Nein zum DM-Anschluss!
Gemeinsame Erklärung von: Vereinigte Linken (DDR), Die Nelken (DDR) und Vereinigte Sozialistische Partei (BRD)
Für die in Bonn Regierenden steht ein neuer Anschluss auf der Tagesordnung. Baden-Württembergs Ministerpräsident Lothar Späth hat es brutal auf den Punkt gebracht: Es geht um die bedingungslose Kapitulation der DDR. Berghofer forderte in Stuttgart postwendend im Chor mit Späth, dass die DDR schnellstmöglich die BRD-Wirtschaftsordnung übernehmen soll. Es geht ganz einfach um die Verbesserung der Geschäftsbedingungen zum Sofortanschluss der DDR nach den Wahlen. Solange wird gewartet. Umso mehr, als man es dann mit einer DDR-Regierung zu tun hat, die wie ein Kaninchen vor der hilfsbereiten Schlange zurückweicht, bis endlich die Vereinigung im Magen der Schlange erfolgen kann.
Ein solcher Anschluss wird beschleunigt, indem die bundesdeutschen Konzerne - oftmals in trauter Eintracht mit den ehemals SED-treuen Betriebsdirektoren - vollendete Tatsachen schaffen, indem Bonner Politiker den DDR-Wahlkampf als ihren eigenen betreiben und sich zu diesem Zweck gut gesponserte Parteifilialen in der DDR geschaffen haben, indem das Projekt einer "Währungsunion" betrieben wird, die sich als "Schocktherapie" für die DDR-Betriebe erweisen wird.
Wir sagen
Nein zur Politik des Anschlusses zu den Bedingungen der DM!
Die in Bonn Regierenden und die von ihnen ausgehaltenen DDR-Parteien sagen: Der DDR-Anschluss an die bundesdeutsche Marktwirtschaft bringt Wohlstand für alle. Tatsachen sind:
- Trotz eines langen wirtschaftlichen Aufschwungs 1983-1990 konnte erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik nach einer Krise (1980-82) die Zahl der offiziell registrierten Arbeitslosen nicht abgebaut werden - sie liegt seit 1983 kontinuierlich im Jahresdurchschnitt bei über zwei Millionen.
- Die Zahl der auf Sozialhilfe angewiesenen Menschen hat sich in der BRD seit 1983 verdoppelt - auf drei Millionen.
- Alle seriösen Untersuchungen gehen davon aus, dass ein kurzfristiger Anschluss der DDR an diese "soziale" Marktwirtschaft Tausende DDR-Betriebe zur Aufgabe zwingen und ein zusätzliches Arbeitslosenheer von 1-1,5 Millionen Menschen schaffen wird.
- Die Vertreter der "reichen" BRD werden nicht müde zu unterstreichen, im Fall eines Anschlusses könnten die sozialen Leistungen, wie sie die "arme" DDR bisher garantieren konnte, nicht aufrechterhalten werden, müssten abgebaut werden.
- Und schließlich werden die Betreiber des Anschlusses nicht müde zu unterstreichen, als Folge der Zwangsvereinigung BRD-DDR müssten die lohnabhängig Beschäftigten und sozial Schwachen in der Bundesrepublik selbst "Opfer" bringen: weniger Lohn (durch Steuererhöhungen), mehr Arbeit (vor allem Zunahme der Schichtarbeit).
Damit stehen Profiteure und Opfer der Politik des Anschlusses fest: Profitieren sollen bei diesem Projekt diejenigen, die im Westen immer das Sagen hatten, und in der DDR vielfach diejenigen, die auf betrieblicher Ebene die Entscheidungen trafen. Opfer werden sein: Die Werktätigen im allgemeinen, die Frauen im besonderen (Streichung der Schulspeisung in der DDR, der günstigen Kinderkrippen und -gartenplätze, Verbot der Abtreibung, vor allem aber: Senkung der weiblichen Beschäftigungsquote als Resultat schnell steigender Arbeitslosigkeit).
Wir sagen:
Nein zu einem Anschluss an Arbeitslosigkeit und wachsende Frauenunterdrückung!
Die in Bonn Regierenden reden schon gar nicht davon, was die Politik des Anschlusses für die fünf Millionen ausländischen Bürgerinnen und Bürger der BRD und für die vielen tausend Studierenden aus der Dritten Welt in der DDR bedeuten wird. Taten dieser Tage, wie das neue Ausländerrecht der BRD, wie die Forderung, auch in der DDR müsste die Partei der "Republikaner" zugelassen werden, wie das gezielte Herunterspielen der neuen antisemitischen Aktivitäten in BRD und DDR sprechen allerdings eine deutliche Sprache: Die ersten Opfer dieses Anschlusses werden Minderheiten und unsere ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger sein.
Wir sagen:
Nein zu einem Anschluss, der neuen Rassismus und Antisemitismus hervorbringt!
Ja zur Solidarität mit den Schwachen der Gesellschaft. Für ein Verbot faschistischer und neofaschistischer Parteien.
Die in Bonn Regierenden meinen mit ihrer Anschluss-Politik (Übernahme des Grundgesetzes durch die DDR), dieses "neue Deutschland" werde als Staatsräson haben, was Staatsräson der BRD war und ist: "Das Deutsche Reich ist nie untergegangen" (CSU-Chef Waigel). Deutschland in den Grenzen von 1937 ist wiederherzustellen - so der Verfassungsauftrag des Grundgesetzes und die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts.
Wir sagen:
Nein zur Politik des Revanchismus!
Für eine gemeinsame Garantieerklärung beider deutscher Staaten für die polnische Westgrenze.
Die in Bonn Regierenden - aber auch maßgebliche Vertreter im DDR-Verteidigungsministerium und Offiziere der Nationalen Volksarmee verbinden mit der Politik des Anschlusses die Vorstellung zur Schaffung einer gemeinsamen Armee. Die Orientierung auf die absolute wirtschaftliche Hegemonie in Europa und im zu schaffenden EG-Binnenmarkt, fortgesetzte Expansionsansprüche in Richtung Polen - das alles macht nur Sinn, wenn auch die militärischen Mittel zur Durchsetzung solcher Ziele existent sind.
Wir sagen:
Nein zum Anschluss an einen neuen deutschen Militarismus!
Radikale einseitige Abrüstungsschritte in BRD und DDR, Austritt aus den militärischen Bündnissen Nato und Warschauer Pakt, Auflösung von Bundeswehr und Nationaler Volksarmee.
Eine große Koalition von Helmut Kohl bis Erich Honecker hämmerte der Bevölkerung in der DDR und in der BRD ein, es gebe keine Alternative zwischen Kapitalismus und einem System in der DDR, das sie als "real existierenden Sozialismus" benannten.
Wir, die wir Kapitalismus ebenso wie die Einparteienherrschaft der SED kritisiert und bekämpft haben, sagen:
Nein - das ist nicht die reale Alternative!
In der DDR existierte niemals real ein Sozialismus. Ebenso wenig hat der Kapitalismus in der Bundesrepublik etwas mit sozialer Gerechtigkeit zu tun.
Die Alternative zu Einparteienherrschaft und bürokratischer Kommandowirtschaft in der DDR und zur Diktatur der Konzerne ist auch und gerade heute:
Ein Sozialismus der Freiheit und Demokratie!
Ein auf Volkssouveränität beruhendes Gemeinwesen selbstverwalteter Betriebe und Kommunen, deren Räte unmittelbar die Interessen der Menschen vertreten.
Vereinigte Linke (VL), Die Nelken, Vereinigte Sozialistische Partei (VSP), 5. März 1990
aus: wahl aktuell März 1990