Nachlese zum VL-Treffen in Dresden

Schon wieder die Herrschaft einer politischen Lobby

Von THOMAS K(...), Vereinigte Linke, Halle,

Es wird niemanden überraschen, wenn er/sie erfährt dass die teilnehmerstärkste Arbeitsgruppe beim Treffen der Vereinigten Linken in Dresden jene war, die unter dem Titel „Perspektiven der Linken in Deutschland" angekündigt worden war. Die Konzepte der linken Opposition zu einer revolutionären Erneuerung der DDR sind schließlich gescheitert, und auch die VL muss sich der gegenwärtigen Entwicklung stellen. Linke stehen vor der Notwendigkeit, in einer Situation weitgehender gesellschaftlicher Isolation ihre Programme und Denkschemata zu überprüfen und. trotzdem nicht von den Regeln der Organisation von Herrschaft, die man gemeinhin als "Politik" bezeichnet, aufgesogen zu werden.

Die Ansätze zur Neukonzipierung linker Politik sind vielfältig. Einige theoretische und politisch-praktische seien hier aus der Sicht des Verfassers angedeutet:

Eine konsequente Linke wird sich nicht auf eine Alibikritik des Parlamentarismus beschränken dürfen. Gerade die letzten Wochen haben gezeigt, dass auch die Herrschaft mehrerer Parteien statt einer die (allenfalls getarnte) Herrschaft einer politischen Lobby bedeutet. Eine Beteiligung an den Institutionen zur Sicherung dieser Herrschaft (Parlament, Wahlen) wird von vielen nicht prinzipiell abgelehnt. Sie kann allerdings nur situationsabhängig erfolgen, auf der Basis einer gründlichen inhaltlich-programmatischen Vorverständigung. Im allgemeinen hat die außerparlamentarische Arbeit Vorrang. In diesem Zusammenhang müssen alle platten Bekenntnisse zur "Rechtsstaatlichkeit" problematisiert werden. Die Bindung des Staates an "Recht und Gesetz" bedeutet nur dann eine Demokratisierung, wenn sie umfassend öffentlich kontrollierbar ist und wenn auch die Rechtsgrundlagen unter dem Gesichtspunkt der Fixierung von Herrschaftsinteressen analysiert werden. Diese Interessen kommen um so stärker zum Zuge, je weniger direkt demokratisch über Verfassung und andere gesetzliche Reglungen entschieden wird.

Eine entscheidende Frage in der Diskussion der Linken wird die nach dem Verhältnis von sozialen und ökologischen Zielstellungen sein. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass beide nicht verabsolutiert werden dürfen. Sie sind nicht isoliert voneinander und nicht im Rahmen eines von Profitstreben geprägten Weltmarktes zu lösen (wenn überhaupt). Dieser Erkenntnis werden weder traditionelles Klassenkampfdenken, noch Programme wie die der Grünen (Ost und West) gerecht. Daraus folgt ganz aktuell, dass der erwartete "heiße Herbst", der natürlich vorbereitet werden muss, niemanden die Augen davor verschließen darf, dass Engagement für sozial Schwache (oder "für die Schwachen eine starke Opposition") nicht ausreicht zur Bestimmung linker Politik. Andernfalls droht eine falsche Selbstzufriedenheit, etwa unter dem Motto: Linke machen die "soziale Marktwirtschaft" oder die "Einheit Deutschlands" eben sozialer als alle anderen. Dies heißt letztlich, sich darum zu bemühen, möglichst viele an der Wohlstandsgesellschaft partizipieren zu lassen. Diese aber ist - ebenso wie andere Aspekte des kapitalistischen Experiments "Großdeutschland" - eigentlicher Gegenstand der Kritik: "Die Kritik der Bedürfnisse ist das erste Bedürfnis" (H. Müller).

Ein Schwerpunkt linker Politik liegt in der Arbeit in den Gewerkschaften und Betriebsräten. Der monatelange Kampf um die Posten hat nicht gerade Vertrauen zu den jetzt ohnehin im Eilzugtempo einverleibten DDR-Gewerkschaften geschaffen. Es wird wichtig sein, über eine Vernetzung von Aktivistinnen an der Basis von unten her ein Gegengewicht zu der sich formierenden neuen Gewerkschaftsbürokratie zu entwickeln. Eine breite Kampagne für eine Demokratisierung der Gewerkschaften könnte auch in die Bundesrepublik hineinwirken. Linke Politik ist in Bezug auf Gewerkschaften und Betriebsräte unterstützend und kritisch begleitend zugleich. Persönliches Engagement ist hier wie überall gefragt. Die Zielstellung einer solidarischen, von Ausbeutung freien Gesellschaft kann nur im globalen Sinne gedacht werden. Nichtsdestoweniger dürfen diesbezügliche Bekenntnisse nicht zur hohlen Phrase werden, sie stellen Anforderungen auch an die eigene Arbeit:

1. Ohne eine partielle Vorwegnahme oder ein Vorleben (und damit eine Antizipation) möglicher Zukunft bleiben die Aussagen abstrakt und ohne Folgen. Das könnte mit einer Fülle autonomer selbstverwalteter Projekte alternativen Lebens und Wirtschaftens geschehen, es betrifft aber auch die Stellung von Frauen innerhalb der Organisationen.

2. Basisdemokratie ist ein ständig neuer Anspruch: Sie bedeutet auch die Aufhebung der Arbeitsteilung zwischen "Kopf- und Handarbeiterinnen".

3. Die Einsicht in die Überlebtheit jedes Dogmatismus muss eine tolerante und solidarische Auseinandersetzung um die Perspektiven der Linken zur Folge haben. Davon war in Dresden einiges zu spüren.

Neues Deutschland, Di. 26.06.1990, Jahrgang 45, Ausgabe 146

Das VL-Treffen in Dresden fand vom 15.-17.06.1990 statt

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