Ohne politische Kultur geht es überhaupt nicht

Alternative Politik nicht ohne Mitarbeit der Linken

Die im Herbst 1989 entstandenen Organisationen der BürgerInnenbewegung sind gegenwärtig an einem Scheideweg angelangt. Wie in anderen politischen Lagern ist auch in den BürgerInnenbewegungen ein drastischer Rückgang der Mitglieder und Aktivitäten an der Basis zu konstatieren. In vielen Orten bestehen die Aktivitäten fast nur noch aus parlamentarischen Initiativen. Hinzu treten erhebliche Finanzprobleme.

Diese Situation hat zu einer heißen Debatte um die organisatorische Perspektive der BürgerInnenbewegungen geführt. Einige Gruppierungen versuchen im Eiltempo eine einheitliche Organisation zu schaffen, ohne dass die politisch-programmatischen Inhalte einer solchen Organisation diskutiert werden. Eine der BürgerInnenbewegungen des Herbstes '89, die Vereinigte Linke, wird dabei systematisch ausgeschlossen, der Unabhängige Frauenverband nur teilweise, d. h. regional verschieden, einbezogen. Die Art und Weise der Auseinandersetzung bleibt hinter dem Anspruch an eine neue Kultur des Umgangs, mit dem die BürgerInnenbewegungen im Herbst 1989 angetreten sind, zurück.

Beabsichtigt ist die Herausbildung einer "ökologischen und sozialen Menschenrechtspartei" aus den rechten Flügeln von BürgerInnenbewegungen (Ost) und GRÜNEN (West).

Vera Wollenberger hat dies sehr deutlich ausgesprochen: Eine stabile politische Vereinigung von Bündnis 90/Grüne im Osten, ohne VL und UFV, mit einer West-GRÜNEN-Partei,- die ihre Linken vertrieben und sich zu einer ökologischen und sozialen Menschenrechtspartei reformiert hat - eben das ist das Ziel. Da hier nicht das Gesamtkonzept dieser Parteibildung vorgestellt werden kann, müssen zwei Stichworte genügen, die sich auch in den aktuellen Auseinandersetzungen bei den GRÜNEN (West) finden. Das erste lautet: Aufkündigung des Gründungskonsens der Grünen, der zwischen der Lösung der globalen Probleme und dem kapitalismuskritischen Emanzipationsprojekt einen untrennbaren Zusammenhang herstellt, wodurch die GRÜNEN in der Vergangenheit den Charakter einer breiten Bündnisstruktur von linken, alternativen, ökologischen und feministischen Kräften darstellten. Dieser Zusammenhang soll durch ein ökokapitalistisches Reformkonzept ersetzt werden.

Das zweite Stichwort heißt "Professionalisierung der Partei" und bedeutet die Ausmerzung der basisdemokratischen Strukturen durch das übliche Apparatschikwesen unter der faktischen Hegemonie der Parlamentsfraktion.

Natürlich ist es das Recht aller, irgendeine Partei zu bilden und auch, innerhalb der BürgerInnenbewegungen dafür Reklame zu machen. Was jedoch nicht geht und was von den BürgerInnenbewegungen im Interesse der eigenen Existenz verhindert werden muss, ist eine Vernachlässigung der politischen Kultur. Wo diese um sich greift, ist eine gemeinsame Arbeit unterschiedlicher politischer Strömungen in einer Bewegung nicht machbar.

Ein wirklich breites, weltanschaulich und (partei-)politisch übergreifendes Netzwerk von Basisinitiativen, die sich unter einem gemeinsamen Grundkonsens vereinen, ist die einzige Form, in der die BürgerInnenbewegungen überlebensfähig sein können. Unter dieser Voraussetzung brauchten sich die BürgerInnenbewegungen nicht mit kleinkariertem Parteiengezänk in ihren eigenen Reihe zu befassen und könnten sich den immer drängender werdenden sozialen Problemen zuwenden. Nur wenn es ihnen gelingt, sich diesen Problemen zu stellen und neue Verbündete aus der neu entstehenden Arbeiterbewegung zu gewinnen, werden sie eine Zukunft haben.

Bernd Gehrke
Initiative Vereinigte Linke

PODIUM – die Seite der und für die BürgerInnen-Bewegung, Initiativen und Minderheiten, in der Berliner Zeitung, Mi. 20.03.1991

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