Eher abschreckend wäre für uns eine Veranstaltung "Die Aufgaben der Kommunisten in der heutigen Zeit" in Leipzig gewesen, die von Spartakist, KPD, PDS und VL organisiert worden war. Von einigem Interesse fanden wir immerhin einen Diskussionsbeitrag des Leipziger VL-Mitglieds Matthias K(...). Wenn Matthias K(...) auch im Positiven allerhand einander widersprechende Ansätze bringt, denen wir uns ohne weiteres nicht anschließen können, bleibt doch die Kritik ungewöhnlich, erfrischend und genau an den richtigen Stellen angesetzt. Das bezeugte schon das Entsetzen der anwesenden GenossInnen, die den Redner des Antikommunismus beschuldigten.
[Voranstellung der Zeitschrift telegraph]
Genossen und Genossinnen !
Den "Rosa-Rosa" Rufern in Eurer Mitte wünsche ich strapazierbare Stimmbinder, und den etwas sensibleren ihr Aspirin.
"DIE AUFGABEN DER KOMMUNISTEN in der heutigen Zeit." Vor Ehrfurcht möchte man bzw. frau erstarren, und ich gebe zu, das Thema hat mich erschlagen. Denn so verbal gefragt, kann ich nur verbal antworten.
Die einzige Aufgabe für uns Kommunisten in der heutigen Zeit sehe ich darin, dass wir uns selbst erschießen.
Ich glaube wir können nicht einfach so die "Hemdsärmel hochkrempeln" und mit dem wohl idiotischsten Slogan - der Wahlen 90 "Entschuldigung, es war ja alles nicht so gemeint" auf den Lippen zur Tagesordnung übergehen. Aktionismus kann nicht unsere Antwort auf die Fragen der Geschichte sein.
Die Idee des Kommunismus, die Idee von einer Assoziation, "worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist", diese Idee wende denunziert und zwar einzig und allen durch uns, Kommunisten, selbst.
Die Kommunistische Bewegung, ein Bund von Männern, die sich unter den verzerrten Klängen der "Internationale" zusammenschließen im Kampf um die Macht, und dies mit einer pseudo-marxistischen Propaganda legitimieren. Das Herrschen wollen, das Beherrschen wollen ist wohl auch die tiefere Ursache für die Perversion der Einheitsfront von Kommunisten und Faschisten, als es galt Andersdenkende, seien es bürgerlich-liberale, christliche, linke oder einfach nur Spinner, oder Anderslebende wie Juden, Sinti und Roma, Schwule auszurotten.
Es ist vielleicht nicht nur historischer Zufall; dass es eine Frau war, die die Frage der Demokratie und der individuellen Freiheit innerhalb der kommunistischen Bewegung wieder zu thematisieren versuchte. Aber dafür wurde ihr auch, nachdem sozialdemokratische Männer sie erschlugen, durch Kommunisten die Fähigkeit zum theoretischen Denken abgesprochen. Wer also heute noch mit dem Begriff des Kommunisten herumhantiert, zeigt, dass er oder sie zumindest ein sehr oberflächiges Verhältnis zur Geschichte hat. Da hilft es auch nicht, wenn man oder frau sich der pseudoethischen Dimension bedient, dass ja nur die "Guten" die wirklichen Kommunisten gewesen seien. Fakt ist, dass es innerhalb der kommunistischen Bewegung nie eine nennenswerte Opposition gab (außer den paar Millionen die von Faschisten oder Stalinisten seelisch oder körperlich vernichtet wunden d. Red.), es sieh in der Regel um die Dialektik von Täter und Opfer, Täter die zum Opfer wurden, und Opfer, die sich wieder zum Täter etablierten, handelte.
Und diejenigen, die sich konsequent außerhalb dieser Bewegung stellten, werden bis heute ausgegrenzt bzw. verschämt vergessen.
Deshalb möchte ich jetzt, statt über die Aufgaben der Kommunisten ..., über die Aufgaben einer neuen Linken, so wie ich sie sehe, sprechen. Erstens denke ich, dass in einer gemeinsamen Aufarbeitung unserer Geschichte, und zwar in ihrer gesamten Breite, jene Momente in unserer Theorie, unserer Kultur und Sprache, in unserer politischen Praxis herausgearbeitet werden müssen, die den Stalinismus bedingten und ihn heute noch repräsentieren. Wenn die Aktionsbündnisse, der Schrei nach der Einheitsfront der Linken, die Weltanschauung, die historischen Dimensionen, wenn mann stets nur von mann und nicht von frau und man spricht, wenn all diene Art von Begrifflichkeit nach wie vor selbstverständlich ist, zeigt es mir, dass wir noch nicht einmal begonnen haben.
Die Ansätze, wonach der Georgier und Sowjetrusse Stalin über die Dumpfheit seiner Bauern und deren asiatische Produktionsweise gestolpert und den hochzivilisierten, hochkultivierten und hochdemokratischen Deutschlinken geradewegs auf den Kopf gefallen sei, bringen uns ebenso wenig voran, wie ein verbales Schuldbekenntnis in der Form der stalinistischen Selbstkritik.
Da waren SozialistInnen zu Zeiten von Lenin und Stalin schon wesentlich weiter und statt deren Psychodiagramme sollten wir lieber deren theoretische Arbeiten zur Kenntnis nehmen.
Der Prozess der Auseinandersetzung mit dem Stalinismus, und nur er kann zeigen, inwieweit wir als Linke überhaupt noch eine Berechtigung haben und mit welchen Inhalten, in welchen Formen eine neue Linke Bewegung entstehen könnte.
