Ist die DDR reif für eine Reform ihres gesellschaftlichen Systems?

1. Rechtfertigung der Fragestellung

In keinem anderen RGW-Land hat sich so früh sowohl im Bewusstsein der Herrschenden, als auch in ihrem konkreten politischen Agieren deren besondere Einsicht von der Notwendigkeit wirtschaftlich effizienten Handelns und der Vorteile sozialpolitischer Fürsorge umgesetzt. In den 60iger Jahren, den Jahren des NÖSPL, sind vergleichsweise bemerkenswert weitgehende ökonomische Regulative wert-, finanz- und materialökonomischer Natur erprobt worden. Seit Anfang der 70er Jahre wurden die kontraproduktiven Effekte vornehmlich struktur- und sozialpolitischer Natur erkannt und im Rahmen der nunmehr verkündeten Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik zu reduzieren versucht, nicht ohne wenigstens ansatzweise einige positive Erfahrungen der Reformperiode der 60er Jahre hinüberzuretten.

Die Erfolge jenes Wegs sind, wieder vergleichsweise im RGW-Raum bewertet, unbestreitbar. Genau dies ist auch der Boden für die scheinbare Gelassenheit, mit der Vertreter der Führungsspitzen in jenen seltenen Fällen, anläßlich derer sie sich nach wirtschaftsreformatorischem Handlungsbedarf auch für die DDR überhaupt befragen lassen, dann antworten, dies hätte das Land schon in den 70er Jahren für sich erledigt. Als ideologische Basis dieses neuen Selbstbewusstseins muss heute infolge der "jähen Wendungen" des Kurses besonders des sowjetischen Nachbarn der einstmals verketzerte "nationale Weg" jeden Landes beim Aufbau des Kommunismus herhalten.

Nicht die abgebrochenen Ulbricht'schen Reformprojekte der 60er Jahre, sondern die "Errungenschaften der 70er Jahre", also das Konzept der "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" sind des DDR-Politbüros ganzer Stolz gegenüber den sich wieder auf Chrustschow'sches Ideengut berufenden sowjetischen Reformern. In der Tat ist die DDR hier den anderen sozialistischen Ländern relativ weit voraus.

Weitaus geringer ist dieses Selbstbewusstsein, wenn der in der Flucht nach vorn selbst geschaffene Maßstab des "Weltniveaus" (oder, wie es heute viel bezeichnender heißt, des Weltmarkts) angelegt wird. Hier reicht die Spanne von schönfärberischer Selbstbeweihräucherung über beschwörende Appelle bis zu Dauerklagen.

Was ist nun von der Behauptung zu halten, die DDR könne auf der Grundlage des installierten Wirtschaftsmechanismus und unter Beibehaltung der herrschenden sozialökonomischen Strukturen sowohl den "von außen" zu erwartenden Herausforderungen standhalten, als auch den Anforderungen und Bedürfnissen der Menschen an eine sich auf dem Weg zum Kommunismus befindliche Gesellschaft genügen?

Wir werden versuchen, den Beweis zu erbringen, dass dies ohne radikale, ja revolutionäre Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft nicht erwartet werden kann. Hier stehen die Werktätigen der DDR ebenso, wie die aller anderen "realsozialistischen" Übergangsgesellschaften vor der historischen Alternative, entweder solche Veränderungen gegen den Widerstand konservativ-bürokratischer Kräfte durchzukämpfen, oder sich der anhaltenden Agonie eines bankrotten, nur noch nominell sozialistischen parteidogmatischen Etatismus mit seinen immer heuchlerischeren Selbstdarstellungen und wirklichkeitsferneren Aufholkampagnen weiterhin auszuliefern. Hier geht es nicht allein um die Zukunft realsozialistischer Länder, sondern auch um die Frage, inwieweit solche Länder aus sich selbst heraus fähig sind, die weltweite Perspektive des Kommunismus zu rehabilitieren und als Alternative für die beiden anderen Welten wieder sichtbar auf die Tagesordnung zu setzen.

