Briefe
Dem Geld hinterherlaufen?
Ich möchte mich an Ihren Verband wenden in der Hoffnung, aktiv mithelfen zu können bei der Aufdeckung von Gesetzeslücken und Nachteilen für Frauen. Ich möchte etwas tun. Ich bin 32 Jahre alt und arbeite als Kindergärtnerin. Mit meinen beiden Söhnen (6 und 3 Jahre alt) bin ich allein. Leider musste ich eine Vielzahl von Diskriminierungen erfahren. Man verweigerte mir die Wiedereinstellung nach dem Babyjahr; empfahl mir von Seiten der Leitung einen Schwangerschaftsabbruch beim zweiten Kind. Mein zweites Kind ist chronisch krank. Wir fehlen sehr häufig. Mein Sohn war auch krippenunfähig - dafür gibt es überhaupt kein Gesetz, wer dann bei Alleinstehenden etwas zahlen muss. Ich musste wochenlang dem Geld hinterherlaufen. Was wird jetzt aus uns Alleinstehenden mit kranken Kindern? Wenn die Sachen noch teurer werden, wenn weitere Subventionen wegfallen, gehen wir total unter. Im vergangenen Jahr erhielt ich nie ein volles Gehalt. Auch sonst fühle ich mich sehr alleingelassen in unserem Staat. Ich glaubte früher, meine Kinder in sozialer Sicherheit geboren zu haben. Es müsste ein Gesetz geben, das Alleinstehende mit chronisch kranken Kindern (dies könnte durch den Dispensairearzt bestätigt werden) etwas länger als vier bis sechs Wochen bezahlt freigestellt werden. Es geht doch bestimmt vielen so!
Barbara W(...),
Potsdam
aus: FÜR DICH, 5/90, 28. Jahrgang
Für gemäßigte Quotierung
Mitte Dezember 1989 hatte ich vorgeschlagen, in der LDPD die Quotenregelung festzuschreiben. Ich denke an die gemäßigte Regelung, das heißt, entsprechend dem Frauenanteil von 35,5 Prozent diesen Anteil auch in allen Führungsgremien durchzusetzen. (Es gibt noch die konsequente Quotierung, die 50 Prozent fordert und die "positive Diskriminierung", bei der jede freiwerdende Stelle mit einer Frau zu besetzen ist.)
Warum plädiere ich für die Quotierung? Ich sehe sie als notwendige Übergangslösung an, weil Männer nicht von sich aus kompetente Frauen in Führungspositionen holen und weil es natürlich kaum eine Frau wagt zu sagen, dass sie sich für geeignet hält - schließlich sind wir zu "Bescheidenheit" erzogen. Forschungen beweisen aber: Wenn Frauen etwas in die Hand nehmen (Kompetenz vorausgesetzt), dann beweisen sie, dass sie es können. Eine Quotierung ermöglicht fähigen Frauen erst zu zeigen, was sie tatsächlich zu leisten vermögen.
Sylvia K(...),
Leipzig
aus: FÜR DICH, 5/90, 28. Jahrgang
Gehen Rentnerinnen wieder leer aus?
Aus jahrzehntelanger Sprachlosigkeit erheben sich viele Stimmen. Die ehemals Gemaßregelten treten auf den Plan. Aber eine Stimme fehlt mir bisher, das ist die Stimme der Frauen, die jetzt 65, 70, 80 und mehr Jahre alt sind. Während des Krieges verloren sie die Männer oder Freunde und Verwandten, sie wurden in den Arbeitsdienst geschickt... Als Witwen brachten sie ihre Kinder allein durch, arbeiteten als Ungelernte. Die meisten konnten nie (wieder) heiraten. Sie erhielten einen bescheidenen Lohn, von Frauenförderung konnten sie nur träumen. Heute erhalten sie die niedrigsten Renten. Gehen sie wieder leer aus? Wann wird ihre Leistung endlich gewürdigt? Ich bitte darum, rasch zu handeln.
Gisela O(...),
Potsdam-Babelsberg
aus: FÜR DICH, 5/90, 28. Jahrgang
Verrückt nach Befreiung
Noch ist genügend Zeit, lassen Sie uns den 8. März 1990 so vorbereiten, dass wir Frauen uns nicht länger dafür schämen müssen, Frauen zu sein. Der 3. Dezember 1989 war der Beginn einer DDR-Frauenbewegung. Eine Frauendemonstration am kommenden 8. März kann ein weiterer Eckpunkt unserer Sehnsucht nach Frieden und Freiheit sein. Gegenwärtig werden unsere Vertreterinnen am Runden Tisch mit Schweigen übergangen. Verärgert sehe ich, dass wir Frauen nicht die Stimme haben, die uns zukommen muss. Sollten wir wieder die Betrogenen sein? Hier und heute haben zwei Frauen die wohl undankbarsten Regierungsposten, die neu zu vergeben waren. Bildung und Kultur liegen in den Händen neuer Männer. Wehren wir uns gemeinsam gegen die drohende Wollust der Unternehmer. Elternschaft ist ein gesamtgesellschaftliches Thema, kein frauenpolitisches Problem. Wir brauchen keine Frauenecke, in die man uns gern stellen möchte. "Ja, wir sind verrückt nach Befreiung und Frieden!" Das ist mein Vorschlag für eine Losung zum 8. März.