In Form einer Partei kann dies auf keinen Fall geschehen, denn eine Partei konstituiert sich stets als das Besondere gegenüber dem Allgemeinen und in der Regel entwickelt sie sich dahin, das Besondere mit dem allgemeinen zu verwechseln, egal ob als Diktatur einer Partei oder als Wahlpartei, die Strategien entwickelt, um Wählerstimmen zu gewinnen.
Die Sekte, die im Gedärm einer sozialen Bewegung überwintert, darauf hoffend, eines Tages in das sozialistische Paradies ge..., das kam es wohl auch nicht sein.
Eine neue linke Bewegung kann weder die Avantgarde, noch die Interessenvertretung, noch der Götzendiener einer abstrakten Masse sein. Im Gegenteil, sie sollte sich der oder dem Einzelnen zuwenden, und Sie und Ihn ermutigen, die Geschicke seines Tuns selbst in die Hand zu nehmen.
Zweitens, müssen sich die Linken zu dem vierten großgermanischen Reich, welches manche verschämt als das gemeinsame Haus Europa bezeichnen, positionierten. So neu auch die konkrete historische Situation mit dem Wegfall des "real existierenden Sozialismus" ist, brauchen wir nicht ganz von vorn anzufangen. Es gab und gibt eine Vielzahl von emanzipatorischen Bewegungen innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft, angefangen von den GenossInnen und FreundInnen des bewaffneten Widerstandes in den Entwicklungsländern und den Metropolen, die Autonomen, die Ökologiebewegung, die FeministInnen, die Schwulenbewegung, von denen wir lernen können. Unser Verhältnis zu Ihnen kann jedoch nicht das der Infiltration oder gar des Anbiederns sein.
Eine zentrale Frage wird die Frage nach den Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb dieser neuen alten Gesellschaft sein.
Die Marktwirtschaft sozial und ökologisch mitzugestalten...?
Wie soll dies funktionieren, denn als ersten Schritt der Präzisierung müsste Mann bzw. Frau erst einmal feststellen, dass es sich um die deutsche soziale und ökologische Marktwirtschaft handelt: Werden also in Zukunft die deutschen Linken gemeinsam mit dem deutschen Management gegen die polnischen, italienischen gegen die afrikanischen Linken für die besten Verwertungsbedingungen des deutschen Kapitals streiten, die mecklenburgischen Linken gegen die sächlichen...?
Das Parlament..., Wer angesichts des Debakels dieser Volkskammer, wer angesichts der Hilflosigkeit des Deutschen Bundestages gegenüber der eigenen Justiz, der Multis und der Exekutive meint, darüber noch Worte verschwenden zu wollen, solle dies tun und sich durch das Studium der Protokolle aller möglichen Untersuchungsausschüsse dieses Gremiums die Zeit verkürzen. Die Werktätigen, was erzähle ich Ihnen angesichts der Marktwirtschaft, dass sie streiken, um damit die Produkte ihrer Arbeit weiter zu verteuern oder dass sie ihnen Betrieb knallhart durchrationalisierten, alle möglichen Kosten einsparen und sich von sozial unsicheren Elementen zu trennen ...? Ich glaube, aus diesem Dilemma kam uns nur der radikal-ökologische Ausstieg aus unserer Industrie- und Konsumgesellschaft führen.
Radikale Ökologie muss bei der Natur des Menschen beginnen. Der Mensch ist keine Maschine, die nach immer steigenden Leistungsparametern kontinuierlich immer schneller, höher ... zu drehen ist.
Das Recht auf Faulheit ist angesagt. Wir leben in einer Welt, in der soviel produziert wird, dass für Jeden und für Jede genug zu Essen, zu Kleiden und zum Wohnen wäre. Wenn es gelänge, die zur Produktion all dieser Güter notwendige Arbeit auf alle Menschen zu verteilen, wäre es für die oder den Einzelnen nicht viel, es bliebe viel Zeit für die eigene Muse übrig. Diese Utopie ist so banal wie einfach zu realisieren, nicht banal sind hingegen die konkreten Herrschafts- und Eigentumsverhältnisse, als auch unsere kulturellen Werte, die Sie verhindert.
Radikal-ökologischer Ausstieg heißt für mich aber auch, sofortiger Ausstieg aus allen die soziale und ökologische Umwelt des Menschen zerstörenden Technologien.
Die Atom-Industrie, bei der weder die Vorsorge, die Produktion noch die Entsorgung geklärt ist, deren einziger Zweck darin besteht, einer bestimmten Lobby weiterhin Profit und Einfluss zu sichern und alternative Energieversorgungsmodelle, einschließlich des Sparens, zu verhindern.
Die Gen-Technologie, die wiederum die Machbarkeit des Menschen zum Ziel hat, die Perfektionierung und Umformierung der Ware Arbeitskraft, die neue Wege der Kriegsführung eröffnet...
Die Informations-Technologie, die die Perfektion des totalen Überwachungsstaates ermöglicht...
Es gäbe noch eine Reihe weiterer Probleme, der Artikel 129, die NATO, der Waffenexport der Bundesrepublik, die Entmilitarisierung der imperialistischen Hauptzentren .....Aber dies würde den Rahmen eines Diskussionsbeitrages sprengen. Abschließend möchte ich auf das für mich im Moment dringlichste Problem eingehen. Ich glaube, dass wir im Moment mit unserer deutsch-deutschen Jammerbeschauung schleunigst aufhören sollten. Stattdessen sollten wir beginnen solidarische und internationalistische Strukturen einer Gegenkultur zu entwickeln, in denen zumindest andeutungsweise versucht wird herrschaftsfrei und selbstbestimmt zu leben.
Matthias K(...) VL Leipzig
aus: telegraph, Nr. 14, 19.09.1990, Unterdrückte Nachrichten, Kommentare, Termine, Herausgeber: Umweltbibliothek Berlin