"Wir brauchen Raum für Diskussionen"

Der UFV muss jetzt verteidigen, was er vorher kritisierte

Über das nun mit der Währungsunion endgültig schamhaft als Noch-DDR titulierte Land rollt seit Sommer 1989 mit ungeheurer Wucht eine Welle gesellschaftlicher Veränderungen. Spätestens seit dem 18. März ist klar, dass die Vision einer sozial gerechten, demokratischen, gesellschaftlichen, gesellschaftlichen Alternative zu Staatssozialismus und Spielarten westlicher Konsum- und Leistungsgesellschaft in diesem Land auf längere Zeit gescheitert ist.

Vor den Parteien, Bewegungen und Strömungen, die den Versuch dieser Alternative auf verschiedene Art und Weise trugen, steht nun das gleiche Erfordernis. Es geht um die Beantwortung der Frage, wie diese Gruppen unter völlig veränderten Bedingungen gesellschaftsgestaltend wirksam werden wollen und können. Dieser Selbstfindungsprozess, den gegenwärtig jede Gruppierung durchläuft, zwingt zugleich zur Neudiskussion ihres Verhältnisses zueinander.

Beginnende Diskussionsprozesse und mögliche Ansätze für ein Zusammengehen werden aber ständig durch wahltaktische Überlegungen durchbrochen. Der permanente Zwang zum Urnengang - wer ist schon genötigt, viermal im Jahr zu "wählen" - führt letztlich dazu, dass die Beziehungen zueinander primär unter dem Gesichtspunkt möglicher Prozentzahlen betrachtet werden. Bündnisse werden nicht vorrangig unter dem Aspekt gemeinsamer Inhalte, sondern vielmehr unter dem ihrer vermeintlichen Wählbarkeit geschlossen. Damit geht vielfach ein an der Wahltaktik orientierter und von Ausgrenzung geprägter Umgang miteinander einher, Kaum haben wir nun Volkskammer- und Kommunalwahlen geschafft, werden uns bereits wieder Landtags- und Wahlen zum Bundestag verordnet. Bei der Bejahung des Parlamentarismus als Form der Interessenvertretung werden damit bereits wieder bewusst Zeit- und Bündniszwänge aufgebaut. Die gerade von der SPD getragene Position von einer einheitlichen gesamtdeutschen Wahl, ein schließlich der 5 % Klausel, verschärft diese Situation. Darüber hinaus zwingt der perfektionierte Parteienparlamentarismus mit seiner Wahlgesetzgebung nicht nur zu Bündnissen überhaupt, sondern bestimmt zugleich ihre Form (siehe Diskussion um die Schaffung einer Wahlpartei).

Unter diesen Bedingungen bleiben kaum Räume für selbstbestimmte inhaltliche und organisatorische Klärungsprozesse.

Voraussetzung für die Erlangung einer tatsächlichen und langfristig wirkenden Politikfähigkeit der Bewegungen ist aber einerseits die Aufarbeitung von Geschichte. Dazu gehört vor allem die Beantwortung der Frage nach dem Inhalt von 40 Jahren DDR Entwicklung, denn Verhältnis von historischer Chance und historischem Versagen, der nach dem Verhältnis von Opfer und Täter. Andererseits geht es um die Formulierung neuer politischer Konzepte. Dabei gilt es nicht bei den unmittelbaren Einzelinteressen der Bürgerinnen stehen zu bleiben, sondern diese zu Teilen neuer gesellschaftlicher Utopien zu machen. Das erfordert neue Konstruktivität Kritik allein ersetzt auf Dauer kein Programm für eigene Politik. Und drittens geht es um die langfristige Herausbildung adäquater politisch-organisatorischer Strukturen.

