Runder Tisch
15. Sitzung 5. März 1990 |
Information 15/1 zur Vorlage 15/2 |
Der Unabhängige Frauenverband hat ein Papier verfasst, welches den Begründungszusammenhang für die Schaffung staatlicher Instrumentarien zur Förderung der realen Gleichstellung von Frau und Mann in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens umreisst. Diese Ausarbeitung ist der Arbeitsgruppe das Runden Tischen "Gleichstellung von Frauen und Männern" vorgelegt und zur Diskussion gestellt worden. Der folgende Text stellt den Konsens zwischen den Vertreterinnen von DJ, FDGB, Grüne Liga, Grüne Partei, IFM, LDPD, NF, PDS, SPD, UFV, VdgB und VL. dar (CDU, DA und NDPD waren nicht vertreten).
Die Geschlechterfrage und die Voraussetzungen zu Ihrer Lösung in der DDR
Die Geschlechterfrage ist ein zentrales gesellschaftliches Problem und muss im Interesse der Emanzipation aller Menschen gelöst worden.
Das Problem der noch immer ungleichen Stellung von Frau und Mann in unserer Gesellschaft steht als politische Frage auf der Tagesordnung. Eine humanistische, ökologisch verträgliche, sozial progressive und ökonomisch effektive Gesellschaftsentwicklung ist ohne die Lösung der Geschlechterfrage, die in erster Linie eine Frage der Situation von Frauen ist, ausgeschlossen.
Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass Frauen in der DDR gegenwärtig gegenüber dem männlichen Geschlecht generell im Nachteil sind. Dies trifft für den ökonomischen und politischen Bereich ebenso zu wie für die soziale Lage von Frauen, ihre kulturelle und psychosoziale Identität.
Indikatoren hierfür sind:
- In unserer Gesellschaft gibt es nach wie vor eine geschlechtstypische Teilung der Berufsarbeit. Man spricht von "Frauenberufen" und von "Männerberufen".
Die Bereiche und Zweige der Wirtschaft, in denen überwiegend Männer beschäftigt sind, werden gegenüber solchen, in denen vorwiegend Frauen arbeiten (Leichtindustrie, Gesundheits- und Sozialwesen, Dienstleistungssektor) tariflich ungerechtfertigt begünstigt. Männertypische Bereiche werden höher bezahlt als frauentypische. Die unterschiedlichen Tarife stehen in keinem Zusammenhang mit der physischen und psychischen Belastung der Arbeitenden einerseits und ihrer Wertigkeit für die Gesellschaft andererseits. Es gilt der Grundsatz: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, nicht aber: Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit.
Auch innerhalb eines Berufszweiges gibt es eine geschlechtstypische Arbeitsteilung. Frauen obliegen sehr häufig monotone und routinehafte Arbeiten mit geringen Anforderungen an Kreativität und Entscheidungskompetenz. Frauen haben geringere Chancen als Männer, in anspruchsvolle, interessante und gut bezahlte Positionen zu kommen.
- Die Verantwortung für die Hausarbeit, die Erziehung der Kinder und für das Familienklima wird noch immer in erster Linie den Frauen zugeschrieben und von ihnen auch übernommen. Im Zusammenhang mit der in der Regel gegebenen Berufstätigkeit der Frau ergibt sich daraus eine physische und psychische Mehrfachbelastung, die Einschränkungen hinsichtlich den beruflichen Engagements und der Partizipation am gesellschaftlichen Leben zur Folge hat.
- In allen Bereichen der Gesellschaft nimmt mit der Höhe der Hierarchieebene der Frauenanteil drastisch ab - geschuldet der Mehrfachbelastung, einer Erziehung, die nicht frei ist von tradierten Geschlechtsrollenzuweisungen und der ablehnenden Haltung vieler Männer, vor allem in Leitungspositionen.
- Frauen haben sich im Alltagsleben - in der Öffentlichkeit, im Beruf, in der Familie etc. - mit vielfältigen Erscheinungsformen sexistischer Denk- und Verhaltensweisen auseinanderzusetzen. Hierzu zählt die Anmache am Arbeitsplatz, auf der Straße oder in Lokal ebenso wie die in jüngerer Zeit häufiger gewordene kommerzialisierte Zurschaustellung des weiblichen Körpers (z.B. in Form von Miss-Wahlen) und die Gewaltanwendung gegen Frauen und Mädchen.
Die eben benannten Umstände sind nicht auf die spezifischen Eigenschaften von Frauen zurückzuführen, sondern auf die noch immer in unserer Gesellschaft bestehenden patriarchalischen Strukturen und Mechanismen.
Die seit Anfang der 70er Jahre in der DDR betriebene Frauenpolitik hat mit ihrer einseitigen Zuschreibung sozialpolitischer Maßnahmen an die Frau als Mutter zur Verfestigung der Ungleichheit in der sozialen, politischen, kulturellen, strukturellen, ökonomischen und psychosozialen Situation von Frau und Mann beigetragen.
Da die Ungleichheit in der gesellschaftlichen Stellung von Frau und Mann vermittels sich selbst reproduzierender Mechanismen immer wieder neu hergestellt wird, sind grundlegende Änderungen im Selbstlauf nicht möglich. Es ist daher notwendig, ein politisches Instrumentarium zu schaffen, mit Hilfe dessen eine aktive Gleichstellungspolitik betrieben worden kann. In der aktuellen sozialen Situation bedeutet dies, vorrangig die Arbeit- und Lebensbedingungen von Frauen und Mädchen Im Blickfeld zu haben.
