Sozialcharta

Forderung einer Sozialcharta durch den Unabhängigen Frauenverband Seite 1-2
Grundlinien und Standpunkte für eine Sozialcharta (Beschluss der Volkskammer vom 2. März 1990) Seite 3-14

Forderung einer Sozialcharta durch den Unabhängigen Frauenverband

Aus der anstehenden Wirtschafts- und Währungsunion erwächst eine drastische Gefährdung der sozialen Lage der Frauen in unserem Land. Schon im Vorfeld dieser auf einen Anschluss der DDR an die BRD orientierten Politik werden wir mit deren beängstigenden Konsequenzen konfrontiert.

Das heißt:

- Frauen werden aus der Erwerbstätigkeit gedrängt

- ihre ökonomische Selbständigkeit ist gefährdet

- die bedarfsdeckende und gesellschaftlich finanzierte Kinderbetreuung steht in Frage

- chancengleicher Zugang zu Bildung ist bedroht

- kostenlose Gesundheitsbetreuung wird nicht mehr gewährleistet

- das Recht von Frauen über ihren eigenen Körper selbst zu bestimmen, wird erheblich eingeschränkt sein, einschließlich des Rechts auf kostenlosen Schwangerschaftsabbruch und der selbstbestimmten Schwangerschaft.

Sozial Schwache, Behinderte, Alleinerziehende und RentnerInnen werden in besonderem Maße sozialen Härten ausgesetzt sein. Der Unabhängige Frauenverband (UFV) kann diese Diskriminierung von Frauen nicht hinnehmen. Da sich die DDR der "UNO-Konvention zur Beseitigung der Diskriminierung von Frauen" verpflichtet fühlt, fordern wir unverzüglich eine Sozialcharta. Wesentliche Inhalte, um das Überleben von Frauen unter marktwirtschaftlichen Bedingungen zu sichern, müssen deshalb sein:

- Öffentlichmachung der sozialen Problematik und Konsequenzen bei der Vereinigung beider deutschen Staaten,

- Maßnahmen zur Gleichstellung der Geschlechter und Schaffung der erforderlichen Rahmenbedingungen,

- chancengleicher Zugang zu allen Berufen

- chancengleicher Zugang zu Bildung und Erwerbstätigkeit

- Sicherung des Arbeitsplatzes bei Schwangerschaft und für Erziehende im Babyjahr sowie für Erziehende von Kindern bis zum dritter Lebensjahr

- Schaffung eines Umschulungs- und Weiterbildungssystems, für das die Bedingungen staatlich und kommunal abgesichert sein müssen

- Erarbeitung von Arbeitsbeschaffungsprogrammen

- staatlich und betrieblich finanziertes Arbeitslosengeld, das soziale Härten ausschließt

- soziale Absicherung eines würdigen Lebens von Vorrentnerlnnen- und RentnerInnen

- Gewährleistung gleichen Lohns für gleichwertige Arbeit, was die tarifliche Angleichung frauentypischer Berufe an männertypische Berufe einschließt

- Erhaltung der kostenlosen Gesundheitsbetreuung sowie aller speziellen medizinischen Betrauungssysteme (z.B. Kinderstomatologie, Diabetikerbetreuung u.a.)

- Ausbau der Kinder- und Jugendfürsorge

- Bewahrung des Rechtes des Kindes auf Pflege bei Erkrankung durch die Eltern oder eine Bezugsperson bei Sicherung des Arbeitsplatzes und finanzieller Absicherung

- bedarfsdeckende Bereitstellung von Kinderbetreuungseinrichtungen in gesellschaftlicher Verantwortung

- Angleichung der Unterhaltszahlung an die neuen ökonomischen Bedingungen und deren gesetzliche Absicherung durch den Staat

- Recht auf bedürfnisgerechten Wohnraum bei Mietpreisbindung.

