Wie viel darf der weicher Sessel im Bundestag kosten?
Die Debatte um SPD-Listenplätze für Abgeordnete des Bündnis 90/Grüne geht weiter
DOKUMENTATION
Da erklärt Marianne Birthler in der taz vom 19.7.90. die Bündnisverhandlungen der BürgerInnenbewegungen zu den gesamtdeutschen Wahlen für gescheitert und versucht auf diese Weise Sympathie für eine mögliche Kandidatur einer "Fraktionsmehrheit" (Konrad Weiß) von Bündnis 90/Grüne Partei auf SPD-Listenplätzen zu wecken. Dies dürfte wohl kaum gelingen.
Denn immerhin ist die SPD, die mit der Drohung des Koalitionsbruchs versucht, die Fünf-Prozent-Klausel in einem einheitlichen Wahlgebiet durchzudrücken. Weniger in vorgegebener Sorge um die Arbeitsfähigkeit des Parlaments, sondern vielmehr in Hoffnung auf die uneingeschränkte (möglichst Zwei-) Parteienherrschaft in selbigem. Doch dazu bedarf es der Ausschaltung der BürgerInnenbewegungen und der PDS sowie der Vereinnahmung ihres WählerInnenpotentials. Denn bisher ist die SPD von der Kanzlerschaft ihres Spitzenkandidaten noch mehrere Millionen Stimmen entfernt.
Eine Kandidatur auf Listenplätzen der SPD bringt nachträglich die Akzeptanz der SPD-Koalitionspolitik. Sie bedeutet die Unterstützung des nackten Parteienpluralismus, des Alleinvertretungsanspruches von Großparteien. Sie wäre damit eine Absage an das neue emanzipatorische Demokratieverständnis von BürgerInnenbewegungen. Ein Anspruch, der auf Gründungsveranstaltungen von BürgerInnenbewegungen - und nicht Parteien - als auch an den Runden Tischen formuliert wurde und mit dem man/frau auch ins Parlament einzog. Aber die Erfahrungen der Runden Tische, der Bürgerkomitees geraten bereits in Vergessenheit. Nun scheint man/frau auch gewillt, zum Zwecke der eigenen Politkarriere vermittels von Parteistrukturen auch diesen Anspruch an eine neue Art von Politik zu vergessen.
Die BürgerInnenbewegungen scheinen für einige ihre Funktion als Sprungbrett für PolitikerInnenkarrieren erfüllt zu haben. Zu sehr scheint man/frau sich an den Status eines "Politpromis" gewöhnt zu haben. Denn ein Blick über den Parlamentssessel hinaus macht die Folgen eines solchen Schrittes deutlich.
Laufende Bündnisverhandlungen werden als abgeschlossen und gescheitert erklärt. Zugegeben, der Prozess zur Schaffung eines Bündnisses, an dem bisher alle Bewegungen des Herbstes beteiligt sind, verläuft außerordentlich mühevoll. Aber es ist der Versuch, einen Interessenkonsens zu er-diskutieren, in dem eigene Positionen auch korrigierbar sind. Zumal die Verhandlungen eine große Übereinstimmung in Grundpositionen, in dem, was uns wichtig ist, gezeigt haben. Insofern sollten sich die Fraktionsmitglieder überlegen, wie sie sich in die Verhandlungen um das Bündnis einbringen können, statt bereits seine Bankrotterklärung zu verlesen. Denn sie werden sich fragen lassen müssen, welchen Beitrag sie bisher zu seinem Zustandekommen geleistet haben.
In Anbetracht der Misere der SPD, vor allem ihrer parteieigenen Farblosigkeit hätte ein Bündnis die Chance, ein beachtliches WählerInnenpotential auf sich zu ziehen. Gegenwärtig sollte also alle Kraft in die Herstellung dieses Bündnisses investiert werden, statt ihm Kraft zu entziehen.
Aber vielleicht hat den listenwilligen Parlamentariern der sonntägliche Ausflug des Herrn Schröder in die Wahlarithmetik den aufs Machtkalkül reduzierten Inhalt des SPD-Angebots hinlänglich vor Augen geführt.
Christiane Schindler, Eva Schäfer, Christina Schenk (Sprecherinnen des Unabhängigen Frauenverbandes)
aus: taz-Ost Nr. 3166 vom 25.07.1990