Feminismus ist Gesellschaftskritik
Gespräch mit Christina Schenk, Volkskammerkandidatin des UFV
Frage: Das Hearing am 8. März war der Wahlprüfstein des Unabhängigen Frauenverbandes. Glaubst du, dass die Frauen Antworten auf ihre Fragen erhalten haben?
Christina Schenk: Für viele Frauen ist deutlich geworden, welche Positionen die einzelnen Gruppierungen und Parteien zu Fragen einnehmen, die für Frauen wirklich relevant sind. Ich glaub` schon, dass es viel geholfen hat.
Welche Fragen waren für dich besonders wichtig?
Wie positionieren sich die Parteien und Gruppierungen zu Fragen des Rechts auf Berufsarbeit, des Erhalts der Kinderbetreuungseinrichtungen, der Berufsausbildung, der Ausbildung von Frauen überhaupt, die hier doch wesentlich besser geregelt ist, als beispielsweise in der Bundesrepublik. Wichtig war auch das Problem der Sozialcharta, also mit welcher Position wir dazu in die Verhandlungen zur deutschen Einheit hineingehen wollen.
Welche Fragen sind für dich nicht gestellt worden?
Ich denke, die wichtigsten, die brennendsten Fragen sind gestellt worden. Man kann auf einem Hearing mit tausend Frauen oder sogar mehr, nicht so sehr ins Detail gehen. Mich hat es ein bisschen enttäuscht oder auch traurig gemacht, dass offensichtlich niemand so richtig beantworten konnte, was eigentlich Feminismus ist. Wenn gesagt wurde, wir wollen hier keinen Feminismus machen, weil das ausschließlich Frauenpolitik sei, dann ist noch nicht bekannt, dass Feminismus eine Gesellschaftskritik ist. Aber dies ist zur Zeit, verglichen mit den anderen Fragen, unbedeutend.
Hattest du das Gefühl, dass das Publikum ein ausgewähltes Publikum war?
Nicht unbedingt. Ich denke, so etwas gibt es nicht mehr, also Veranstaltungen, wo Leute ausgewählt oder ganz gezielt hingeschickt werden. Es hat vielleicht ein bisschen mit dem Haus hier zu tun, dass sicher überdurchschnittlich viele PDS-Frauen dabei waren beziehungsweise Frauen, die sich als ganz bewusst links verstehen.
Wie ist für dich die teilweise tumultartige Stimmung zu erklären?
Auf der einen Seite - ich kann es eigentlich nur im Kopf auseinander halten - ich verstehe die Frauen und auch die Männer, die sich da zum Teil recht laut geäußert haben, sehr gut. Sie haben einfach Angst vor der Zukunft. Ich denke, begründete Angst, wenn der Prozess der Herstellung der deutschen Einheit so weiter geht, wie er angefangen hat. Andererseits muss man natürlich sagen, dass das eben auch eine Frage der politischen Kultur ist, die in diesem Land noch gelernt werden muss. Es ist wichtig, dass man ausreden lässt und sich ganz gezielt und rational mit Argumenten auseinandersetzt. Aber in dieser überhaupt sehr bewegten, politisch brisanten Zeit, ist das sehr schwer.
Meinst du, dass du an diese VertreterInnen der Parteien und Bewegungen noch jemals eine Frage stellen würdest, oder haben sich mit diesem Hearing für dich sämtliche Fragen an diese Parteien erledigt?
Ich würde schon ganz gern noch einmal nachfragen und vor allem würde ich andere VertreterInnen befragen wollen, zum Beispiel von der SPD. Mir will einfach immer noch nicht in den Kopf, dass sie sich zur Frage der Koalition nach den Wahlen unter anderem mit der Allianz so ausweichend positionieren. Ich habe auch andere SPD-VertreterInnen gehört, die gesagt haben, diese Koalition wäre absurd. Heute hörte es sich wieder anders an. Dies erschreckt mich dann.
(Das Interview führte Marinka Körzendörfer)
aus: taz-Ost Nr. 3055 vom 12.03.1990