UFV Koordinierungsrat Berlin
ANTRAG AN DEN BERLINER RUNDEN TISCH
Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass Frauen in der DDR trotz vielfältiger Bemühungen in der Vergangenheit generell gegenüber dem männlichen Geschlecht im Nachteil sind. Wesentliche Indikatoren hierfür sind:
- Die Verantwortung für die Hausarbeit, die Erziehung der Kinder und für das Familienklima wird noch immer in erster Linie den Frauen zugeschrieben und von ihnen auch übernommen. Im Zusammenhang mit der in der Regel gegebenen Berufstätigkeit der Frau ergibt sich daraus eine physische und psychische Doppelbelastung, die eingeschränkte Möglichkeiten des beruflichen Engagements und der Partizipation am gesellschaftlichen Leben zur Folge hat.
- In allen Bereichen der Gesellschaft nimmt mit der Höhe der Hierarchieebene der Frauenanteil drastisch ab - geschuldet der Doppelbelastung, einer Erziehung, die nicht frei ist von tradierten Geschlechtsrollenzuweisungen und der ablehnenden Haltung vieler Männer, vor allem in Leitungspositionen.
- In unserer Gesellschaft gibt es noch immer eine geschlechtstypische Teilung der Erwerbsarbeit.
- Man spricht von "Frauenberufen" und von "Männerberufen". Sog. Frauenberufe werden schlechter bezahlt - es gilt zwar der Grundsatz: gleicher Lohn für gleiche Arbeit, nicht aber: gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit.
- Auch innerhalb eines Berufszweiges gibt es eine geschlechtstypische Arbeitsteilung. Frauen obliegen sehr häufig monotone und routinehafte Arbeiten mit geringeren Anforderungen an Kreativität und Entscheidungskompetenz. Frauen haben folgerichtig geringere Chancen als Männer, in anspruchsvolle, interessante, abwechslungsreiche und gut bezahlte Positionen zu kommen.
- Frauen haben sich im Alltagsleben - in der Öffentlichkeit, im Beruf, in der Familie etc. - mit vielfältigen Erscheinungsformen sexistischer Denk- und Verhaltensweisen auseinander zusetzen. Hierzu zählt die Anmache auf der Straße oder im Lokal ebenso wie die in jüngerer Zeit häufiger gewordene Zurschaustellung des weiblichen Körpers (z.B. Miss-Wahlen) und die - auch sexuelle - Gewalt gegen Frauen und Mädchen.
Die eben benannten Umstände sind nicht auf Unfähigkeit von Frauen zurückzuführen, sondern auf die noch immer in unserer Gesellschaft bestehenden patriarchalischen Strukturen und Mechanismen.
Die seit Anfang der 70er Jahre in der DDR betriebene Frauenpolitik hat mit ihrer einseitigen Zuschreibung sozialpolitischer Maßnahmen an die Frau als Mutter zur Verfestigung der Ungleichheit in der sozialen, politischen, kulturellen, strukturellen, ökonomischen und psychosozialen Lage von Frau und Mann beigetragen.
Die Frauenfrage ist ein zentrales gesellschaftliches Problem und muss im Interesse der Emanzipation aller Menschen gelöst werden.
In diesem Zusammenhang fordert der Berliner Koordinierungsrat des Unabhängigen Frauenverbandes die sofortige Realisierung folgender Maßnahmen:
I. Einsetzung einer Stadträtin für Gleichstellungsfragen beim Magistrat von Berlin und Bildung einer ständigen Kommission für Gleichstellungsfragen
Die wirksame Durchsetzung der Interessen von Frauen erfordert die Schaffung eines staatlichen Instruments. Daher muss unverzüglich eine Stadträtin für Gleichstellungsfragen beim Magistrat eingesetzt und eine ständige Kommission für Fragen der Gleichstellung der Geschlechter gebildet werden. Analoges muss auch auf der Ebene der Stadtbezirksräte geschehen.
Die Stadträtin für Gleichstellungsfragen hat folgende Aufgabengebiete:
- Analyse aller Maßnahmen, Verordnungen, Weisungen und Verträge des Magistrats bzw. der Stadtverordnetenversammlung hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Situation von Frauen.
- Wahrnehmung eines Einspruchsrechts, wenn Maßnahmen, Verordnungen, Weisungen und Verträge dem Ziel der Gleichstellung der Geschlechter zuwiderlaufen.
- Erarbeitung von Beschlussvorlagen, die Fragen der Gleichstellung der Geschlechter betreffen und Maßnahmen beinhalten, die zum Abbau bestehender Ungleichheit in der sozialen, politischen, ökonomischen, strukturellen, kulturellen und psychosozialen Lage von Frauen/Mädchen und Männern/Jungen führen. Dies hat in enger Zusammenarbeit mit den Bürgerinnen und Bürgern, mit BürgerInneninitiativen, dem UFV, dem DFD, sowie dem ZIF und in Auswertung von Eingaben zu geschehen.
- Kontrolle der Realisierung der zu Gleichstellungsfragen von der Stadtverordnetenversammlung und dem Magistrat gefassten Beschlüsse.