2. Der gegenwärtige Zustand und seine Ursachen

Die nun folgende und auf das Wesentliche reduzierte Darstellung des Zustands unserer Gesellschaft wird in seinen Grundzügen besser nachvollziehbar, wenn wenigstens der Wirtschaftsmechanismus der DDR-Ökonomie in seinem Gewordensein präsent ist. Wir verweisen hier auf eine Darstellung älteren Datums (Manuskript "Wirtschaft und Planung in der DDR").

Zunächst: Was ist nun während der lt. Honecker in der DDR bereits seit 1971 in Gang gekommenen "Reform" tatsächlich in der Wirtschaft passiert?

Zunächst wurde jener Ende der 60er Jahre de facto schon weitgehend neutralisierte Ulbricht'sche Reformansatz auch nominell ad acta gelegt und der für Mittag angetretene Krolikowski versuchte sich mit einer Kopie Breschnew'scher "Gegenplanbewegung" als Effizienzstimulator. Nach dem Scheitern dieses Ansatzes aufgrund der gewitzten "weichen Planpolsterpolitik" der Wirtschaftsbürokratie zum Abfangen von "Gegenplänen" bot sich Mittag ab 1976 erneut als Wirtschaftssekretär des ZK an; nun allerdings in einem seinem NÖS-Kurs der 60er genau entgegengesetzten Sinne: Rigide Zentralisierung möglichst vieler wirtschaftlicher Entscheidungen. Auch hier zeigte sich wieder deutlich: bürokratische Reformkonzepte reflektieren nur die Scheinalternativen "Zentralismus" (bis zum Exzess des Dirigismus) oder "Dezentralisierung" (mit ohnmächtiger Inkaufnahme strukturpolitischer Deformationen), gepaart mit formalistischen Wechselbädern in der Anwendung von mehr oder weniger "sozialistischer Marktwirtschaft".

Unangetastet hat die Allmacht zentralistischer Weisungskompetenz zu bleiben, was der Ökonomie über alle technokratischen Schwenks hinweg den Charakter einer Befehlswirtschaft erhält. Politisch wird dieses System durch die auch sozial befriedend wirkenden Effekte wohlfahrtsstaatlicher Fürsorge abgefedert und politisch angepasstes Verhalten der ansonsten auf ihre Privatsphäre zurückverwiesenen "realsozialistischen Konsumenten'' prämiert. Die Demoralisierung politisch entmündigter Individuen wird durch ihre Degradierung im Produktionsprozess als (im Idealbild) fleißige Befehlsempfänger noch verstärkt, zumal Abweichungen von der verordneten politischen Norm mit oftmals panischem Eifer geahndet werden.

Die 70er Jahre waren gekennzeichnet von einem immer schneller anwachsenden Rückstand der traditionellen Wirtschaftszweige der DDR zur Weltspitze. Infolge ihrer eklatanten Innovationsschwäche war die DDR-Ökonomie außerstande, den durch beide Ölpreisschocks noch zusätzlich stimulierten technologischen Herausforderungen des Jahrzehnts zu begegnen. Einzelne Industriezweige, die in den 60er Jahren noch Spitzenpositionen auf dem Weltmarkt behaupteten, haben sich dann während der 80er Jahre in Technologiemuseen verwandelt. Es kann dabei nicht die Rede davon sein, dass diese Probleme unerkannt blieben. Beispielsweise belegen die beschwörenden Appelle zur Forcierung der Mikroelektronik nach westlichem Vorbild und die kläglichen Resultate vor allem im Bereich der wirtschaftlichen Massenfertigung von Hochtechnologieprodukten vielmehr, dass trotz Einsicht und Wille der politischen und wirtschaftlichen Verantwortungsträger die Fähigkeit zur befriedigenden Realisierung anspruchsvoller Vorhaben innerhalb des gegenwärtigen DDR-Wirtschaftssystems fehlt. Wie auf dem Technologiesektor zeigt sich auch bei Betrachtung der DDR-Außenwirtschaftsentwicklung, wie unfähig die Ökonomie sich bei der Anpassung an veränderte außenwirtschaftliche Bedingungen oder der Kompensation ungünstiger externer Effekte erwies: Die Struktur des DDR-Außenhandels nähert sich der eines Entwicklungslands; die Verschuldung ließ und läßt sich nur noch auf Kosten des im Inland verwendeten Nationaleinkommens, mit Dumping und sinkender Außenhandelsrentabilität, mit raffinierter Kreditnahme - und/oder Reexportpolitik (wie der sowjetischen Öls in die BRD 1981-'86), der Ausnutzung der quasi-Assoziation an den EG-Markt ect. auf Zeit in den Griff bekommen - offensichtlich aber kam über innovative Prozesse, was bei sinkender Akkumulationsrate auch verwundern würde. Der katastrophalen Energiepolitik und der damit besonders eng verbundenen geradezu gesellschaftskriminellen ökologischen Verwahrlosung wurde an anderer Stelle bereits mehr Raum gegeben (Wolf/Klein 1987).

