ein Reizwort?
Beobachtungen im Zusammenhang mit einem Wort
Unlängst auf dem 2. Jenaer Frauenforum fiel das Wort. Das Reizwort. Nachdem wir schon zwei Stunden lang Frauenprobleme beim Namen genannt, Erfahrungen ausgesprochen, Wut oder Verärgerung über erlebte Benachteiligung herausgelassen hatten: Einig wurden wir uns in der Forderung nach einem Frauenzentrum und einer Frauenbeauftragten beim Rat der Stadt. Die Probleme, die gelöst werden sollten, füllten schon Seiten. Übersprudelnde Ungeduld: Die Abgeordnete Maja Hochbaum, Mandatsträgerin des DFD, sagte zu, Forderungen der Jenaer Fraueninitiative in der Stadtverordnetenversammlung zu vertreten. Und dann fiel das Wort. "Feministisch" sei unsere Arbeit - so ausgesprochen von einer Mitarbeiterin in der IG Stadtökologie, und - der Protest blieb nicht aus.
"Wir tun zwar was für Frauen, aber Feministinnen - nein, so wollen wir uns nicht nennen." So die einen, und die anderen fragten: "Warum nicht? Was versteht ihr denn unter dem Wort?"
Da kleckerte der eklige, schmutzige Schlamm in die Runde, der diesem Wort anhaftet. Sehr unkonkret die Fakten, aber deutlich das Gefühl: Mit diesem Wort belegt zu werden, bedeutet nichts Gutes, heißt Ausgrenzung, Vorurteil, Verschrien-Sein und Sich-lächerlich-Machen.
Auf unserem Frauenforum konnten wir uns schnell einigen, dass darüber Diskussionen folgen sollten, dass wir Klarheit über diesen Begriff wollen, Missverständnisse aufklären müssen. Feindseligkeit kam deshalb zwischen uns nicht auf.
Das habe ich schon anders erlebt. Emotionen schlugen hoch, wenn das Spannungsfeld "Feminismus" berührt wurde. Bei Männern und Frauen.
Noch vor der sogenannten "Wende" hatte ich im Kulturbund nach einer Schriftstellerinlesung folgendes Erlebnis: Angehörige eines Literaturklubs diskutierten darüber, ob demnächst eine bestimmte Erfurter Schriftstellerin eingeladen werden sollte, die eine "Feministin" sei. Sie "drohe mitten in der Lesung den Männern, ihnen mit einem Hackebeilchen den Schniedelwutz abzuschlagen ..." - Solche Äußerung von Männern, die ansonsten einen intelligenten Eindruck auf mich machten. Dann folgten Witzeleien zu dem "pikanten" Thema. Keine(r) der Belustigten kannte die Schriftstellerin persönlich. Das erfuhr ich auf meine Nachfrage hin. Ich wandte mich dagegen, Menschen in solcher unqualifizierten Art im voraus zu verurteilen. Meine Forderung nach Sachlichkeit und Toleranz wurde beantwortet, indem man den Spieß umdrehte. Ich sei intolerant und humorlos, wenn ich nicht akzeptieren könne, dass man sich doch über, eine "Emanze" ruhig mal lustig machen darf. Über wen - wenn nicht über Feministinnen?
Nun glaube ich nicht, dass Humor zwangsläufig auf Kosten anderer gehen muss. Aber weiterer Wortwechsel war sinnlos. Ich ging nach Hause.
Eine zweite Beobachtung: In der letzten Zeit sind Begriffe, Bewegungen, Initiativen in unseren Medien "salonfähig" geworden. Die Rolle der Kirche in der DDR und KirchenvertreterInnen werden nicht mehr verschwiegen. Ökologie ist Thema. Friedens- und Menschenrechtsgruppen, die vor dem Herbst 89 entweder totgeschwiegen oder diffamiert wurden, gibt es nun in der DDR. Aber auch Problemtabus wurden gebrochen. Neofaschisten werden nun so genannt und nicht mehr als "Rowdys" verharmlost.
Aber das Wort "Feminismus" ist ein weiterhin kaum durchbrochenes Tabu. Und die ebenso wie andere Bewegungen schon existente feministische Frauenbewegung in der DDR hat es ungleich schwerer, in den Medien präsent zu werden. Was ist nun mit dem Begriff "Feminismus", dass er wie eine heiße Kartoffel angefasst oder eben lieber nicht angefasst wird? Die neugegründete Grüne Partei hat "feministisch" aus ihrem Programmentwurf lieber wieder gestrichen und es bei ökologisch und sozial belassen. Fürchtete sie, den Volkszorn auf sich zu ziehen?
Feminismus -
Geschichte eines Wortes
Wenn wir uns heutzutage in den einschlägigen Nachschlagwerken informieren wollen, was Feminismus nun eigentlich ist, bietet sich uns ein verwirrendes Bild. Ich benutze probehalber mal die Werke meiner Durchschnittshaushalt-Bibliothek: Den DUDEN von 1976. Da steht: "Feminismus (Überbetonung des Weiblichen, weibliche Art, Verweiblichung bei Männern)". In der 7., unveränderten Auflage des Kleinen Fremdwörterbuches von 1982 lese ich: "Feminismus: Überbetonung des Weiblichen".
