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Rundfunküberleitungsgesetz: Entflechtung zentraler Strukturen / Mit Konrad Weiß sprach Sibylle Licht

Der Medienausschuss der Volkskammer diskutierte am Mittwoch die letzte Fassung des Rundfunküberleitungsgesetzes, bevor es gestern in die Volkskammer gelangte. Das Rundfunküberleitungsgesetz ergänzt den Artikel 36 des Einigungsvertrages. Beide regeln die Entflechtung der zentralen Strukturen von Hörfunk und Fernsehen in der DDR. Die Fraktionen verständigten sich bereits vor der Volkskammerdebatte auf einen Konsens. Zu Problemen der Neuordnung der Rundfunklandschaft sprach NZ mit Konrad Weiß, Mitglied des Medienausschusses.

Welche Schwerpunkte setzt das Rundfunküberleitungsgesetz?

Das Gesetz ist ein klares Bekenntnis zum dualen System, es lässt öffentlich-rechtliche wie private Rundfunkanbieter zu. Bei dieser Ergänzung des Artikels 36 ist von der Rundfunkhoheit der Länder nach den Landtagswahlen ausgegangen worden. Die Länder bleiben in ihren Rechten weitgehend unbeschnitten. Das Gesetz ist kompatibel zum bundesdeutschen Recht. Zu den wichtigen Punkten gehört meiner Meinung nach die Einigung auf einen Rundfunkbeauftragten. Ihm ist ein Beirat zur Seite gestellt, der aus 18 Mitgliedern bestehen wird. Sie werden aus den zukünftigen Ländern kommen.

Das Überleitungsgesetz definiert die Inhalte, die der Rundfunk vermitteln soll. Welche sind das?

Der Rundfunk wird verstanden als Medium und Faktor der Meinungsbildung. Er hat der Information und der Unterhaltung zu dienen.

Welche Programmgrundsätze sind formuliert worden?

Der Rundfunk soll von Meinungsvielfalt, Ausgewogenheit und Sachlichkeit geprägt sein. Es heißt weiter, dass die Bürger- und Persönlichkeitsrechte der Menschen geachtet werden. Dinge, die selbstverständlich sind, aber bei uns nicht selbstverständlich waren. Sendungen dürfen u. a. nicht gegen die Völkerverständigung verstoßen; sie sollen die Bereitschaft zu Frieden, sozialer Gerechtigkeit und demokratischer Freiheit befördern, den Schutz und die Erhaltung der Umwelt, die Gleichstellung von Frauen und Männern sowie Minderheiten berücksichtigen.

Was unterscheidet das Gesetz von den bisherigen Entwürfen?

Werbung ist nach diesem Gesetz, grundsätzlich sonntags bzw. werktags nach 20 Uhr nicht mehr möglich. Dies war bislang beim Deutschen Fernsehfunk anders geregelt. Im Gesetz heißt es allerdings auch, dass bestehende Werbeverträge da von unberührt bleiben.

Welche Bestimmungen sind zum Privatrundfunk enthalten?

Einzelheiten bestimmen die Länder selbst. Es ist lediglich festgelegt, dass die Frequenzen ausgeschrieben werden müssen. Die privaten Rundfunkanbieter sind aufgefordert, ihre Programme einzureichen. Das Gesetz zielt darauf ab, dass die Privaten die hier vorhandenen Produktionskapazitäten nutzen. Es wird ein Frequenzplanungsausschuss eingerichtet, der für die Vergabe der Frequenzen zuständig ist.

Was soll aus den großen Berliner Produktionsstandorten von Fernsehen und Rundfunk in Adlershof und in des Nalepastraße werden?

Es ist die Aufgabe des Rundfunkbeauftragten, des Beirates und der Intendanten, Regelungen auszuhandeln. Dabei muss das Kunststück vollbracht werden, diese großen Produktionsstandorte zu retten. Es sollten nicht allein öffentlich-rechtliche Sender sein, die dort produzieren, sondern auch private. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass das auch für die interessant ist.

