Runder Tisch als Alibi?
Am Runden Tisch fehlen nach wie vor aussagefähige Regierungsbeauftragte, ist einer Erklärung der Vertreter der Vereinigten Linken (VL) zu entnehmen. Aber die mangelnde Effektivität dieser Runde wird den oppositionellen Gruppen angelastet. Fragen wir doch, wer welches Interesse am Zustandekommen oder Platzen des Runden Tisches hat?
Er sollte doch den Gruppierungen, die vor allem die Veränderungen in diesem Lande eingeleitet haben, Sitz und Stimme geben. Man kann davon ausgehen, dass die oppositionellen Gruppen ihre Forderungen authentisch durchsetzen werden.
Während Vertreter der VL und andere Gruppierungen ständig fordern, Wirtschaftsdaten und Konzepte offenzulegen und zur Diskussion zu stellen, um unser mit den Füßen erkämpftes Mitspracherecht wahrzunehmen, laufen hinter unseren Rücken Verhandlungen, die die Entwicklung unseres Landes auf Jahrzehnte vorausbestimmen. Vielerorts beginnen die von SED-Richtlinien befreiten Betriebsleitungen, Kontakte mit ausländischen Kapitalgebern aufzunehmen und bereiten unkontrolliert Vertragsabschlüsse vor. Sie können selbstherrlich Entscheidungen treffen, weil die Gewerkschaften handlungsunfähig sind und Betriebsräte nicht existieren.
Inzwischen haben CDU und LDPD die sozialistische Perspektive für die DDR aus ihrer Programmatik verabschiedet. Sicher sind richtungweisende Gesetze zur Kapitalkooperation nötig und zwar sofort, aber wie das Staatseigentum durch Demokratisierung zu Volkseigentum werden kann, scheint die Regierung nicht zu beschäftigen. Noch wollen über 70 Prozent der Bevölkerung eine sozialistische Alternative für die DDR, aber die Staatliche Plankommission denkt über inländisches Kapital nach.
Wurden die Fragen nach Verhandlungen über den Bau von 4 Kernkraftwerken durch BRD-Firmen deshalb nicht beantwortet, weil die Regierung befürchtet, vom überwiegenden Teil des Volkes keine Zustimmung zu erhalten?
Damit bei all diesen Aktivitäten am 6. Mai für uns noch etwas zu wählen ist, brauchen wir den Runden Tisch nicht als demokratisches Feigenblatt, sondern als Initiator und Kontrollorgan für Entscheidungen, die unser aller Leben betreffen. Die Einladung an die neuen, bisher nicht in der Volkskammer vertretenen Gruppierungen, an künftigen Gesetzesdiskussionen teilzunehmen, begrüßen wir als ersten Schritt.
Rote Rosa (Frauen in der
"Vereinigten Linken")
BZ am Abend, Nr. 1, 42. Jahrgang, Di. 02.01.1990