Um das durchzusetzen, brauchen wir ein "Ministerium für Gleichstellung" und auf allen kommunalen und betrieblichen Ebenen Gleichstellungsbeauftragte sowie ein Gleichstellungsgesetz.

UFV - Gründungskongress 17.2.90

Grundlinie und Standpunkte für eine Sozialcharta

1. Das Streben nach Einheit beider deutscher Staaten und die damit verbundene Wirtschafts- und Währungsunion muss einen Sozialverbund einschließen. Dieser muss zu einer Verbesserung der Lebens- und Beschäftigungsbedingungen in ihrer Einheit von Arbeit, Freizeit und Familie führen, die Sicherung vorhandener sozialer Standards gewährleisten und den Abbau von Gefährdungen der natürlichen Lebensgrundlagen fördern.

2. Die deutsche Einheit ist auf dem Wege eines wechselseitigen Reformprozesses beider deutscher sozialer Sicherungssysteme in ihren positiven Grundzügen zu vollziehen.

Historisch gewachsene soziale Standards in beiden deutschen Staaten sind zu erhalten, weiterzuentwickeln und zu einem höheren sozialen Sicherungsniveau zu führen.

Für alle Menschen in einem sich vereinigenden Deutschland muss mittels einer sozialen Grundsicherung ein menschenwürdiges Leben gewährleistet werden.

3. Die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion muss Voraussetzungen schaffen, um Arbeitslosigkeit zu begegnen und den Wohlstand aller Bürgerinnen und Bürger zu erhöhen. Eines besonderen sozialen Schutzes bedürfen benachteiligte Gruppen, z.B. Behinderte, ältere Menschen, kinderreiche Familien und Alleinerziehende.

4. Es sind Rechtsgrundlagen zu schaffen, die es den Bürgerinnen und Bürgern, Vereinigungen sowie Interessenverbänden und -gruppen ermöglichen, ihre Lebensverhältnisse auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet mitzubestimmen und zu gestalten.

5. Soziale Entwicklung, in beiden deutschen Staaten ist an die Gleichbehandlung und Gleichstellung von Mann und Frau, von Menschen unterschiedlicher Rasse, Hautfarbe, Nationalität, Religion und Alter gebunden.

6. Im Prozess der Herausbildung einer Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zwischen beiden deutschen Staaten muss der soziale Besitzstand der Bürgerinnen und Bürger der Deutschen Demokratischen Republik gewahrt bleiben. Bei allen Varianten, die zur Angleichung der Einkommens- und Preisstrukturen vereinbart werden, ist ein umfassender Rechtsschutz für das persönliche Eigentum zu gewähren. Die Stabilität der Spareinlagen der Bürgerinnen und Bürger der DDR ist zu sichern.

7. Die Herstellung der Einheit Deutschlands und die damit verbundene Sozialreform könnte als Modell einen Beitrag für die wirtschaftliche, soziale und politische Integration eines gemeinsamen Europa leisten.

1. Recht auf Arbeit

Das in der Deutschen Demokratischen Republik gesetzlich verbriefte Recht auf Arbeit und seine Ausgestaltung, besonders im Arbeitsgesetzbuch sind zu bewahren.

Durch aktive staatliche Beschäftigungspolitik und Wahrnehmung der Verantwortung der Unternehmen und Kommunen für die Arbeitsbeschaffung ist dieses Recht durch einen möglichst hohen Beschäftigungsgrad aller arbeitsfähigen Bürgerinnen und Bürger zu verwirklichen.

Das Recht auf Arbeit

2. Demokratisierung und Humanisierung des Arbeitslebens

Unabhängig von den Eigentumsformen ist an allen Unternehmen und Einrichtungen das Mitbestimmungsrecht der Werktätigen und die ungehinderte Tätigkeit von Gewerkschaften und anderen Interessenvertretungen zu garantieren.