Therese D(...),
Petershagen
aus: FÜR DICH, 5/90, 28. Jahrgang
Ich fürchte, ins Abseits zu geraten
Ich habe voller Interesse den Beitrag von Ina Merkel (FÜR DICH 50/89) gelesen. Er gefällt mir sehr gut, weil er sachlich und klar auf einen Nenner bringt, womit ich mich (zeitweise mehr, mal weniger) rumschlage.
Der Quotierungsgedanke findet meine volle Zustimmung. Es kann nicht sein, dass es immer wieder das individuelle Problem von Frauen ist, inwieweit sie (neben der Arbeit) Kinder und politisches Engagement unter einen Hut kriegen. Es muss auch das Problem der Organisationen sein, Politik so zu machen, dass Frauen teilnehmen können. Quotierung allein hilft nicht. Aber das müssen wohl die Frauen in die Wege leiten, weil's ihr Anliegen ist.
Ich bin selbst alleinstehend mit Kind und beruflich sehr engagiert. Um meinem Kind aus einer Krise zu helfen (er ist knapp 3 Jahre alt), habe ich für eine begrenzte Zeit eine Arbeitszeitverkürzung erkämpft. Ist es länger als 4 Wochen krank, gibt es echte finanzielle Probleme. Nun frage ich mich, warum es nicht auch eine gesellschaftlich notwendige und nützliche Arbeit sein soll Kinder zu erziehen, wozu nun mal auch die Pflege gehört. Deshalb würde ich: einen Lohnausgleich auch über die 4 Wochen hinaus für eine angemessene Forderung halten.
Ein weiterer Vorschlag ist; einem der Erziehungsberechtigten einige Wochenarbeitsstunden bei vollem Gehalt "Erziehungszeiten" zu gewähren. Ich befürchte, dass bei der Entwicklung des Leistungssystems besonders alleinerziehende Mütter und Väter immer mehr an den Rand gedrängt werden.
Almut S(...),
Berlin
aus: FÜR DICH, 6/90, 28. Jahrgang
Wenig Möglichkeiten für neue Gruppen
Bisher war ich ein Gegner von selbständigen Frauenorganisationen und war der Meinung, dass für internationale Verbindungen der DFD Berechtigung habe. Nun, nach zwei Monaten Revolution sehe ich, dass die Frauen auf der Strecke bleiben. Sie haben in der "FÜR DICH" einige Artikel zu Frauenproblemen gebracht, die hochinteressant sind und dringend gelöst werden müssen. Deshalb möchte ich aktiv mittun. Es gibt zu wenig Möglichkeiten für neue Gruppierungen, sich und ihre Ziele bekannt zumachen - unterstützen Sie sie dabei!
Iris M(...),
Dresden, 8036
aus: FÜR DICH, 6/90, 28. Jahrgang
Eine vergessene Generation
Der Beitrag "Gehen Rentnerinnen wieder leer aus?" in Ihrer Zeitschrift hat mich sehr bewegt. Wir sind im Grunde doch immer wieder übersehen und vergessen worden. Ich werde im März 79 Jahre. Im ersten Weltkrieg war ich ein Kind und kann mich noch gut an das armselige, bittere und sorgenvolle Leben meiner Mutter erinnern. Sie hat für andere Leute gearbeitet, um uns Brot geben zu können. - Auch nach dem Krieg ging es nicht viel besser. Wir waren vier Geschwister, und mein Vater hatte nur einen ganz geringen Verdienst.
Im zweiten Weltkrieg verlor ich den Mann und musste meine beiden Kinder allein großziehen. Tagsüber habe ich gearbeitet, um Geld zu verdienen, nach der Arbeit ein Stückchen Acker bewirtschaftet, um zusätzliche Lebensmittel zu haben. Die Ernte war kärglich. Für die Kinder wurde aus alten Sachen Neues genäht. Eine Witwenrente bekamen wir nicht.
Ich erinnere mich, dass einmal ein Funktionär zu mir sagte: "Rente können wir den Witwen nicht geben, sonst gibt es bald wieder einen neuen Krieg, wenn es den Frauen zu gut geht." Ist das nicht beschämend?
Wir haben uns aufgeopfert, um unsere Kinder zu ordentlichen Menschen zu erziehen, unserem Staat war das egal. Wir waren eben eine Generation, die niemals etwas verlangen durfte.
Herta A(...),
Meuselbach
aus: FÜR DICH, 12/90, 28. Jahrgang, Unabhängige Frauenzeitschrift
Miteinander statt Gegeneinander
Für einen Frauenverband würde ich mir wünschen, er entwickelte sich wie die FÜR DICH. Hier werden wirklich Probleme und Interessen der Frauen aufgegriffen.
Wenn allerdings der DFD automatisch mit der älteren Generation identifiziert wird, dann lehne ich das ab. Die Alten waren auch einmal jung, und die jungen werden alt. 'Miteinander' muss es heißen, sonst gibt es meiner Meinung nach neue Probleme. Wir brauchen uns gegenseitig.
Dennoch warne ich: Passt auf die Frauen über 50 auf! Für sie hat es nie Sonderregelungen gegeben. Die Zahl der Kinder spielte keine Rolle, sie mussten voll arbeiten. Kredite gab es nicht. Keinen Ausgleich, wenn eins der Kinder krank wurde. Der Kampf um eine notwendige Teilzeitbeschäftigung war in unzähligen Fällen hart und erniedrigend. Er führte die Frauen oft auf einen Arbeitsplatz mit viel weniger Geld.
Ruth M(...),
Berlin
aus: FÜR DICH, 12/90, 28. Jahrgang, Unabhängige Frauenzeitschrift