichen Bildungschancen für Arbeiterkinder sind gefährdet, wenn der Stagnation nicht bald ein Ende gesetzt wird. Wir müssen befürchten, dass immer mehr Menschen in ihrer Enttäuschung sich nicht nur von der Regierung und der SED, sondern vom Weg des Sozialismus überhaupt distanzieren. Schon 100 000 Menschen haben in diesem Jahr die DDR verlassen, und der Strom reißt nicht ab. Die "bewährte" Methode, die Verbleibenden noch nachdrücklicher einzumauern und die ihren Protest und ihren Willen zu bleiben öffentlich bekundenden Menschen durch die Sicherheitsorgane noch zusätzlich einzukesseln, hat die Wut anwachsen lassen und birgt die Gefahr einer Eskalation in sich. Die Fortsetzung dieses bankrotten Kurses gefährdet auch all das, worauf die DDR mit Recht stolz sein kann.

Nachdem vor 1961 bereits zweieinhalb Millionen Menschen der DDR den Rücken gekehrt haben, ist heute angesichts des Massenexodus der Zehntausenden vor allem junger Bürger, die ihre ganze bisherige Lebenszeit in ummauerter Sterilität des DDR?Sozialismus zubrachten, jede einseitige Schuldzuweisung an den Westen ebenso hilflos wie lächerlich. In der Tat entlarvt es sich als klägliches Ablenkungsmanöver, den Feinden des Sozialismus im Ausland vorzuwerfen, sich wie Feinde zu benehmen.

Doch wie konnte es dazu kommen, und was muss geschehen?

In der DDR wurden die Enteignung der Kapitalisten und wichtige soziale Errungenschaften verwirklicht. Aber was ist tatsächlich charakteristisch für das politische System, und wie sehen die wirklichen Grundlagen des wirtschaftlichen Aufbaus in der DDR aus?

Zwar wurden mit der Beseitigung des kapitalistischen Privateigentums alle Bürger zu Werktätigen gemacht, aber die Stalinisten haben nicht die Unterwerfung des Staates unter die Werktätigen ermöglicht, sondern die Unterwerfung der Werktätigen unter den Staat herbeigeführt! Die allgegenwärtige Entmündigung jedes einzelnen in unserer Gesellschaft ist eine permanente Enteignung des Volkes durch die bürokratischen Apparate und eine Perversion der in der Verfassung niedergelegten Prinzipien des Volkseigentums und der sozialistischen Demokratie. Trotz wichtiger sozialer Errungenschaften warf der Absolutismus einer stalinistischen Bürokratie unser Land auf dem Gebiet wichtiger Menschenrechte hinter die von den Werktätigen im Kapitalismus erkämpften Freiheiten zurück, statt über sie hinauszugehen: Wir dürfen nicht reisen, wohin wir wollen, wenn es "der Staat" nicht will. In allen denkbaren Fragen entscheiden bestellte Behörden unsere eigenen Angelegenheiten und maßen sich gesetzlich an, ihre Beweggründe geheimzuhalten. Die ungebrochene Selbstherrlichkeit der beamteten Bürokratie gipfelt in ihrer Erklärung, unsere Entmündigung erfolge in unserem eigenen Interesse, weil nur sie wüssten, was für uns gut und was dagegen schädlich sei! Jede Form der Selbstbetätigung, Selbstorganisation oder auch nur Kritik an grundlegenden staatlichen Entscheidungen wird von hysterischen Verdächtigungen begleitet und vielfach kriminalisiert. Diese Verhöhnung unserer Würde ist seitens der Bürokratie verbunden mit der Erwartung, dem Volk stünde es dagegen an, zum Dank für die Unfehlbarkeit ihrer nicht gewählten Oberhäupter regelmäßig zu Prozessionen ihrer Huldigung anzutreten. Und in dieser komfortablen Position haben die Bürokraten allerdings etwas zu verteidigen, nämlich ihre Macht und einen mit westlichen Konsumgütern ausstaffierten Privilegien-"Kommunismus", in dem allerdings nur sie schon leben, während sie ihn dem Volk erst versprechen, falls es nach ihrem Kommando ordentlich arbeitet.