Folgende soziale Anforderungen sind in den Unternehmen und Einrichtungen mindestens zu erfüllen und zu finanzieren:

- gesundheitsverträgliche Arbeitsumweltbedingungen einschließlich Gesundheits-, Arbeits- und Brandschutz sowie die Sicherung der ökologischen Verträglichkeit der Produktion und der Produkte;

- sozial- und sanitärhygienische Einrichtungen;

- betriebliche Gemeinschaftsverpflegung, die eine vollwertige, warme Hauptmahlzeit und eine angemessene Pausenversorgung gewährleistet;

- arbeitsmedizinische Dispensairebetreuung und gesundheitliche Überwachung durch ein Betriebsgesundheitswesen;

- Erhalt und Erweiterung der Kapazitäten des betrieblichen Ferien- und Erholungswesens;

- betriebliche Kinderbetreuung in Kinderkrippen, -gärten und -ferienlagern.

Weitere soziale Forderungen sind z.B. geistig-kulturelle und sportliche Aktivitäten, Wochenend- und Naherholung, Veteranenbetreuung.

Dazu sind zwischen den Unternehmensleitungen und gewählten Vertretern der Werktätigen Verhandlungen zu führen und Vereinbarungen abzuschließen.

Im Falle zeitweiliger Arbeitslosigkeit durch Betriebsbankrott, Betriebsauflösung auf Grund von Umstrukturierungen, Wechsel der Eigentümer und Rationalisierungsmaßnahmen ist ein Sozialplan zur Absicherung der Werktätigen verbindlich zu vereinbaren.

Als Bestandteil von Entwicklungskonzeptionen und Investitionsvorhaben in Unternehmen und Einrichtungen sind rechtsverbindliche Sozialprojekte mit den Schwerpunkten Arbeits-, Lebens- und Umweltbedingungen auszuarbeiten.

3. Gleichstellung der Geschlechter und Erziehung der Kinder

Das Recht auf Gleichstellung der Geschlechter im Erwerbs- und Familienleben sowie das Recht der Familien und Kindererziehenden auf sozialen Schutz müssen gesichert werden.

Gleichstellung im Erwerbsleben verlangt:

- jede Frau und jeder Mann muss die Möglichkeit haben, ihren/seinen Lebensunterhalt durch eine frei übernommene Tätigkeit zu verdienen. Dazu sind als grundlegende Voraussetzungen eine aktive Beschäftigungspolitik und ein staatlich subventioniertes, bedarfsdeckendes Netz an Kinderbetreuungs- und Versorgungseinrichtungen sowie eine Familien- und Kinderfreundliche Infrastruktur zu sichern;

- jeder Frau und jedem Mann muss das gleiche Recht auf Berufsbildung gewährt werden. Geschlechtsspezifische Ausbildungsangebote sind abzubauen;

- jede Frau und jeder Mann muss die gleiche Chance zum beruflichen Aufstieg haben. Dieses Recht schließt Frauenförderungsmaßnahmen, insbesondere hinsichtlich der beruflichen Qualifizierung ein, um allmählich zu einem paritätischen Verhältnis der Geschlechter auf allen Ebenen des Erwerbslebens zu kommen;

- jeder Frau und jedem Mann müssen gleiche Arbeitsbedingungen gewährt werden. Das schließt den Erhalt besonderer arbeitsschutzrechtlicher Bestimmungen für Frauen sowie jene arbeitsrechtlichen Regelungen zum Schutz der Frau bei Schwangerschaft und Mutterschaft ein, die den Frauen die Teilnahme am Erwerbsleben garantieren und sichern;

- Frauen und Männer haben das Recht auf gleiches Entgelt bei gleicher und vergleichbarer Arbeit. Indirekte und direkte Lohndiskriminierungen müssen beseitigt werden.