Die Entwicklung des Unabhängigen Frauenverbandes belegt die im obigen Abschnitt dargestellte Situation. Angetreten war der UFV mit einer konkreten gesellschaftlichen Utopie. Nämlich der von der Schaffung einer Gesellschaft, in der männerdominierte und damit primär machtorientierte Strukturen überwunden und Fraueninteressen nicht als Nebensache, sondern als Ausgangspunkt von Entwicklung betrachtet werden. Davon ging der UFV bei seinem Engagement am Runden Tisch aus. Zumal dieser die reale Chance bot, Interessenkonflikte sachbezogen auszutragen. In dem Maß, wie jedoch der Ruf "Deutschland einig Vaterland" zur offiziellen Staatspolitik wurde, standen wir aber vor der Notwendigkeit, unsere Herangehensweise zu verändern. Von dem Einfordern qualitativer Veränderungen für Frauen mussten wir zur Verteidigung dessen übergehen, was wir gerade noch als unzureichend kritisiert hatten. Dies führte immer mehr zu einer Verselbständigung einzelner Fragen, bis dahin, dass es heute so scheint, als sei die Frauenfrage auf den Paragraphen 218 reduziert.

Im Vorfeld der Volkskammerwahlen suchte der UFV, seine Vorstellungen in ein breites Bündnis der neuen Parteien und Bewegungen einzubringen. Aber gerade wir machten die Erfahrung, wie unter Zeitdruck, wahltaktischem Manövrieren und machtpolitischen Überlegungen eine Ausgrenzung stattfand. Das Auseinanderbrechen des letztlich mit der Grünen Partei geschlossenen Wahlbündnisses sowie die Diskussionsprozesse im Bündnis 90 zeigen, dass ohne ausreichende inhaltliche Klärungsprozesse auf allen Strukturebenen solche Bündnisse instabil sind.

Mit Blick auf die Vereinnahmung der DDR durch die Bundesrepublik steht der UFV vor der Herausforderung, seine Identität, sein politisches Handeln, seine Stellung im Spektrum oppositioneller Bewegungen und Parteien sowie seine Organisationsstrukturen neu zu bestimmen. Letzteres vor allem als Versuch, den Widerspruch zwischen basisdemokratischen Prinzipien und täglichem Wirksamwerden in zentralistisch organisierten Strukturen zu lösen. Die innere Auseinandersetzung in dieser Frage zeigt, dass die ungeheure Dynamik der Veränderungen bisher nicht die Möglichkeit bot, wesentlich über die Klärung von Tagesfragen hinauszugehen. Zumal der verordnete gesamtdeutsche Wahltermin schon wieder zu wahltaktischen Überlegungen zu zwingen scheint.

Geht es um die Frage der Perspektiven für mögliches gemeinsames Handeln, dann muss davon ausgegangen werden, dass es um die Opposition in einer vereinigten BRD geht. Das Spektrum dieser möglichen Opposition ist sowohl aus politischer als auch organisatorischer Sicht äußerst heterogen. Das betrifft die von den verschiedenen Parteien, Bewegungen und Strömungen angesprochenen Fragen, ihre politischen Ansätze, den Prozess der Willensbildung ebenso wie die konkreten Organisationsformen.

Obwohl es objektiv eigentlich einen Ansatz für gemeinsames Handel gibt, verhindert der bisher nur bedingt vollzogene Klärungsprozess in den einzelnen Gruppierungen die klare Formulierung gemeinsamer und differierender Interessen und möglicher Formen der Zusammenarbeit. Es zeigt sich, dass letztlich nicht das formale Wahlbündnis, sondern nur der Sachbezug die Parteien und Bewegungen einander näher bringen kann. Ziel kann es dabei nicht sein, die unterschiedlichen Strukturen organisatorisch zu verschmelzen. Vielmehr geht es darum, solche Formen der Vernetzung zu finden, in denen die Interessenvielfalt in ihrer Eigenständigkeit erhalten bleibt. Gegenwärtig laufende Versuche der Subsummierung der Interessen kleinerer Gruppierungen unter die größerer führen unweigerlich in eine Sackgasse.

Insofern kann es gegenwärtig nur darum gehen, eine aus wahltaktischen Überlegungen erwachsende Übergangslösung für die Bundestagswahlen zu schaffen, die genügend Raum für noch zu führende Diskussionsprozesse um Inhalte und Strukturen lässt. Grundprinzip muss die gleichberechtigte Präsenz aller in diesem Wahlbündnis und infolge im Parlament sein.

Christiane Schindler

die andere, Nr. 24, Mi. 04.07.1990

Δ nach oben