Damals war's -
Linke Geschichten aus der alten Republik
"Anfang September 1989 fand in Böhlen ein Treffen von Vertretern verschiedener sozialistischer Tendenzen, darunter Christen und Marxisten, statt. Auch Mitglieder der Sozialistischen Einheitspartei waren anwesend."
Die, zugegebenermaßen wenigen, Teilnehmer dieses Treffens blieben anonym, weil sie jahrelange Erfahrungen mit dem Repressionsapparat des Staatssicherheitsdienstes gemacht hatten und sich die Gelegenheit zu tiefgreifender theoretischer Auseinandersetzung nicht nehmen lassen wollten. Verhaftungen hätten unweigerlich dazu geführt, dass ein angestrebter gesellschaftlicher Dialog auf der Basis linker Erfahrungen abgebrochen worden wäre.
Nun wollen wir nicht enthüllen, wer denn da mit wem, aber es soll doch gesagt werden, dass sich auch ein bekannter SDP/SPD-Gründer darunter befand, und der Prozentsatz späterer Abgeordneter unserer Volkskammer unter den Anwesenden nicht gering war. Jedenfalls im Verhältnis.
"Die Teilnehmer des Treffens berieten angesichts der wirtschaftlichen Stagnation und der sich entwickelnden politischen Krise in der DDR über die Notwendigkeit einer tiefgreifenden politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Umgestaltung, die dafür notwendige Zusammenarbeit aller auf den Positionen des Sozialismus stehenden weltanschaulichen und politischen Kräfte in der DDR und die Notwendigkeit der Erarbeitung einer linken sozialistischen Alternative im Geiste sozialistischer Demokratie und Freiheit."
Das hört sich nun mittlerweile schwierig an, weil der Begriff Sozialismus diskreditiert ist, eine Chance für Erneuerung auf diesem Wege womöglich nie gegeben war, wenigstens nicht mehr nach dem Wegfall der Mauer. Niemand wird sich nun ernsthaft in dieses Gefängnis zurücksehnen, aber vielleicht ist es das Schicksal von Utopien, dass ihre Verwirklichung nur in pädagogischen Provinzen für eine gewisse Zeit gelingen kann. Aber immer kosten sie Freiheit, und sicher ist noch nicht, dass sich eine Synthese wirklich leben lässt - die Synthese von Gerechtigkeit und Freiheit.
Ja, selbst von der DDR, mit der wir schon noch ein paar Jahre gerechnet hatten, ist mittlerweile nichts übriggeblieben als blinder Hass auf der einen und ebenso blinde Nostalgie auf der anderen Seite.
"Die Teilnehmer des Treffens rufen alle unabhängigen sozialistischen Gruppen und Vertreter selbständigen linken Denkens auf:
Entwickelt die enge Zusammenarbeit und das Bündnis aller Linken!
Vertretet offensiv die Positionen sozialistischer Demokratie und Freiheit!
Erarbeitet eigenständig alternative Konzepte und Programmatik im Geiste einer demokratischen, freiheitlichen sozialistischen Entwicklung in der DDR!"
Wohlgemerkt, das war im September [1989]. Und es war zum erstenmal tatsächlich möglich, die Vertreter unterschiedlichster Ansätze, jenseits rein bürgerlicher Kritik am SED-Regime, in eine inhaltliche Diskussion zu bringen. Wir schwer das fiel, zeigte der desolate Zustand des ersten Koordinierungstreffens der Initiative Vereinigte Linke, bei dem etliche bereits wieder das Handtuch warfen. Doch der Elan war groß, bereits im September ein erster provisorischer Sprecherrat gegründet, ein Wohnzimmer zu Büro und Tagungsraum umfunktioniert und der Plan gefasst, am 25. und 26. November im Haus der Jungen Talente ein DDR-weites Arbeitstreffen zu organisieren. Die verbleibende Zeit bis dahin nutzte die Initiative für die wohl gründlichste theoretische Auseinandersetzung in der Geschichte der Bürgerbewegung Vereinigte Linke. Nachzulesen im Reader der ersten Arbeitstagung.