Schon allein die singuläre Betrachtung der Planungs- und Wirtschaftsleitungsmechanismen verweist auf die Ursachen für die Innovationsträgheit und Antriebsschwäche der DDR-Ökonomie: Das groteske Ausmaß der Zentralisierung ist gepaart mit irrealen Planungshorizonten: Neben Jahres-, Quartals-, Monats- und Dekadenplänen sollen die Betriebe und Kombinate auch Zehnjahrespläne ausarbeiten. Den alles andere als selbstständigen Einheiten wird nach wie vor die Zentrale-STAG mit verbindlich vorgegebener Erwartung gezielter 2%-iger Überbietung der Jahrespläne vorgegeben. Dies führt im obligatorischen Plankuhhandel zwischen Zentrale und Kombinaten zur Verschleierung von Reserven zwecks Abfangen der Steigerungsraten und Sonderforderungen nach Ressourcen. Leistungsreserven lassen sich so nicht mobilisieren. Die Aufteilung der DDR-Wirtschaft in Kombinate führte nicht zu hochleistungsfähigen, zentralisiert geleiteten Produktionseinheiten, sondern zu partikulärer Interessenentfaltung auf niedrigstem Effektivitätsniveau. Sobald solche Kombinate ihre Produktion in geschlossenen Kreisläufen vom Rohstoff bis zum Endprodukt einschließlich wissenschaftlicher Forschung "selbst" organisieren (-natürlich mit obiger Einschränkung-), also jedes Kombinat seine Ratiomittel, Mikrochips, Roboter ect. selbst baut und seine eigene Zuliefererproduktion (wie ineffektiv diese auch sein mag) organisiert, sind die Folgen absehbar: Die Wirtschaftseinheiten schotten sich gegeneinander ab, die Produktionsstrukturen spotten dem Prinzipien der optimalen Betriebsgröße und Standortverteilung, ein Wettbewerb zwischen Kombinaten bleibt wegen ihres Kartellcharakters irreal und die ihre Interessenlage stimuliert keineswegs die Forcierung von Innovationen. Notorische Leistungsforderungen der Zentrale und beauflagte Erneuerungsraten können diese objektiven Grundlagen innovationsfeindlicher Interessenpolitik der Kombinate nicht unterlaufen, so dass letztlich nur die Drohung mit personalen Konsequenzen zieht. An der Oberfläche ist all dies sichtbar durch beträchtliche Preiserhöhungen für neue oder gehobene Konsumgüter, sinkende Reallöhne, durch Preissteigerungen, vorgegaukeltes Wirtschaftswachstum und Sparideologie. Indikator des Leistungswachstum wird immer mehr die Minimierung des Aufwands an Produktionsfaktoren und kam noch die zusätzliche Wertschöpfung pro Einheit eingesetzter Ressourcen.

Hat eine Fortsetzung des Lavierens zwischen indirektem und direktem Zentralismus nach altem Muster eine Chance?

Im nächsten Abschnitt wird deutlich werden, dass eine singuläre Wirtschaftsreform ohne Revolutionierung des sozialen System scheitern wird. Ebenso wird ein einseitig technokratischer und auf professionellere Anwendung operativer materiell- oder finanzökonomischer Methoden beschränkter Umbau des Wirtschaftsmechanismus nur graduelle Fortschritte bringen. Gerade die Suche nach Antworten auf brennende Fragen des Verhältnisses von zentralen und dezentralen Wirtschaftslenkungsmechanismen sozialistischer Übergangsgesellschaften wird zeigen, das die so vermissten neuen Lösungen außerhalb des sattsam bekannten politbürokratischen Lavierens zwischen direktem und indirekten Zentralismus dort zu finden sein werden, wo sich ein neues Verhältnis von ökonomischen, politischen und sozialen Entscheidungsprozessen entwickeln kann. Diese Entscheidungen, ihrer Natur nach von jeher widersprüchlicher Art, werden in Anerkennung eben dieser ihrer Natur umso qualifizierter, je mehr die reale Vergesellschaftung jenseits politbürokratischen Dirigismus als Vergesellschaftungsersatz Fortschritte macht. Und dies ist eine in erster Linie politische Frage.

