Müssen wieder die Frauen die Trümmer der Krise wegräumen?
Gespräch mit Ministerin Tatjana Böhm, Sprecherin des Unabhängigen Frauenverbandes
Schriftstellerinnen wie Christa Wolf stellen in ihren Büchern die These auf: Wenn Frauen Politik machen, geht es feinfühliger; und friedlicher zu. Ich bezweifle diese Feststellung. Wie sehen Sie das?
Frauen als Einzelpolitikerinnen können ohne die Unterstützung von Männern oder von anderen Frauen überhaupt nichts bewirken. Richtig ist: Frauen sind viel eher bereit, Macht wieder abzugeben, eine politische Funktion nur für eine bestimmte Zeit zu besetzen. Ich glaube, besser als manche männlichen Politiker wissen sie, dass das Streben nach Macht nicht das einzig Wahre ist. Im übrigen: Weibliche Politikerinnen müssen ja nicht zwangsläufig so sein wie Frau Thatcher. Es gab das gute Beispiel der zum großen Teil aus Frauen bestehenden norwegischen Regierung unter Frau Gos Harlem Brundtland. Da hatte sich auch die Arbeit im Kabinett, zum Beispiel die Länge der Sitzungen, geändert.
Könnte die oft beklagte Mehrfachbelastung der Frau beseitigt werden, wenn die Sorge um Kinder, Familie wieder stärker ins Bewusstsein gerückt wird als ein großer Wert, als ein Weg auch der Selbstverwirklichung?
Aber bitte für Männer und Frauen. Das Zusammensein mit Kindern ist etwas so Schönes und Bereicherndes - das kann den Männern nicht schaden. Dass sie an der Kindererziehung oft nur als mithelfende Partner teilnehmen, ist weder für die Kinder noch für die Männer noch für die Frauen günstig.
Viele Frauen haben es heute verinnerlicht, dass sie sich nur im Beruf verwirklichen können. Meinen Sie, dass sie bereit sind, bei Haushalt und Kindern Zufriedenheit zu finden?
Ich kann mir das für mich schwer vorstellen. Emanzipation ist ohne Teilhabe am Arbeitsleben nicht denkbar. Wenn Frauen das für ein paar Jahre unterbrechen möchten, muss es Möglichkeiten geben, wieder eine gutbezahlte und qualifizierte Arbeit zu bekommen. Das ist allerdings auch in der BRD schwierig. Frau Süssmuth und die Frauenpolitikerinnen der SPD suchen in Arbeitsbeschaffungsprogrammen nach Lösungen. Und scheitern an der Männergesellschaft.
Es scheint ja wohl so zu sein, dass für eine schnelle Vereinigung beider deutscher Staaten vor allem Frauen zu zahlen haben?
Wenn die Einigung überstürzt vor sich geht, wenn es keine gute Einigung nach Paragraph 146 wird, geht sie auf Kosten der Frauen. Wieder müssen Frauen die Trümmer einer Krise wegräumen, die im wesentlichen von Männern verursacht worden ist. Den Weg von der Trümmerfrau zur Mindestrentnerin kennen wir. Die Altersarmut ist auch in der BRD nicht beseitigt; Herr Blüm und Herr Geißler sprechen das sehr viel deutlicher aus als mancher Kollege von der DSU.
Wie sehen Sie eigentlich die typische DDR-Frau?
Sie hat für das, was sie geleistet hat, zu wenig Selbstbewusstsein. Wir hatten eine relativ große ökonomische Unabhängigkeit, die halte ich für bewahrenswert. Gern würde ich den Frauen mehr Mut machen, dass sie die Kompetenz und Fähigkeiten, die sie haben, einbringen. Es steigen jetzt so viele fixe junge Männer, die so wenig Kompetenz haben, im Machtgerangel schnell nach oben. Das sollten wir ihnen nicht so einfach überlassen. Hinzu kommt leider, dass Frauen die Kompetenz von Frauen nicht anerkennen. Untersuchungen beweisen, dass man Männerstimmen eher zuhört als Frauenstimmen.
Sicher waren Frauen bisher in den verschiedensten Gremien vielfach der belächelte weibliche Anteil.
Man war das Aushängeschild, der unvollständige Mann. In meiner jetzigen Funktion komme ich mir manchmal vor wie Gruppenbild mit Dame.
Müsste man vielleicht das Bild von der typischen DDR-Frau noch ergänzen?
Ich glaube, typisch ist auch, dass die DDR-Frau ein schlechtes Gewissen hat gegenüber ihrer Arbeit, ihrem Kind, ihrem Mann, permanent. Es ist wirklich ein Trauma. Dabei trägt sie außerdem an einem tradierten Rollenverständnis und traut ihrem Partner kaum etwas zu. Die enorme Belastung im Alltag spürt sie viel eher, das nicht funktionierende Dienstleistungssystem ist durch die Familien, und im wesentlichen durch Frauen, aus?geglichen worden.
Gesetzt den Fall, Sie kämen an den großen Machthebel, was würden Sie als erstes verändern?
Zunächst gehe ich davon aus, dass ich an diesen Hebel nicht komme. Ich würde alles dafür tun, dass Frauen wirklich gleichgestellt werden. Praktisch wäre es ein Versuch, aus der ökonomischen, politischen und sozialen Krise herauszukommen, der nicht auf Kosten der Frauen geht. Das schließt zum Beispiel Quotierung bei Umschulungen ein - hochqualifiziertes weibliches Arbeitsvermögen darf nicht verloren gehen.
Der Frauenverband bezieht, wenn es tun Gleichberechtigung geht, Männer mit ein, bis hin zum Haushaltstag. Ich kann mir schwer vorstellen, dass das für einen Mann ein ausreichender Grund ist, dem Frauenverband bei der Wahl seine Stimme zu geben.
Ich weiß nicht, ob Gleichstellung nicht Grund genug wäre. Ein anderer: Wir wollen eine gute, geordnete Einigung beider deutscher Staaten. Und ich meine, unser Bündnis ist so sozial und ökologisch engagiert, dass dort weitere Gründe liegen. Nicht zuletzt dürfte es einen Mann schon interessieren, ob seine Frau sich wohlfühlt in Beruf und Familie. Er wird es nicht unbedingt positiv spüren, wenn er die Frau an den Herd schickt.
(Das Gespräch führte Karin Großmann.)
aus: Sächsische Zeitung, Nr. 59, 10./11.03.1990, 45. Jahrgang, Tageszeitung für Politik, Wirtschaft und Kultur, Herausgeber: Verlag Sächsische Zeitung