Um die Gleichstellung in der Familie zu erreichen und den sozialen Schutt Kindererziehender zu garantieren, müssen

- den Eltern gleiche Rechte und Pflichten in Bezug auf die Kinder unabhängig vom Bestehen einer Ehe eingeräumt werden;

- staatliche Geburtenbeihilfe, staatliches Kindergeld, die besondere Unterstützung kinderreicher Familien mit drei oder mehr Kindern, Alleinstehender mit Kinder sowie von Erziehenden mit schwerstgeschädigten Kindern erhalten und ausgebaut werden und

- das Recht der Frau auf selbstbestimmte Schwangerschaft und kostenlosen Schwangerschaftsabbruch gesichert bleiben.

4. Recht auf Aus- und Weiterbildung

Der ungehinderte Zugang zu allen Formen der Bildung ist ein unverzichtbares Recht jeder Bürgerin und jedes Bürgers der Deutschen Demokratischen Republik. Er dient der vollen Entfaltung der Persönlichkeit.

Die Verwirklichung dieses Rechts erfordert:

- obligatorische Grundschulbildung sowie bei entsprechenden Leistungen allgemeine Zugänglichkeit zur Oberschulbildung mit Gewährung von angemessenen Ausbildungsbeihilfen;

- Berufsausbildung mit Gewährung des Lehrlingsentgeltes;

- allgemeiner Zugang zum Fach- und Hochschulstudium auf der Grundlage der Leistungsfähigkeit des Einzelnen verbunden mit der Gewährung eines angemessenen Stipendiums;

- Aufbau eines wirksamen Systems- der Umschulung zum Sicherung des Rechts auf Arbeit bei Strukturveränderungen;

- Vervollkommnung des Systems der Weiterbildung entsprechend der Anforderungen des Arbeitsprozesses.

Bei der Bildung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland sind

- Grundschulbildung, Oberschulbildung, Fach- und Hochschulbildung weiterhin unentgeltlich;

- Ausbildungsbeihilfen für Oberschüler, Lehrlingsentgelt sowie Stipendien mindestens in der bisherigen Höhe weiterzugewährleisten und schrittweise entsprechend der sozialen Lage des Einzelnen und der Entwicklung der Lebenshaltungskosten anzupassen;

- die Kosten für die Umschulung und für die Weiterbildung im Interesse der Unternehmen und Einrichtungen nicht dem Einzelnen anzulasten.

Die erworbenen Abschlüsse aus der Berufsbildung, aus einem Fach- oder Hochschulstudium sowie anderer staatlicher, nach den Rechtsvorschriften der Deutschen Demokratischen Republik erworbenen Abschlüsse, behalten ihre anerkannte Gültigkeit.

5. Recht auf gesundheitliche Betreuung

Das Grundrecht auf den Schutz, die Erhaltung und die Wiederherstellung der Gesundheit ist für jeden Menschen zu verwirklichen.

Dazu sind der Gesellschaft die Aufgaben gestellt,

- durch Pflichtversicherung für alle Bürgerinnen und Bürger die Chancengleichheit bei der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen zu garantieren;

- ein bürgernahes, modernen und pluralistisch organisiertes Gesundheitswesen ohne Vernachlässigung der öffentlichen Gesundheitsdienste und -leistungen aufzubauen;

- eine unentgeltliche, bedarfsgerechte und vom Wohnort, Einkommen und sozialen Status unabhängige Gesundheitsversorgung zu sichern;

- die staatliche subventionierte Prävention und Dispensaire zu bewahren;

- die finanziellen Leistungen für alle Bürgerinnen und Bürger bei Alter, Krankheit, Unfall, Berufskrankheit, Mutterschaft und Invalidität beizubehalten und auszubauen;

- die freie Wahl des Arztes bzw. der Betreuungseinrichtung zu wahren und

- die Eigenverantwortung jedes Arztes und Zahnarztes zu fördern und die fachärztliche Weiterbildung zu garantieren.