3. Die Lehren wirtschaftspolitischen Scheiterns der SED und die Richtung künftiger Reformversuche

Die Erfahrungen der 50er Jahre wiesen nach, dass eine direkt-zentrale (Mengen)-Planung unmöglich ist. In Ermangelung anderer Losungen wurde dann versucht, ein auf den betrieblichen Gewinn als Stimmulator zielendes System von Wertkategorien aufzubauen, so dass über einzelwirtschaftliche Rentabilität bei Erhaltung des Primats zentralstaatlicher Planung sich auch gesamtgesellschaftliche Effizienz erreichen lassen könne. Der Fortschritt lag in der Anerkennung der Rolle formalökonomischer Rationalität (vermittelt über Wertkategorien) in großen, nicht direkt-zentralistisch lenkbaren Wirtschaftssystemen. Nach dem Scheitern des voluntaristischen Entscheidungsmonopols der Partei in der Wirtschaft war dies tatsächlich ein Vergesellschaftungszuwachs; jedoch nur im Sinne einer Ausdehnung von Entscheidungsspielräumen der tatsächlichen Wirtschaftseinheiten und des realistischeren gesellschaftlichen Bewertens ihrer Arbeitsprodukte. Dies wirkte sicher auch förderlich in materiell-ökonomischer Hinsicht, ließ aber weiterhin die Wirtschaftssubjekte (die Werktätigen selbst; ihre Bedürfnisse und ihren Anspruch auf aktive Teilhabe und schöpferische Mitverantwortung) hinter der Eigendynamik des Kampfes der hauptsächlich, von formal-ökonomischen Handlungskriterien bestimmten Betrieben in ihrem Kampf mit den zentralistischen Planungsinstanzen zurück.

