WARUM EIN UNABHÄNGIGER FRAUENVERBAND?
Weshalb es uns gibt,
ist sehr leicht zu beantworten, denn bereits im November 1989 wurde deutlich, dass auch die neuen Gruppierungen und politischen Bürgerbewegungen in erster Linie von Männern getragen wurden. Sollten wir Frauen nach dieser langjährigen, männerdominierten Gesellschaft wieder unter den Tisch fallen? Nein, sagten all diejenigen Frauen, denen es nicht genügte, immer wieder die verbriefte Gleichberechtigung in unserem Staat unter die Nase gehalten zu bekommen. Wir wollten an den Tisch und zwar mit Stimmrecht an den "Runden Tisch"! Eine klare und deutliche Forderung und wir hoffen, dass es nicht die letzte gewesen ist, die wir durchgesetzt haben.
Lange Zeit haben Frauen in diesem Staat geglaubt, dass es im Sozialismus keine Frauenunterdrückung geben würde, und die Schlussfolgerung jetzt, dass, wenn es keinen Sozialismus gab, es folgerichtig auch keine Gleichstellung von Mann und Frau gab, ist beinah banal.
Aber die Gründe für den Zusammenschluss vieler Frauen in einem Unabhängigen Frauenverband sind noch schwerwiegender:
Die Verantwortung für die Hausarbeit, die Erziehung der Kinder und das Familienklima wird noch immer in erster Linie den Frauen zugeschrieben. Im Zusammenhang mit der in der Regel gegebenen Berufstätigkeit der Frau ergibt sich daraus eine physische und psychische Mehrfachbelastung.
In allen Bereichen der Gesellschaft nimmt mit der Höhe der Hierarchie der Frauenanteil drastisch ab, vor allem in Leitungspositionen.
In unserer Gesellschaft gibt es noch immer eine geschlechtstypische Teilung der Erwerbsarbeit. So genannte Frauenberufe werden in der Regel schlechter bezahlt, es gilt zwar der Grundsatz: gleicher Lohn für gleiche Arbeit, nicht aber: gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit.
Auch innerhalb eines Berufszweiges gibt es eine geschlechtstypische Teilung der Arbeit. Frauen obliegen sehr häufig monotone und routinehafte Arbeiten mit geringeren Anforderungen an Kreativität und Entscheidungskompetenz. Frauen haben also geringere Chancen als Männer, in anspruchsvolle und interessante und gut bezahlte Positionen zu kommen.
Frauen haben sich im Alltagsleben in der Öffentlichkeit, im Beruf, in der Familie etc. immer wieder mit den verschiedensten Formen sexistischer Denk- und Verhaltensweisen bis hin zu sexueller Gewalt auseinander zusetzen. In diese vier Eckpunkte lassen sich all die kleinen Formen der Diskriminierung von Frauen in unserer Gesellschaft wie ein Mosaik einfügen.
Warum brauchen wir aber einen eigenen Unabhängigen Frauenverband?
Es wird behauptet, dass es in der DDR in den letzten 40 Jahren keine Frauenbewegung gab, dass der DFD mit seinem Alleinvertretungsanspruch den Bedürfnissen der Frauen nach Mitbestimmung genüge tat. Anders, ganz anders, wie so vieles in diesem Land in letzter Zeit richtiggestellt wurde, Licht ins Dunkle gebracht und Veränderungsvorschläge aus der Schublade geholt wurden, verhält es sich auch mit der Frauenpolitik.
Frauengruppen, die seit Jahren unter dem Dach der Kirche ihre Heimat hatten (weil kein anderer Raum zur Verfügung war), Interessengruppen in Freundinnenkreisen, unzufriedene Frauen, die immer wieder versuchten, auf Versammlungen und in den Medien zu Wort zu kommen, und Frauen, die latent schon immer spürten, dass hier "was nicht stimmt", wollen eine neue Frauenpolitik. Unsere Ziele sind:
- Ein öffentliches Bewusstsein schaffen für unsere Probleme.
- Wir fordern eine angemessene Vertretung von Frauen in allen politischen und gesellschaftlichen Leitungsebenen.
- Wir wollen Einfluss nehmen auf die Gesamtpolitik und fordern daher eine ökologische Reorganisation der Wirtschaft und eine umfassende Demokratisierung der Gesellschaft.
- Wir fordern die Einsetzung einer Staatssekretärin im Range einer Ministerin für Fragen der Gleichstellung der Geschlechter.