Gerade in der Einschätzung der ökonomischen Situation zeigten sich äußert realistische Ansätze. So warnt bereits die Böhlener Plattform davor, "dass politbürokratische Unterdrückung durch kapitalistische Ausbeutung ersetzt wird". Es wurden im Vorfeld der Wahlen schließlich auch die inzwischen bekannten Betriebszusammenbrüche und Arbeitslosenzahlen prognostiziert, ebenso die verheerende Ausgangslage, die die Währungsunion für den Mittelstand und die Kleinunternehmen nun darstellt. Aber das Prinzip "Wer nicht auf uns hört, muss die Folgen tragen" macht keinen Sinn, denn es ist nicht verstanden worden, die Leute in diesem Land zu erreichen. Das Schicksal der Linken in Deutschland? Das macht auch keinen Sinn, sondern wohl eher die historische Situation der DDR - da wurde etwas bekämpft, dass das Etikett "Links" trug, und das in Wirklichkeit nichts anderes war als ein hierarchisch gegliedertes, politbürokratisches System, reaktionär und korrupt. Aber Namen und abstrakte Theorien bedeuten deutschen Linken immerhin etwas, und damit waren sie in der Zwickmühle, wie sie sich denn schließlich beim Novemberarbeitstreffen widerspiegelte. Es kämpften die Flügel hart und verbissen um die Form der Organisation, so dass die gute inhaltliche Arbeit unter der Schlagzeile: "Linke vereinigte sich nicht" verschwand. Dabei gab es wirklich wichtige Ansätze, wie das Papier "Partizipation, Gerechtigkeit und Überlebensfähigkeit", das sich mit der globalen Situation beschäftigte, und den ebenfalls über die Zeit hinausweisenden Aufruf zu Gründung eines Volkskongresses, wie ihn die Runden Tische später dann, wenn auch nur ansatzweise, in die Praxis umsetzten.
An den Runden Tischen, am zentralen wie an den thematischen, war die Vereinigte Linke von Anfang an dabei. Sie hat es immer als einen wichtigen Punkt in ihrem basisdemokratischen Verständnis gesehen, gemeinsam mit den anderen Bürgerbewegungen zu diskutieren und zu arbeiten.
Ein entscheidender Einschnitt in der Geschichte der Vereinigten Linken war die Wahl zur Volkskammer, die von vornherein bei der Basis sehr vieler Bürgerbewegungen viel umstrittener war, als die darauffolgenden Kommunalwahlen.
Wahlen haben neben ihrer Aufgabe, demokratisch zu legitimieren, auch die Eigenschaft, Realitätssinn zu wecken, Rechenkunststücke zu aktivieren und Träumer in die Ecke zu verweisen. Ein Teil der potentiellen VL-Wähler hat PDS gewählt, weil sie für die Linken wenigstens einen starken Apparat und Chancen im Parlament erreichen wollten. Und es ist durchaus verständlich, dass sie dazu eine Möglichkeit sahen. Man hatte ja wenigstens mit "fairem" demokratischem Verhalten der Regierenden gerechnet, was sich als Trugschluss herausstellte. Das zeigt die Illusion über die sogenannte bürgerliche Rechtsstaatlichkeit. Westlinke haben sie vor Jahren verloren.
Ein Teil, besonders der Jüngeren, hat überhaupt nicht gewählt, weil sich autonome Strukturen nicht mit dem bürgerlichen Demokratieverständnis vereinbaren ließen. Dieses Spektrum ist damit der Vereinigten Linken wohl auf Dauer verloren gegangen. Angesichts der Materialschlacht bei der Volkskammerwahl und des Verschleißes von Menschen, wobei wieder vor allem Frauen auf der Strecke geblieben sind, halte ich es für wirksamer, wenn wir unsere Besonderheit als linke undogmatische Bürgerbewegung außerparlamentarisch zu Gehör und zu Aktion bringen. Bei konkreten Anlässen und in Bündnissen, die sich bei Sachfragen ergeben und nicht an Namen und wahltaktische Überlegungen gebunden sind, gibt es auch künftig einen Platz für die Vereinigte Linke. Ihren Namen muss sie ernst nehmen im Sinne einer vereinigten linken Vielfalt und nicht einer Einheitslinken unseligen Angedenkens. Ein wichtiger Schritt dazu scheint mir zu sein, dass die VL als Ganzes sich keinem Wahlbündnis zugehörig fühlt, sondern ihre außerparlamentarische Rolle in den Vordergrund rückt. Das ist ganz im Sinne des Böhlener Programms. Einzelne Kandidaten werden auf der Liste der Grünen/Bündnis 90 ebenso vertreten sein wie auf der Linken Liste/PDS. Das kann sie aushalten.
aus: Die Andere, Nr. 37, 04.10.1990, Der Anzeiger für Politik, Kultur und Kunst, Unabhängige Wochenzeitung, Herausgeber: Klaus Wolfram