Kein rigider Paragraph 218 für ein einig Deutschland
Seit 18 Jahren entscheiden Frauen in der DDR selbst, ob, wann sie Mütter werden wollen. Dieses Recht ist in Gefahr. In einem "zweiten Staatsvertrag" seien Einzelheiten einer Übergangslösung zu bestimmen, verlautete aus dem Bundesjustizministerium. Übergang wohin? Wir werden in Kauf nehmen müssen, so BRD-Justizminister Engelhard, "dass nach dem Beitritt der DDR für eine bestimmte Übergangszeit im Gebiet der ehemaligen DDR noch (Hervorhebung C. F.) die dort bislang geltende Fristenregelung weiterbesteht, während im übrigen Deutschland nach wie vor der Paragraph 218 StGB Gültigkeit hat". Wenn die BRD auch sonst immer gern die Nase vorn hat, mit ihrem § 218 hält sie gemeinsam mit Irland und Spanien das traurige Schlusslicht. Im März 1990 forderte das Europa-Parlament die drei "Nachzügler" auf, den freiwilligen zu legalisieren.
Frauen hierzulande wollen nicht in Kauf nehmen, dass ihnen ein „künftiger - gesamtdeutscher Gesetzgeber" (Engelhard), der sicher ein ebenso männerdominiertes Gremium sein wird wie Volkskammer und Bundestag, den Paragraphen 218 überstülpt. Sie wollen mehr Beratungsangebote, bessere Verhütungsmittel, die Pille weiter auf Rezept und gute soziale Maßnahmen zum Schutz des geborenen Lebens. Über Parteiengrenzen hinweg riefen sie deshalb zu Protest und Unterschriftensammlungen auf.
CDU-Ministerin Schmidt, SPD-Mitglieder, der Unabhängige Frauenverband, der DFD, PDS-Frauen und Einzelpersönlichkeiten wehren sich gegen eine Übernahme des rigiden Gesetzes. Stimmen Tausender Frauen und Männer dürfen in einer Demokratie (sind wir denn eine!?) nicht ignoriert werden.
Am 16. Juni findet in Bonn eine große Kampfaktion westdeutscher Frauen gegen den § 218 statt. Unterstützen wir sie und streiten wir an diesem Tag auch für uns auf allen Marktplätzen und jedem Dorfanger! Für das neue Deutschland wollen Frauen und Männer eine Regelung des Schwangerschaftsabbruchs, die vom Selbstbestimmungsrecht der Frau über ihr Leben und ihren Körper ausgeht.
CORINNA FRICKE
Der Unabhängige Frauenverband bittet alle Leserinnen um Teilnahme an dieser Postkartenaktion
Neues Deutschland, Do. 07.06.1990, Jahrgang 45, Ausgabe 130
Die Bundesregierung wollte nach dem Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes für die Übergangszeit beim Schwangerschaftsabbruch das "Wohnortsprinzip" durchsetzen. Frauen, die ihren Wohnsitz in der alten BRD und früheren Westberlin haben und in der ehemaligen DDR die Fristenregelung in Anspruch nehmen, hätten sich strafbar gemacht.
Durch Proteste konnte diese Regelung verhindert werden.
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