Auch auf dem Gebiet der Wirtschaft wird immer deutlicher, dass der Weg im Krebsgang in Richtung Entwicklungsland führt. Das spürt jeder; da hilft weder Agitation noch Propaganda! Die immer deutlicher werdende Stagnation wirtschaftlicher und sozialer Verhältnisse und zum Teil sogar ihr Rückschritt sind schon zur Genüge Anlass für Unmut. Doch angesichts der Schönrednerei unserer Verhältnisse können es immer weniger Menschen ertragen, für dumm verkauft zu werden:

- während die Erfolge der Mikroelektronik herausgestellt werden, verliert die DDR eine Weltmarktposition nach der anderen

- während man die wachsende Zahl schwer einsetzbarer Industrieroboter feiert, kann man nicht einmal telefonieren oder resigniert entnervt an unserem Nah- und Fernverkehrsnetz

- während das Wohnungsbauprogramm Triumphe feiert, verfallen ganze Stadtteile und Industrien

- während immer veredeltere Produkte zu immer veredelteren Preisen auf den Verbrauchermarkt geworfen werden, verschwinden wie selbstverständlich immer mehr und vor allem billige Produkte aus dem Sortiment, und die geheime Inflation nimmt zu

- während die soziale Gerechtigkeit gefeiert wird, werden die Rentner betrogen

- während beschwörend verkündet wird, der Mensch stehe nach wie vor im Mittelpunkt, verkommt unser Gesundheitswesen

- während der erfolgreiche Kurs der Intensivierung fortgesetzt wird, steht das mitteldeutsche Industriegebiet vor einer ökologischen Katastrophe

So wie es jetzt ist, darf es nicht mehr weitergehen. Wir dürfen es in der DDR nicht so weit kommen lassen, wie es die Stalinisten in der UdSSR oder Polen kommen ließen. Uns helfen keine technokratischen Reförmchen und beschwichtigende kleine Öffnungen oder kontrollierte Freiräume zum Abreagieren von Frust, sondern nur eine umfassende, gut durchdachte, geduldige und vor allem in einem breiten demokratischen Prozess vorangetriebene sozialistische Gesellschaftsreform.

Das Beispiel der Sowjetunion gibt Anlass zu der Hoffnung, dass es möglich werden kann, unter "Sozialismus" wieder souveräne Volksmacht und Freiheit zu verstehen. Doch noch wichtiger ist die Erfahrung, dass die SU als Befreier des deutschen Volkes vom Faschismus nicht länger die Rückversicherung stalinistischer Entartung, sondern wichtigster Verbündeter im Kampf um die Verwirklichung von Idealen sozialistischer Demokratie, Freiheit und Volkssouveränität sein wird. Die Verwirklichung dieser Werte in der DDR kann dann auch als wichtigster außenpolitischer Beitrag zur Stärkung der Perestroika, von Glasnost und Demokratisierung in der UdSSR und ihrer Unumkehrbarkeit dienen. Dies ist heute der entscheidende neue Inhalt des in der Vergangenheit so diskreditierten "sozialistischen Internationalismus"!

Die gegenwärtige Krise ist ein weiterer Beweis dafür, dass man den Sozialismus den arbeitenden Menschen nicht aufzwingen, sondern dass sie ihn nur selbst verwirklichen können.

Marx alter Satz "Die Befreiung der Arbeiter kann nur das Werk der Arbeiter selbst sein" hat nicht nur eine neue Bestätigung gefunden, sondern muss unter den neuen Bedingungen erweitert werden: Die heutige Unterordnung der modernen Produktivkräfte, der gesamten arbeitenden Gesellschaft unter einen stalinistischen Absolutismus stellt auch die Techniker, Ingenieure, Wissenschaftler, Künstler - die gesamte Intelligenz und die Angestellten an die Seite der Arbeiter. Auch die Freiheit des Wortes und die Freiheit der Wissenschaft kann nur auf die Freiheit der Arbeit gegründet werden. Doch was ist die Freiheit der Arbeit ohne die Freiheit der Arbeiter? Verwirklichung sozialistischer Volksdemokratie bedarf ihrer Verankerung in den Betrieben, bedarf der Selbstverwaltung der Werktätigen, des Bündnisses mit der Intelligenz, den Genossenschaftsbauern und Angestellten, bedarf der festen und unmittelbaren Verankerung der Macht im alltäglichen Lebensprozess der Werktätigen und ihrer gesicherten politischen und sozialen Rechte.

Was ist zu tun?

Wenn die Fortsetzung des gescheiterten Kurses der politischen Führung und damit die Gefährdung der sozialistischen Perspektive unseres Landes aufgehalten werden soll, darf sich das Ringen nicht nur auf den Kampf um das freie Wort konzentrieren. Dieser wichtige Prozess ist mit dem "Neuen Forum" und anderen Bürgerinitiativen in Gang gekommen. Wenn aber verhindert werden soll, dass die Kosten des bisherigen verfehlten Kurses auf die Bevölkerung abgewälzt werden, wenn eine grundsätzliche Änderung der Entwicklung, ein Durchbruch zu Demokratisierung und sozialistischer Freiheit durchgesetzt werden sollen, dann muss dies von den Werktätigen in den Betrieben erstritten werden - auch deshalb, weil gerade sie immer die Hauptlast jeder verfehlten Politik zu tragen haben. Der verbreiteten Unzufriedenheit in den Betrieben muss Ausdruck gegeben werden, und der Veränderungswille dort muss seine Formen suchen und finden. Hören wir auf, nur zu schimpfen, und beginnen wir, uns in den Betrieben zusammenzuschließen! Wir brauchen die Selbsttätigkeit der Werktätigen zur Schaffung unabhängiger, die Interessen der Arbeiter und Angestellten zusammenfassender und sie in Initiativen verwandelnder Ausschüsse und Kommissionen. Diese sofort zu bildenden unabhängigen Ausschüsse und Kommissionen können die Gründung von unabhängigen Betriebsräten und die Demokratisierung der Gewerkschaften in Angriff nehmen. Dabei können alle sich bietenden Gelegenheiten innerhalb und außerhalb der verbürokratisierten Gewerkschaften genutzt werden, die Kontrolle der Werktätigen über ihre eigenen Angelegenheiten auszubauen.