Hält der Artikel 36 die Möglichkeit offen, dass sich die Länder der DDR zusammenschließen und gemeinsam ein Programm betreiben?

Ja. Die Länder können sich, wie das auch in der Bundesrepublik möglich ist, per Staatsvertrag zusammenschließen. Meine Empfehlung wäre, dass die Frequenzen von DFF 1 an die ARD abgegeben werden und dass die Länder, so wie es bei der ARD ist, das sogenannte Fenster (ein Programmanteil) für die Regionalprogramme zwischen 18 und 20 Uhr bekommen. Die ostdeutschen Länder könnten ein drittes Programm betreiben. Ich halte es nicht für richtig, wenn jeder Sender ein eigenes drittes Programm gestaltet. Es sind weder die Kapazitäten vorhanden, noch wäre das finanzierbar. Ich hielte es auch nicht für gut, wenn sich die ostdeutschen Länder mit den bestehenden westdeutschen ARD-Anstalten zusammenschließen. Ich denke, es gibt originäre Zuschauerinteressen der DDR-Bevölkerung. Es könnten in diesem dritten Programm beliebte Sendeachsen fortgeführt werden.

Auch der Rundfunk wäre gut beraten, wenn es neben den regionalen Sendern zum Beispiel einen gemeinschaftlich betriebenen Kulturkanal gäbe. Ich finde einen Jugendsender wichtig. Denn es gibt meines Erachtens einen großen Identitätsverlust bei den jungen Leuten hier und damit Probleme, die von bundesdeutschen Journalisten nicht aufgearbeitet werden können. Außerdem bestehen zwischen Sender und Hörern gewachsene Bindungen, die nicht zu unterschätzen sind.

Sie sprechen DT 64 an, der in den vergangenen Tagen Schlagzeilen gemacht hat. Gibt es Konzepte, den Sender als öffentlich-rechtlichen zu erhalten oder wird er privatisiert?

Wir haben noch einmal im Ausschuss über DT 64 und den Versuch beraten, handstreichartig die Frequenzen des Senders an RIAS zu geben. Es war der Versuch, die Frequenzen für den öffentlich-rechtlichen Bereich zu erhalten. Ich habe auch keinen Zweifel an der guten Absicht und der Integrität von Christoph Singelnstein, dem Intendanten des Rundfunks. Aber es war politisch unverantwortlich, weil der Eindruck erweckt worden ist, dass hier bundesdeutsche Sender Frequenzen der. DDR okkupieren. Ob es auf rechtsstaatlichem Wege zu einer Zusammenführung von RIAS und DT 64 kommen kann, wird keine Entscheidung der Volkskammer mehr sein. Es wäre gar nicht so abwegig, DT 64 mit RIAS 2 zusammen zuschalten. Beide haben ein ähnliches Hörerprofil. Wenn DT 64 mit einem Privatsender zusammengeht, wird das Programmprofil nicht beibehalten werden können. Denkbar ist auch, dass der Sender DT 64 gemeinschaftlich als öffentlich-rechtlicher betrieben wird.

Welche Konzepte gibt es für den Adlershofer Fernsehsender? Dort stehen Entlassungen an.

Ich habe kürzlich mit dem Landesbeauftragten Bernd Büchel gesprochen. Er hat mir gesagt, dass in den Landesendern händeringend Leute gesucht werden. Es muss an die Journalisten wie die Techniker appelliert werden, der Arbeit hinterherzugehen. Wer die Illusion hat, seinen Arbeitsplatz in Berlin zu retten, der irrt sich. Hier sollten gerade auch junge Leute viel mehr Mobilität zeigen. Ich kann das Lamentieren, man würde in die Arbeitslosigkeit geschickt werden, nicht akzeptieren.

Neue Zeit, Fr. 14.09.1990,

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