Vom Runden Tisch ins Parlament
Mit Sachverstand und im Bürgerinteresse: Gabriele Zekina (UFV)
Sie hatte schon am Berliner Runden Tisch gesessen, heute ist sie Abgeordnete in der Stadtverordnetenversammlung der Noch- und vielleicht zukünftigen Hauptstadt: Gabriele Zekina, Mitglied der Fraktion Bündnis 90/Grüne/UFV und über die Liste der ALL ins Parlament gekommen. Wir sprachen mit ihr.
Frage: Findest du im Stadtparlament noch etwas vom Geist des Runden Tisches wieder?
G. Zekina: Es fällt mir ziemlich schwer, in der jetzigen Tagespolitik Spuren davon zu entdecken. Ich denke, dass es einen fundamentalen Unterschied gibt: Am Runden Tisch waren Parteien, Bewegungen, Interessenverbände paritätisch vertreten, und im Parlament gibt es Mehrheiten. Damit ist eigentlich die Art Demokratie, wie sie am Runden Tisch praktiziert wurde, gestorben. Mehrheiten kann man mit sachlichen Argumenten nicht mehr überzeugen, sondern kann einfach Machtpolitik betreiben. Ich habe allerdings die Hoffnung, dass bei der Zusammenarbeit in den Ausschüssen die Sachpolitik mehr im Vordergrund stehen wird.
Am Runden Tisch ging es vor allem um Sachfragen. Außerdem wurde dort direkte Demokratie praktiziert, die unmittelbar Betroffenen saßen mit den Regierenden zusammen. Das wünschte ich mir jetzt auch. Nicht, dass sie erst das Rathaus besetzen müssen, um ihre Interessen geltend zu machen.
Ingrid Köppe von unserer Fraktion hat sich deshalb sehr energisch dafür eingesetzt, dass das Antrags- und Rederecht für Bürgerinitiativen in den Ausschüssen festgeschrieben wird. Heute habe ich erfahren, dass dieser Punkt aufgenommen wurde in die Berliner Verfassung und die Geschäftsführung. Das ist ein Stück direkter Demokratie, die wir in die parlamentarische Arbeit übernehmen können. Ich meine, dass auf diese Weise Kompetenz hergestellt werden kann, durch die Kombination von fachlichem Wissen und. Sachkunde der Betroffenen. Darüber hinaus sollte diese Art authentischer Interessenvertretung, wie sie am Runden Tisch stattgefunden hat, auch in einem BürgerInnenrat fortexistieren. Dessen Vorschläge und Gedanken sollten über einen Bürgerbeauftragten in die Stadtverordnetenversammlung eingebracht werden können.
Frage: Eure Fraktion bereitet einen Antrag über die Einsetzung eines solchen Beauftragten vor.
G. Zekina: Ja, und das hat eine interessante Vorgeschichte. In der Stadtverordnetenversammlung vom 13. Juni erhielt der Schriftsteller Christoph Hein in seiner Eigenschaft als Mitglied des Untersuchungsausschusses "7./8. Oktober" Rederecht. Chrisobenh Hein hat sein Rederecht dazu gebraucht, um einen Antrag auf Einsetzung eines Bürgerbeauftragten vorzubringen. Es entstand eine allgemeine Unsicherheit, wie damit zu verfahren wäre. Frau Bergmann, die Vorsteherin, hat dann vorgeschlagen, den Antrag im Ältestenrat zu besprechen. Dagegen haben sich die Fraktionsvorsitzenden von SPD und CDU ganz strikt verwahrt, denn Gäste dürfen laut Geschäftsordnung keine Anträge einbringen. Unsere Fraktion hat dann erklärt, dass wir diesen Antrag übernehmen und in die Stadtverordnetenversammlung einbringen werden.
Frage: was ist mit den Beschlüssen des Runden Tisches geschehen? Wurden sie verwirklicht, vergessen, wieder rückgängig gemacht?