Und im Kleinen Synonymwörterbuch von 1989 taucht der Begriff "Feminismus" gar nicht auf. Da ich schon einmal genauer diesem Wort nachgeforscht habe, weiß ich, dass es den Begriff "Feminismus" auch in der Biologie/Medizin gibt mit der Bedeutung: "Ausprägung weiblicher Merkmale bei männlichen Tieren bzw. weibliche körperliche und psychische Eigenschaften bei Männern". Die Deutungen im DUDEN und im Kleinen Fremdwörterbuch gehen zweifellos auf diese biologische Begriffsdefinition zurück, allerdings ohne dass sich ein Hinweis darauf findet. Nun wissen wir ja trotzdem, dass Feminismus etwas mit Frauenbewegung, Emanzipation zu tun hat. Wieso verschweigen das die (meisten) Wörterbücher in der DDR?
Alexandre Dumas soll 1872 das (französische) Wort "feministe" (deutsch: Feminist) gebildet haben und Charles Fourier (1772-1837) erstmalig den Begriff "feminisme" (deutsch: Feminismus) gebraucht haben in der Bedeutung, wie sie ab 1912 im Wörterbuch zu finden war: "Streben nach Gleichstellung des weiblichen mit dem männlichen Geschlecht".*
Nach verlorenem Krieg und Aufblühen des Deutsch-Nationalismus gab ein gewisser Eduard Engel 1918 ein "Verdeutschungswörterbuch" heraus. Er schlug vor, das "neue Modewort" Feminismus zu "entwelschen" und durch folgende deutsche Begriffe zu ersetzen: "Weiberei, Geweibse, Verweibsung, Weiblerei, Weiblingstum, Weiberwirtschaft oder Weiberherrschaft".*
Im Duden fand sich der Begriff "Feminismus" im Zusammenhang mit Frauenemanzipation noch bis 1932. Dann haben die Nazis diese Bedeutung kurzerhand gestrichen. Die erste Phase der deutschen Frauenbewegung, die 1848 begonnen hatte, fand 1933 durch die Nazi-Herrschaft ein jähes Ende.
Das Totschweigen und Diffamieren des Begriffes "Feminismus" dauert bis heute an. Wessen Erbe diese Tatsache ist, ist uns heute kaum noch bewusst. Es ist grausamerweise gelungen, die Tradition so vollständig abzuschneiden, dass viele Frauen in der DDR glauben, das Wort "Feminismus" käme aus der westlichen Frauenbewegung, die Ende der 60er Jahre wieder auflebte.
Zu der nationalistischen und faschistischen Totschweigetaktik gegenüber Feminismus und Frauenbewegung, die in der DDR nie richtig aufgearbeitet wurde, kam eine erneute Verleumdung von Seiten stalinistischer Machthaber dazu. Nach dem Motto: Feminismus kommt aus dem Westen, und was aus dem Westen kommt, ist anrüchig oder "sozialismus-feindlich". Und da Feminismus die Lüge von der angeblich erreichten Gleichberechtigung der Frau im Sozialismus hätte in Frage stellen können und zudem unsere führenden Politiker fast alles Männer waren, wurde er mehr noch als alle anderen linken und gesellschaftskritischen Bewegungen im Westen kurzerhand abqualifiziert und für indiskutabel erklärt.
Schlimm ist, wie Frauen in der DDR selbst das Zerrbild von "männerhassenden Furien" verinnerlicht haben, wenn es um "Feministinnen" geht.
Luise F. Pusch, Feministin und Sprachwissenschaftlerin an der Universität Konstanz, definiert einfach und klar: "Feminismus ist die Theorie der Frauenbewegung". Nun gibt es aber nicht nur eine Strömung in der Frauenbewegung und nicht nur eine Theorie. Und das ist gut so. Denn wir haben ja lange genug erlebt, wie sich gute humanistische Gedanken durch Erstarrung, Reduzierung, Missbrauch und Alleinanspruch auf Wahrhaftigkeit ins Gegenteil verkehren können.
Feminismus ist ein lebendiges Mosaik aus Frauenbefreiungstheorien, verschiedener Frauenpolitik und Frauenforschung.
Feminismus in der DDR
- Erwachen aus dem Scheintod
Nachdem sich der DFD und auch die FÜR DICH jahrzehntelang an das Worttabu "Feminismus" gehalten hatten, wird der Begriff endlich öffentlich wiederbelebt. Der Unabhängige Frauenverband hat sich gegründet und zum Feminismus bekannt. Im Arbeitspapier der Fraueninitiative "lila offensive" ist zu lesen: "Feminismus ist für uns Interessenwahrnehmung und Interessenvertretung für Frauen. (...)
- Feminismus ist eine Art der Sicht auf gesellschaftliche Verhältnisse, die diese bewusst unter dem Aspekt wahrnimmt und analysiert, welche Rolle und welche Bedeutung Frauen in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft haben. (...)
- Feminismus ist zugleich die Bezeichnung für eine Politik, die konsequent von den Interessen von Frauen ausgeht und diese zu verwirklichen sucht. (...)
Feminismus meint in unserem Verständnis nicht die völlige Ausgrenzung von Männern. Soll eine Gleichstellung tatsächlich praktizierbar, tatsächlich wirkungsvoll sein, muss sich männliches Selbstverständnis parallel zu weiblichem Selbstverständnis mitentwickeln . ...
"Aha!" sagten einige der anwesenden Frauen auf dem eingangs erwähnten 2. Jenaer Frauenforum, "wenn das so ist, dann haben wir natürlich nichts dagegen."
Also, nehmen wir das Wort, kratzen wir den Schmutz ab, und machen wir es lebendig durch unsere Arbeit mit Frauen für Frauen in der DDR.
BÄRBEL KLÄSSNER
Jena
* Quelle: Luise F. Pusch "Das Deutsche als Männersprache" Suhrkamp-Verlag, Frankfurt/Main
aus: FÜR DICH, 6/90, 28. Jahrgang