Gestern noch falsch, heute gut
Demo-Aufruf der SED-PDS zeugt von fragwürdiger Ehrlichkeit
Nunmehr wird immer deutlicher: an der Ideologie-Form der SED-PDS hat sich kaum etwas verändert. Nach der alten stalinistischen Weise: Wogegen du gestern noch zu sein hattest, das mache dir in der erstbesten Gelegenheit zu eigen! wird zur 90er LL-Demo [gemeint ist Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht] der "entstalinisierten" SED-PDS-Basis ein Luxemburg-Zitat angeboten, für dessen öffentliches Tragen vor nur 2 Jahren Menschen verhaftet, bedroht und gesetzwidrig verurteilt wurden, einige das Land verlassen "durften". Sie sind noch immer nicht rehabilitiert.
Dieser Demonstrationsaufruf, der inzwischen von einem zweiten mit ähnlichem Inhalt und genau diesem Zitat ergänzt wurde, hat nicht nur mit einer unglaublichen Geschmacklosigkeit, sondern vor allem damit zu tun, dass in der SED-PDS der Atem der Ehrlichkeit aus schwachen Lungen pfeift. Aber wie auch sollte man denn den Parteimitgliedern bei Darstellung der tatsächlichen Ereignisse und Zusammenhänge vom 17. Januar 1988, erklären können, warum sie vor zwei Jahren nach schön brav die Lügen über die Verhafteten und den ganzen Zeitungskrieg gegen sie wohl oder übel mitgetragen haben, jetzt aber deren Losung auf Geheiß einer "neuen" Führung zu jener Grabstätte tragen sollen, auf der zwar nicht Karl und Rosa, dafür aber maßgebliche Formgestalter dessen liegen, was die SED-PDS neuerdings "zentralistisch-administratives System" nennt, des Stalinismus in der DDR also.
Verständlich noch ist nach dem Geschehenen, dass die Partei um die Integration ihrer Mitgliedschaft ringt. Aber wenn sie das auf Kosten derer versucht, die lange schon vor allen Massendemonstrationen, Wendeplänen und Änderungsbekundungen für eine Alternative in der DDR gekämpft haben, ohnmächtig und ohne Hoffnung auf Erfolg, die von menschenverachtenden SED-gelenkten Organen verfolgt, eingesperrt, abgeschoben oder verkauft wurden, und die eben von einer gläubigen und gehorsamen Partei-Masse verhöhnt wurden oder zynisch belächelt, so muss dies einer neuen "inneren Stalinisierung" gleichkommen. Mit mir verwahrt sich die Mehrzahl der in der Initiative "Vereinigte Linke" Berlin tätigen Mitglieder gegen die Okkupation dieser Traditionen durch eine Partei, die sich zuerst mit der Herausgabe der Werke von Rosa Luxemburg schwer tat bzw. sie behindert hat, und die sich als politische Kraft nie in die Linie des Demokratieverständnisses von Rosa gestellt hat. Niemals sind von der SED die Anfeindungen Stalins gegen die Luxemburg zurückgenommen worden, nur namentlich ist Paul Levi gewürdigt worden, der "Zur russischen Revolution", aus der von SED-PDS nun zitiert wurde, erstmals herausgab.
Robert Havemann hatte nach dem 20. Parteitag der KPdSU die Ehrlichkeit und die menschliche Größe besessen, sinngemäß zu sagen: Wir waren alle Stalinisten! Das war drei Jahre nach Stalins Tod.
Aber eben diese Ehrlichkeit wird von der Mitgliedschaft der SED-PDS erst gar nicht verlangt, dafür hatte aber der Parteivorstand auf dem Parteitag der Mehrzahl der SED-Mitglieder versichert: "... diese vielen, vielen ehrlichen Mitlieder unserer Partei!"
Die "ehrlichen Stalinisten" im Sinne Havemanns wären noch eine Hoffnung.
Andreas W(...)
Initiative "Vereinigte Linke"
aus: Berliner Zeitung, Nr. 11, 13./14.01.1990, 46. Jahrgang