Durch Aufklärung und umfassende Information der Bevölkerung sowie durch Zurückdrängen gesundheitsschädigender Einflüsse von Umwelt Arbeitsbedingungen und Konsumgewohnheiten und die finanzielle Begünstigung gesundheitsfördernder Waren, Maßnahmen und Leistungen ist die gesunde Lebensweise der Bevölkerung zu fördern.

6. Fürsorge der Gesellschaft für ältere Bürger

Das Recht auf Fürsorge im Alter ist durch soziale Integration, materielle und finanzielle Sicherstellung, eine umfassende gesundheitliche und soziale Betreuung sowie die Befriedigung geistig-kultureller Bedürfnisse zu gewährleisten.

Das erfordert:

- Schaffung von Möglichkeiten, die Lebenserfahrungen und das Wissen der älteren Generation nutzbar zu machen sowie ihrem Bedürfnis nach sinnvoller Tätigkeit zu entsprechen;

- Erweiterung der Interessenvertretung älterer Bürgerinnen und Bürger durch gesellschaftliche Organisationen, Interessenverbände und -gruppen;

- ein Rentenrecht, das den Erfordernissen der sozialen Sicherheit entspricht;

- Vergrößerung den Angebots altersgerechter Wohnungen bei staatlicher Sicherung durch den sozialen Wohnungsbau;

- Sicherung und Erweiterung des Systeme einer unentgeltlichen Hauswirtschaftspflege;

- Ausbau der Seniorenbetreuung in Heimen, der Tagesbetreuung und geriatrischen Rehabilitation bei Erhaltung der staatlichen Subventionierung;

- Ausbau eines gewerkschaftlichen und privaten Systeme von Seniorenkuren und -reisen sowie des Altensports und

- flexible Ruhestandsregelungen und die Möglichkeit der Teilzeitarbeit in den letzten Berufsjahren.

7. Soziale Integration von Behinderten und Rehabilitanden

Die soziale Integration und Betreuung Behinderter und Rehabilitanden ist unter Sicherung ihres rechtlichen Status durch geeignete Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten sowie durch komplexe Rehabilitations- und Betreuungsmaßnahmen zu gewährleisten.

Dazu gehören folgende Aufgaben:

- Einflussnahme auf eine positive Grundhaltung der Bevölkerung zu einem Leben mit Behinderten in der Gesellschaft;

- Förderung von Modellen des Zusammenlebens mit Behinderten in der Gemeinschaft;

- Förderung, Bildung und Erziehung behinderter Kinder und Jugendlicher einschließlich integrativer Modelle von Schulen und anderen Einrichtungen;

- Eingliederung bzw. Wiedereingliederung Behinderter in den Arbeitsprozess und in das gesellschaftliche Leben durch eine Quotenregelung für die Bereitstellung vielfältiger Arbeitsmöglichkeiten und garantierte Sicherung des Arbeitsplatzes, Neuschaffung von Arbeitsplätzen für Schwerstbehinderte in geschützten Betriebsabteilungen und Werkstätten sowie von Einzel- und Heimarbeitsplätzen;

- Gewährung finanzieller Leistungen und Zuwendungen, wie Wohngeld, PKW-Zuschuss, Steuervergünstigung und Zusatzurlaub;

- Gewährleistung einer differenzierten Interessenvertretung Behinderter auf allen Ebenen der demokratischen Mitbestimmung unter Teilnahme am politischen und kulturellen Leben;

- Ausbau und Förderung der Forschung zur sozialen Integration und Überprüfung vorhandener Organisationsformen;

- behindertengerechte Ausstattung von Wohnungen, öffentlichen Gebäuden, Straßen und Verkehrsmitteln.

8. Recht auf Wohnen

Das Grundrecht auf Wohnung und einen wirksamen Mieterschutz ist unabhängig von den Eigentumsformen für alle Bürgerinnen und Bürger zu garantieren.