Als 1970 die immer drastischere Rezentralisierung einsetzte, war deutlich geworden, dass die Problematisierung offenkundig vorhandener Vergesellschaftungsdefizite auf der "Plan-Markt-Ebene" genauso verfehlt war, wie vereinseitigte "Zentralisierungs/Dezentralisierungs"-Debatten oder "Wert-Gebrauchswert"-Diskussionen: Die Verwendung von Wertkategorien als solcher sagt noch nichts hinlängliches über die Natur und den Stand der Vergesellschaftung insbesondere in der Wirtschaft aus; ebenso wenig, wie allein die Existenz des Plans als gesellschaftliches Strukturprinzip die spezifische Form der Vergesellschaftung nachkapitalistischer Formationen charakterisiert. Tatsächlich geht es um das Verhältnis und die Voraussetzungen der Anwendung von materieller Rationalität (Bedürfnisse, Gebrauchswerte, gesellschaftliche und individuelle Prioritäten) und formaler Rationalität (Arbeitszeitökonomie und die Ökonomie begrenzter Ressourcen über deren Bewertung). Die "gebrauchswertunabhängige" Bewertung gesellschaftlicher Teilarbeiten über den Vergleich der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeiten ist eine formationsunabhängige zivilisatorische Kulturleistung, die als solche solange ihren Sinn behält, wie Kommensurierung (Vergleiche unabhängig voneinander betriebene Teilarbeiten) und Allokation ("optimale" Verteilung der gesellschaftlichen Arbeitszeit und knapper Ressourcen) nötig sein werden. Ihre konkrete Form erscheint als gesellschaftliches Verhältnis, welches auch den mehr oder weniger konstituitiven Inhalt der Wertkategorien selbst bestimmt. So ist die absolute Dominanz formalökonomischer Rationalität kapitalistischer Ökonomien vergegenständlicht im Profit als Motor der Wirtschaft und im Kapital als dem dieser Zielfunktion zugrundeliegenden gesellschaftlichen Verhältnis. Hier fällt Kommensurierung der Teilarbeiten (als Privatarbeiten) über den Tausch und gesellschaftliche Synthesis (reguliert über das die Lohnarbeit kommandierende Kapital) zusammen. Die bekannten materiell-ökonomischen Irrationalitäten (bei hoher formalökonomischer Rationalität) sind die Folge. Dies ist bei kommandierter Vergesellschaftung (den Gesellschaftsmitgliedern von oben aufgezwungene Synthesis über den parteikonformen Staat) ebenso wenig der Fall, wie bei unmittelbarer Vergesellschaftung (vermöge kooperativer oder interessenbedingt konfrontativer Auseinandersetzung durch die Gesellschaftsmitglieder, also selbst organisierte Vergesellschaftung). Aber solange unterschiedliche Entscheidungsspielräume verschiedener Produzentenkollektive einer selbstverwalteten gemeinwirtschaftlich organisierten Ökonomie mit unterschiedlichen Interessen, sowie verschiedene Bedürfnisse gesellschaftlicher Konsumentengruppen existieren, ist formalökonomische Rationalität als Bindeglied zwischen wirtschaftlichen Entscheidungsträgern in allokativen Prozessen ebenso notwendig, wie die freie gesellschaftliche Auseinandersetzung über Ziel und Inhalt der materiellen Produktion des gesellschaftlichen Lebens. In dem Maße, wie Schritte in Richtung unmittelbarer Vergesellschaftung erfolgen, verlieren die Kategorien formal-ökonomischer Rationalität den ihnen jetzt noch anhaftenden Charakter von Anleihen des realsozialistischen bürokratischen Wirtschaftsapparats bei den Techniken der kapitalistischen Weltwirtschaft, um produktive Motivierung ohne Demokratisierung, Effektivierung ohne Selbstverwaltung, innovative Antriebe ohne freie gesellschaftliche Selbstorganisation "einzukaufen".

4. Woran hat sich die Reform zu orientieren?

Die Risiken des verspäteten, in einigen sozialistischen Ländern aber inzwischen eingesetzten Reformprozesses sind bereits an anderer Stelle benannt worden (siehe Manuskript "Wirtschaftsreform sozialistischer Länder"). Die Erfahrungen insbesondere der Sowjetunion müssen berücksichtigt, dürfen aber nicht zum Maßstab werden (vgl. Manuskript "Wirtschaftsreform in der UdSSR"). Jeder weitere Zeitverzug vergrößert die Risiken und die zu erwartenden Schwierigkeiten.

Es wird in der ersten Reformphase unumgänglich sein, sofort die Dezentralisierung zu fördern und insbesondere die Institutionen der territorialen Selbstverwaltung zu stärken bzw. wieder zu beleben. Betriebliche Selbstverwaltung und Eigenverantwortung sowie bessere Einbindung von Instrumenten formalökonomischer Rationalität in das inner-, zwischen- und überbetriebliche wirtschaftliche Handeln müssen mit einer grundlegenden Umgestaltung der Planungsinstrumentarien und der Kompetenzen von SPK, Ministerrat und Ministerien, Partei und Vertretungskörperschaften einhergehen. Die zentrale Frage bleibt bei alledem die Demokratisierung. Am Beginn kann der Kampf unter der Losung "Demokratisierung der bestehenden gesellschaftlichen Institutionen und des Staats- und Rechtswesens" aufgenommen werden. Parallel dazu muss die freie Diskussion in den Parteien und Massenorganisationen durchgesetzt werden. Partei- und Gewerkschaftswahlen sowie alle Foren gesellschaftlicher Organisationen sollten nach Maßgabe der realen Möglichkeiten für die Thematisierung einer Gesellschaftsreform zu nutzen sein, um die Probleme auf einer immer breiteren gesellschaftlichen Grundlage zu diskutieren.

Thomas Klein, September 1988

aus 1. DDR - weites Arbeitstreffen der Initiative Vereinigte Linke 25./26. November 1989, Konferenz Reader, Herausgeber: Initiative Vereinigte Linke Berlin

[Der Text erschien in Kontext, Nr. 6, Juli 1989]

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