Wir appellieren an alle Sozialisten in den Betrieben, Genossenschaften, in den unabhängigen Gruppen und in der SED, unter den Künstlern und in der Intelligenz, aufeinander zuzugehen, Trennendes aufzuschieben und mit dem Ziel der Verwirklichung sozialistischer Freiheit und Demokratie gemeinsam Lösungen zu suchen. Wir schlagen vor, folgende Sofortmaßnahmen zur schnellen Lösung der wichtigsten angestauten gesellschaftlichen Probleme und zur Überwindung der gegenwärtigen gesellschaftlichen Krise durchzusetzen:

Sofortmaßnahmen zur Vorbereitung des Landes für einen Weg der sozialistischen Demokratie und Freiheit

1. Rücktritt des Politbüros der SED und der Regierung wegen der Hauptverantwortung für den katastrophalen Massenexodus der Jugend und wegen des völligen Verlustes von Vertrauen im Volk.

2. Bildung einer neuen politischer Führung und einer zeitlich befristeten Übergangsregierung aus reformwilligen Kräften, zur Verwirklichung folgender Maßnahmen:

a) sofortige Demokratisierung der Presse und Einstellung der Pressezensur

b) Legalisierung, des "Neuen Forum" und aller anderen für sozialistische Demokratie und Freiheit eintretenden Gruppen sowie Aufnahme eines gleichberechtigten Dialogs über alle zu lösenden gesellschaftlichen Probleme.

c) Gewährung der freien und öffentlichen Diskussion in allen gesellschaftlichen Organisationen und Parteien

d) Veröffentlichung aller Daten und Informationen über den tatsächlichen Zustand von Wirtschaft und Gesellschaft. Dies betrifft insbesondere

- den Zustand der Staatsfinanzen

- den wirklichen Zustand und die Ergebnisse der Volkswirtschaft, darunter

* der Außenwirtschaft (insbesondere Handels- und Zahlungsbilanz)

* der Aufwendungen für Verteidigung und innere Sicherheit

* der Kosten und Kostenstruktur des Staats- und Parteiapparates

- die Sozialstruktur einschließlich der Beschäftigten im Staats-, Partei- und Wirtschaftsapparat (darunter auch im Sicherheitsapparat)

- die Einkommensverteilung der Bevölkerung (einschließlich der Einkommen der Nomenklaturkader und ihrer sonstigen Einkünfte, Zuwendungen und Privilegien sowie personengebundener Nutzungsrechte)

- die Umweltdaten

- den Zustand des Gesundheitswesen und der medizinischen Versorgung das Gesundheitsniveau der Bevölkerung und ihre Lebenserwartung nach Regionen sowie im internationalen Vergleich

- den Umfang des gegenwärtigen Ausreisewunsches der Bevölkerung (Veröffentlichung der Zahl der Antragsteller und der Ausreisenden sowie ihrer sozialen und beruflichen Zusammensetzung nach Territorien)

e) Beginn einer öffentlichen Diskussion über Ziele und Mittel einer radikalen Demokratisierung der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens unserer Gesellschaft

f) Erteilung von Reisegenehmigungen an jeden Bürger für alle Länder für 30 Tage (lediglich mit den international üblichen Einschränkungen aus Gründen der nationalen Sicherheit) unter Bereitstellung von Devisen im Wert 500.- DM pro Person und Jahr

g) Rückkehrangebot an alle ausgereisten und ausgebürgerten ehemaligen DDR-Bürger

h) Einberufung eines regierungsunabhängigen Kongresses demokratisch und geheim gewählter Delegierter der Betriebsbelegschaften innerhalb von 3 Monaten zwecks

- Beratung der wirtschaftlichen und politischen Situation in der DDR

- Erarbeitung von Maßnahmen zur Durchführung einer radikalen Demokratisierung aller Lebensbereiche der Gesellschaft einschließlich der Gewerkschaften

- Erarbeitung von Maßnahmen zur Sicherung des Lebensstandards und der sozialen Errungenschaften des Volkes

- Wahl von unabhängigen Reformern als demokratisch legitimierte und dem Kongress verantwortliche Volksvertreter in einer breiten Reformregierung

3. Bildung einer breiten Koalition der Vernunft und des Realismus zur Verwirklichung einer radikalen Verfassungs- und Gesellschaftsreform im Geiste sozialistischer Demokratie und Freiheit.