Das erfordert:

- staatliche Aufsicht über die Mietpreisbildung und -bindung sowie öffentliche Kontrolle darüber;

- Neuschaffung und Rekonstruktion von staatlichem, genossenschaftlichem, betrieblichem und privatem Wohnraum;

- Ausbau eines Systems von Unterstützungen und Beihilfen zur Sicherung der Bedürfnisse sozial Schwächerer;

- Demokratisierung der Wohnungspolitik durch Förderung von Interessenvereinigungen der Mieter und unbürokratischen Verfahrensweisen bei Wohnungstausch.

Der Kündigungsschutz für die Mieter ist zu erhalten.

Das Eigentum von Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik an Wohnhäusern, Erholungsbauten u.a. Baulichkeiten sowie an verliehenen Nutzungsrechten an Grundstücken ist weiter gesetzlich zu schützen.

9. Recht auf ein soziales Versicherungssystem

Das Recht auf Fürsorge der Gesellschaft für alle Bürgerinnen und Bürger, insbesondere im Alter, bei Krankheit, bei Arbeitsunfällen, Invalidität, Ausfall des Ernährers oder Arbeitslosigkeit ist durch ein umfassendes, sozial gerechtes und entsprechend des Leistungsprinzips funktionierendes Sicherungssystem zu gewährleisten.

Das erfordert:

- den Erhalt und den Ausbau eines einheitlichen staatlich garantierten Sozialversicherungssystems, das für alle Rentenarten und Leistungen bei eigener Krankheit, einschließlich Unfall bzw. Berufskrankheit und bei Pflege von Kindern sowie bei bezahlter Freistellung nach dem Wochenurlaub zuständig ist;

- eine Arbeitslosenversicherung zur sozialen Sicherstellung für Zeiten der Umschulung und Arbeitsvermittlung einzuführen;

- eine solche Ausgestaltung den Rentenrechte, die allen Menschen den durch Leistung erworbenen Lebensstandard in angemessener Weise sichert;

- regelmäßig eine dynamische Anpassung der Renten an die Entwicklung der Einkommen aus Erwerbstätigkeit und der Preise zu sichern, was das Heranführen der Altrenten au das neue Rentenniveau einschließt;

- Beibehaltung und Erhöhung der Grundrenten entsprechend der Anzahl der Arbeitsjahre bei niedrigen Arbeitseinkommen in Abhängigkeit von den Lebenshaltungskosten und dem Grundbedarf, das gilt auch für die Weiterentwicklung der Sozialfürsorge;

- bei der künftigen Gestaltung der Hinterbliebenenrente von ihrer sozialen Funktion auszugehen.

Im Prinzip sollen sich künftig die Renten und andere Leistungen der Sozialversicherung schrittweise selbst finanzieren.

Jeder einzelne hat dafür seinen eigenen Beitrag entsprechend des Einkommens aus der Erwerbstätigkeit zu leisten. Staatszuschüsse sind im bisherigen Umfang mindestens zu erhalten.

Im Zusammenhang mit den künftigen Beitragszahlungen sind die Löhne angemessen zu erhöhen. Die Beitragszahlung der Betriebe ist neu festzulegen. Bei der Höhe der Unfallumlage sind die Betriebe an fortgeschrittenen Arbeitsbedingungen zu interessieren.

Im Zuge der Harmonisierung der Sozialversicherungssysteme zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland sind u.a. solche Aspekte zu berücksichtigen wie

- die Einführung einer Teilinvalidenrente

- die Flexibilisierung des Rentenalters

- die Gewährung von Ausgleichszuschüssen durch den Mehrverdienenden bei Ehescheidung und besondere finanzielle Unterstützung der Familie mit pflegebedürftigen Angehörigen.

Zur öffentlichen Kontrolle über die Verwirklichung der in dieser "Sozialcharta," festgeschriebenen Grundsätze ist eine periodische Sozialberichterstattung über die Ursachen sozialer Probleme und die Wirkung der eingeleiteten Maßnahmen zu ihrer Beseitigung vor der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik notwendig.

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