- Rechenschaftslegung und Berichterstattung vor der Stadtverordnetenversammlung und dem Magistrat zu Problemen der Gleichstellung der Geschlechter und zum Stand der Realisierung der zu diesen Fragen von der Stadtverordnetenversammlung und dem Magistrat gefassten Beschlüsse.
- Beratung der Stadtbezirksrätinnen für Gleichstellungsfragen und Koordinierung der Zusammenarbeit.
- Einberufung einer ständigen Kommission für Gleichstellungsfragen beim Magistrat zum frühestmöglichen Zeitpunkt.
- Verteilung der Mittel aus einem baldmöglichst zu bildenden Frauenförderungsfonds an die verschiedenen in Berlin bestehenden Frauenprojekte und -initiativen, wofür entsprechende Kriterien von der Stadträtin für Frauenfragen und der ständigen Kommission zu erarbeiten und öffentlich zu machen sind.
Die Stadträtin und die ständige Kommission für Gleichstellungsfragen haben in ihrer Tätigkeit die Belange aller Frauen - auch die von Alleinerziehenden, Asylantinnen, Ausländerinnen, Behinderten, Frauen mit ausländischen Partner/innen, Jugendlichen, Lesben, Müttern in kinderreichen Familien, Pflegebedürftigen, Rentnerinnen, Strafgefangenen etc. - unabhängig von ihrer Einkommensituation zu berücksichtigen.
II. Sicherung bzw. Verbesserung der sozialen Lage von Frauen
In der derzeitigen politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Situation ist nach Auffassung des Koordinierungsrates des Unabhängigen Frauenverbandes insbesondere die soziale Lage von Frauen gefährdet.
1. Im Zuge der Erweiterung der Selbständigkeit von Wirtschaftseinheiten und der Zulassung verschiedener Eigentumsformen ist durch den Magistrat zu sichern, dass durch Umstrukturierungen, Freisetzung und Neueinstellung von Arbeitskräften
- ein sozialer Abstieg von Frauen verhindert wird und Bestrebungen unterbunden werden, die darauf hinauslaufen, Frauen zur Manövriermasse ökonomischer Erfordernisse zu machen, und
- die bestehenden Geschlechterquoten bzgl. Qualifikation, Einkommen und Besetzung von Leitungsfunktionen nicht zuungunsten von Frauen verändert werden.
2. Es sind unverzüglich Bestimmungen zu erlassen, die eine ausreichende Unterstützung im Falle des Eintretens von sozialen Härtefällen gewährleisten. Hierbei ist das Mitspracherecht der Stadträtin für Gleichstellungsfragen zu sichern.
3. Im Rahmen städtischer Sozialpolitik sind Sozialpläne zu erarbeiten, die eine Verbesserung der beruflichen Aufstiegschancen, spezielle Qualifizierungsmaßnahmen für Frauen, die Wiedereingliederung von Frauen in den Arbeitsprozess (z.B. nach dem Babyjahr), die Quotierung auf allen Leitungsebenen (hierfür sind geeignete Quotierungsmodelle noch zu erarbeiten) und die soziale Absicherung notwendig gewordener Umschulungsmaßnahmen konkret ausweisen und die Maßnahmen zur Durchsetzung benennen.
III. Schaffung von Voraussetzungen für eine wirksame Arbeit des Unabhängigen Frauenverbandes in Berlin
1. Für eine vielfältige politische, kulturelle und sozialbetreuerische Arbeit benötigt der Unabhängige Frauenverband in Berlin ein Haus, welches Kommunikationsmöglichkeiten, Tagungsräume unterschiedlicher Größe, Räumlichkeiten für Beratungs- und Schulungszwecke, für Seminare und Gruppenarbeit sowie für ein Frauencafé, eine Frauenbibliothek, ein Archiv und die Redaktion der Berliner Frauenzeitung bieten soll. Wir fordern den Magistrat auf, den Unabhängigen Frauenverband in Berlin bei der Suche nach einem geeigneten Gebäude zu unterstützen. Für die Einrichtung der zum Betrieb des Hauses erforderlichen Planstellen, für den Unterhalt (Miete oder Pacht, Instandhaltung etc.) des Hauses und für dessen Ausstattung ist darüber hinaus ein jährlicher finanzieller Zuschuss notwendig.
2. Um Informationen über die Situation von Frauen in der Gesellschaft der DDR zu verbreiten, um über die Tätigkeit des Unabhängigen Frauenverbandes zu berichten, um die Aktivitäten der verschiedenen autonomen Frauengruppen und -initiativen zu koordinieren und gleichzeitig darzustellen und um Beratungs- und Hilfsangebote etc. zu popularisieren, sind die Bedingungen für das Erscheinen einer Berliner Frauenwochenzeitschrift zu schaffen. Eine Konzeption für Profil, Arbeitsweise, benötigte Stellen, Räume, Druckkapazitäten sowie Papierbedarf kann vorgelegt werden.
UFV - Koordinierungsrat Berlin |
Januar 1990 |
Δ nach oben