Ausdruck einer solchen Koalition der Vernunft muß du Bildung einer konsequenten Reformregierung auf dem Boden des Antistalinismus und Antikapitalismus sein. Diese Regierung sollte sich aus durch ihre Taten legitimierte Vertreter des Reformflügels von Partei- und Staatsapparates einerseits sowie aus demokratisch gewählten Vertretern des Kongresses der Belegschaftsdelegierten andererseits zusammensetzen.

SOFORTMAßNAHMEN EINER KONSEQUENTEN REFORMREGIERUNG

Die selbstverständliche Voraussetzung einer Regierungspolitik der sozialistischen Freiheit und Demokratie in der DDR ist die außenpolitische Bündnis- und Vertragstreue. Vor allem das Bündnis zwischen einer demokratisierte Sowjetunion eines demokratisierten Polen und einer demokratisierten DDR und insbesondere die Anerkennung der Grenzen ist von existentieller Bedeutung für jedes dieser Länder.

Der Regierungsauftrag einer solchen Reformregierung muß folgende Inhalte voranbringen:

1. Umfassende Vorbereitung und Durchführung einer radikalen Verfassungs- und Gesellschaftsreform im Geiste des freiheitlichen und demokratischen Sozialismus auf der Basis

- des gesellschaftlichen Eigentums an Produktionsmitteln als vorherrschend und perspektivische Grundlage sozialistischer Vergesellschaftung

- des Ausbaus der Selbstbestimmung der Produzenten in Verwirklichung realer Vergesellschaftung der gesamten ökonomischen Tätigkeit

- der konsequenten Verwirklichung des Prinzips der sozialen Sicherheit und Gerechtigkeit für alle Gesellschaftsmitglieder

- des ökologischer Umbaus der Industriegesellschaft

- der politischen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, konsequenten Verwirklichung der ungeteilten Menschenrechte und freien Entfaltung der Individualität jedes Gesellschaftsmitgliedes

2. Durchführung einer konsequenten Wirtschaftsreform unter Durchsetzung der betrieblichen Selbstverwaltung der Werktätigen als Hauptform einer Weiterentwicklung staatlichen Eigentums

3. Ausarbeitung eines Programms der wirtschaftlichen, technischen und ökologischen Modernisierung unter Wahrung der sozialen Gerechtigkeit und unter Ausschluß von Arbeitslosigkeit

4. Durchführung von Wirtschaftsreform und Modernisierung als komplexes Programm unter Wahrung sozialer Sicherheit, Gerechtigkeit und unter Ausschluß von Arbeitslosigkeit

5. Initiativen der DDR zur Ausarbeitung und Umsetzung eines Programms der Reformierung des RGW sowie der Organisation des Warschauer Vertrages entsprechend den Grundsätzen eines demokratischen und freiheitlichen Sozialismus

6. Aufnahme von Verhandlungen mit der Bundesrepublik Deutschland über die langfristige Ausgestaltung des Grundlagenvertrages entsprechend dem Grundsatz "Zwei Staaten - eine Nation" mit den Zielen

a) gegenseitige staatliche Anerkennung

b) Entwicklung der Beziehungen unter Berücksichtigung des besonderen Charakters der Existenz zweier souveräner Staaten gegensätzlichen sozialökonomischen Charakters dem Boden einer Nation und Ausbau aller Aspekte des gemeinsamen nationalen Zusammenhangs

c) Ausarbeitung eines verbindliche Rahmens zur Wahrnehmung gesamtdeutscher Verantwortung - insbesondere für den Frieden - unter Wahrung der Souveränität beider deutschen Staaten.

7. Abgabe einer Existenzgarantie für die freie und unabhängige Entwicklung von Berlin (West) auf der Grundlage des Vier-Mächte-Abkommens und Abschluß einer vertraglichen Regelung zwischen der DDR, der BRD und Westberlin zur Ausschaltung von Statusproblemen.

8. Ausarbeitung eines Programms zur Entwicklung beider Teile Berlins zum politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bindeglied zwischen Ost und West

9. Untersuchung stalinistischer Verbrechen in der DDR und ihre konsequente Aufarbeitung sowie Rehabilitierung und Entschädigung aller Opfer

10. Verurteilung des völkerrechts- und verfassungswidrigen Einmarsches von Truppen der NVA der DDR in die ČSSR im August 1968 und Entschuldigung bei den Völkern der ČSSR

[12.10.1989]

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