- Wir fordern die Berücksichtigung der Belange aller Frauen, auch die von Alleinerziehenden, Asylantinnen, Ausländerinnen, Behinderten, Frauen mit ausländischen Partner/innen, Jugendlichen, Lesben, Müttern in kinderreichen Familien, Pflegebedürftigen, Rentnerinnen, Strafgefangenen etc.
- Wir fordern des weiteren frauenfreundliche Kommunikations- und Begegnungsmöglichkeiten, wie z. B. Frauencafés, Frauenbibliotheken, Frauenzeitschriften, Frauenverlage, Frauenferienhäuser, Frauenhäuser für geschlagene Frauen, Frauenstadtteilzentren und nicht zuletzt ein eigenes Verbandshaus.
- Für unsere Kinder fordern wir den Abbau der rollenspezifischen Erziehung, alternative Erziehungsmöglichkeiten zusätzlich zu den staatlichen (wie z. B. Kinderläden), kinderfreundliche Stadtbebauung und -begrünung.
Eigentlich fordern wir noch viel mehr, aber wir fordern nicht nur, sondern wir wollen endlich selbst teilhaben an den gesellschaftlichen Veränderungen, deshalb brauchen wir diesen Verband.
Wie organisiert sich der UFV bisher?
Seit wir am 3.12.1989 in der Volksbühne in Berlin das erste landesweite Treffen von mehr als tausend Frauen durchführten, darunter Vertreterinnen verschiedener autonomer Frauengruppen und -initiativen, die sich für die Gründung eines Unabhängigen Frauenverbandes aussprachen, glauben wir manchmal eine Kettenreaktion ausgelöst zu haben: Überall im Land entstehen neue Frauengruppen, oder Frauen fragen einfach an, wie sie mitmachen können. Das Bedürfnis nach gemeinsamen Aktionen ist groß. Oder auch der Wunsch, nicht wieder abseits zu stehen, dabei zu sein und zu helfen. Uns sind mittlerweile fast 50 Frauengruppen oder Projekte bekannt, die in der ganzen DDR verstreut sind. Es gibt Arbeitskreise zu ganz bestimmten Themen (Erziehung, soziale Randgruppen, Ältere, Alleinerziehende usw.), oder Frauen eines Gebietes, eines Betriebes oder einer Partei finden sich zusammen, oder noch andere möchten gern gemeinsam ein Projekt verwirklichen (Cafés, Bibliothek u. a.).
Diese Frauen bilden entsprechend den örtlichen Gegebenheiten und Bedürfnissen einen Koordinierungsrat, der nicht nur ein beschlussfähiges Gremium ist, sondern aus dem heraus Vertreterinnen für die jeweiligen "Runden Tische" gewählt werden.
In Berlin wurde zusätzlich ein Sprecherinnenrat gewählt, der Interessen des Unabhängigen Frauenverbandes nach außen vertreten kann. All das sind noch keine festen Strukturen, und spätestens im März beim Gründungskongress werden wir ein Statut vorlegen, mit dem wir in der Lage sein werden, die Arbeit des Verbandes nach besten Kräften zu organisieren.
In den einzelnen Bezirken und Städten bestehen Bestrebungen, Büros für die Information, Koordinierung und die Öffentlichkeitsarbeit einzurichten. Bisher gibt es in allen umseits aufgeführten Bezirksstädten Kontaktadressen, wo Frauen sich für die Verbandsarbeit verantwortlich fühlen.
Die Arbeit des UFV ist insofern sehr schwierig, da es gilt, allen Interessen, politischen Meinungen im Sinne des demokratischen Sozialismus, den Bedürfnissen jeder Gruppe und jeder einzelnen Frau gerecht zu werden. Aber vielleicht haben wir Frauen hier eine reale Chance, denn nicht umsonst wird von Frauen ein "Küchenverstand" erwartet: mindestens drei Dinge gleichzeitig tun!
Jede Frau, die mitmachen möchte, schicke einfach eine Postkarte mit ihrer Adresse an das Büro und sichert sich somit den ständigen Erhalt von Informationen über den UFV.
[Faltblatt des UFV Berlin. Die Kontaktadressen wurden hier weggelassen. Der Gründungskongress, auf dem Statut und Programm verabschiedet werden sollte und auch wurden, war für März 1990 vorgesehen. Da aber die Wahl zur Volkskammer am 28. Januar auf den 18. März 1990 vorgezogen wurde, war der UFV gezwungen seinen Kongress früher abzuhalten. Er fand am 17. Februar 1990 statt.]