G. Zekina: Am Runden Tisch haben wir zwar sehr gute Beschlüsse gefasst, es ist uns aber sehr schwergefallen, wirklich einen Einfluss auf die Verwirklichung zu nehmen. Insgesamt sind viele Beschlüsse nicht realisiert worden. Wir haben kürzlich die Abschlussdokumentation unserer Arbeit der Stadtverordnetenvorsteherin und dem Oberbürgermeister übergeben. Gleichzeitig haben wir den Antrag gestellt, dass damit weitergearbeitet wird. Die Beschlüsse werden nun in die Ausschüsse verwiesen. Dort sollen Beschlussempfehlungen für die Stadtverordnetenversammlung daraus abgeleitet werden. Einige ganz wichtige Beschlüsse sind realisiert worden. Das betrifft z. B. die Einsetzung eines Behindertenbeauftragten mit Rede- und Stimmrecht im Magistrat, ebenso die Einsetzung einer Ausländerbeauftragten. Die größte Errungenschaft aus meiner Sicht war natürlich die Einrichtung eines Stadtratbereiches für Gleichstellung von Frau und Mann. Bedauerlich ist es, dass jetzt von einigen Vertretern im Magistrat versucht wird, diese Beschlüsse zu unterwandern. Man will zwar den Stadtratbereich Gleichstellung beibehalten, aber man will ihm die Beauftragten für Behinderte und für Ausländer zuordnen, die jetzt dem Oberbürgermeister unterstellt sind. Das Ressort wäre dann so hoffnungslos überlastet, dass ihm letztlich nur eine Alibifunktion zukommen würde. Ich sehe auch eine Missachtung der Frauenproblematik, wenn man sie mit Minderheitenproblemen vermengt. Allerdings zeichnet sich momentan ab, dass es in solchen Fragen auch parteiübergreifenden Konsens geben kann.
Frage: Gibt es Abgeordnete und Vertreter im Magistrat, die du von der Arbeit am Runden Tisch kennst?
G. Zekina: Abgeordnete gibt es einige, besonders viele von ihnen sitzen in der Fraktion Bündnis 90/Grüne/UFV, dann habe ich zwei in der PDS-Fraktion wiedergesehen. Der Fraktionsvorsitzende der SPD, Knut Herbst, saß ebenfalls die ganze Zeit am Runden Tisch. Bei ihm sind sehr deutlich die Wandlungen, die mit Macht einhergehen, zu beobachten.
Frage: Kommen dir Erfahrungen, die du am Runden Tisch gemacht hast, der Abgeordnetentätigkeit zugute?
G. Zekina: Ohne diese Erfahrungen hätte ich niemals zur Wahl kandidiert. Durch dieses halbe Jahr Arbeit habe ich mir doch eine gewisse Kompetenz erworben. Selbstvertrauen natürlich auch, das ist ganz wichtig. Ich habe bemerkt, dass die Politikerinnen meist auch nur mit Wasser kochen. Es ist eigentlich eine schmerzliche Erkenntnis, dass nur bei wenigen Leuten überhaupt eine Kompetenz da ist. Es gibt viel Cleverness und Machtinteressen, aber wenig Sachkompetenz und wirkliches Engagement. Die beiden letzten Qualitäten sind vor allem bei den Bürgerinnenbewegungen zu finden, das ist einfach Fakt.
Die Erfahrungen am Runden Tisch haben mein Selbstverständnis als Abgeordnete wirklich geprägt. Ich habe gelernt, dass es um Sachfragen, um Inhalte geht, dass man sich von Verfahrensfragen und Geschäftsordnungsdebatten nicht einschüchtern lassen darf.
Das Gespräch führte
Annette Leo
aus Podium - die Seite mit und für BürgerInnen-Bewegungen, Initiativen und Minderheiten in der Berliner Zeitung, Mi. 27.06.1990, Jahrgang 46, Ausgabe 147