Der Unabhängige Frauenverband hält die Einsetzung von Beauftragten für Fragen der Gleichstellung der Geschlechter (im folgenden: Gleichstellungsbeauftragten) und von entsprechenden Kommissionen mit angemessenen Kompetenzen und Befugnissen auf allen Ebenen der Legislative, der Exekutive und der Jurisdiktion für unabdingbar.
1. Legislative
Es ist ein Volkskammerausschuss für Fragen der Gleichstellung der Geschlechter zu bilden. Dieser hat folgende Aufgabengebiete:
- Analyse aller Gesetze, Beschlüsse, Verordnungen, Anordnungen und Durchführungsbestimmungen der Volkskammer bzw. des Ministerrats hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Situation von Frauen
- Wahrnehmung des Einspruchrechts, wenn Gesetze, Beschlüsse, Verordnungen, Anordnungen, Durchführungsbestimmungen und Maßnahmen dem Ziel der Gleichstellung der Geschlechter zuwiderlaufen,
- Erarbeitung von Gesetzesentwürfen, die Fragen der Gleichstellung der Geschlechter betreffen und Maßnahmen beinhalten, die zum Abbau bestehender Ungleichheit in der sozialen, politischen, ökonomischen, strukturellen kulturellen und psychosozialen Situation von Frauen/Mädchen und Männern/Jungen führen. Dies hat in enger Zusammenarbeit mit dem UFV, dem DFD, mit BürgerInneninitiativen, mit den Zentren für Frauenforschung an Universitäten und Hochschulen bzw. der Akademie der Wissenschaften sowie in Auswertung von Eingaben und Hinweisen von Bürgerinnen und Bürgern zu geschehen.
- Kontrolle der Realisierung der zu Gleichstellungsfragen von der Volkskammer und vom Ministerrat gefassten Beschlüsse.
Dem Präsidium der Volkskammer ist eine Gleichstellungsbeauftragte zuzuordnen, die für die umfassende Berücksichtigung der Probleme, die mit der Frage der Gleichstellung der Geschlechter im Zusammenhang stehen, verantwortlich ist und auch über die erforderlichen Befugnisse verfügt.
Der Volkskammerausschuss für Fragen der Gleichstellung der Geschlechter und die Gleichstellungsbeauftragte haben in ihrer Tätigkeit die Belange aller Frauen - auch die von Alleinerziehenden, Asylantinnen, Ausländerinnen, Behinderten, Frauen mit ausländischen Partnern oder Partnerinnen, Jugendlichen, Lesben, Müttern in kinderreichen Familien, Pflegebedürftigen, Rentnerinnen, Strafgefangenen etc. - zu vertreten.
2. Exekutive
Es ist ein Ministerium für Fragen der Gleichstellung der Geschlechter einzurichten. Dieses Ministerium beteiligt sich an der Ausarbeitung der Grundsätze der staatlichen Innen- und Außenpolitik und hat dabei vor allem die Frage der Gleichstellung der Geschlechter zu berücksichtigen. Darüberhinaus hat das Ministerium für Gleichstellungstragen eine koordinierende Funktion hinsichtlich einer aktiven Gleichstellungspolitik wahrzunehmen. Dies bezieht sich insbesondere auf die Zusammenarbeit mit den in jedem Ministerium einzusetzenden Gleichstellungsbeauftragten, die ihrerseits die Tätigkeit des jeweiligen Ministeriums hinsichtlich der Frage der Gleichstellung der Geschlechter zu kontrollieren und dem Ministerium für Gleichstellungsfragen zuzuarbeiten haben. Sollten Gesetze, Verordnungen, Anordnungen, Durchführungsbestimmungen und Maßnahmen dem Ziel der Gleichstellung der Geschlechter zuwiderlaufen, hat das Ministerium für Gleichstellungsfragen den Einspruchsrecht mit sofortiger Wirkung geltendzumachen.
Die Aufgaben- und Tätigkeitsbereiche, die dem Ministerium für Gleichstellungsfragen obliegen, machen es erforderlich, dem Ministerium einen entsprechenden Etat zuzuordnen.
Weiterhin hat das Ministerium für Gleichstellungsfragen angesichts der weitverbreiteten Unkenntnis und Ignoranz gegenüber der Problematik der Geschlechterfrage eine Aufklärungsfunktion in Form wirksamer Öffentlichkeitsarbeit wahrzunehmen.
3. Jurisdiktion
Die Frage der Gleichstellung der Geschlechter und die Schaffung von Instrumentarien, die eine aktive Gleichstellungspolitik ermöglichen, ist sowohl in der Verfassung der DDR als auch in anderen Gesetzen, insbesondere in denen, die Vertretungskörperschaften auf kommunaler und betrieblicher Ebene betreffen, zu verankern.
Eine besondere Bedeutung im Zusammenhang mit einer bewussten und aktiven Gleichstellungspolitik hat die Erarbeitung eines Gleichstellungsgesetzes. Ein solchen Gesetz umfasst im Grundsatz folgende Punkte:
- Sicherung des gleichwahrscheinlichen Zugangs von Frauen/Mädchen und Männern/Jungen zu Ausbildungs- und Arbeitsplätzen
- Abbau geschlechtstypischer Erziehungsmuster, die zu persönlichkeitseinengenden geschlechtsstereotypen Denk- und Verhaltensweisen führen
- Sicherung gleicher Rechte und Pflichten von Männern und Frauen bei der Erziehung und Betreuung ihrer Kinder
- Schutz von Frauen gegen gewalttätige Übergriffe von Männern, einschließlich der Ehemänner
- Verbot sexistischer Darstellungen in den Medien
- Regelungen, die eine paritätische Verteilung von Ämtern, Mandaten und Leitungsfunktionen unter Frauen und Männern zwingend vorschreiben, wofür geeignete Quotierungsmodelle zu erarbeiten sind.
In der Arbeitsgruppe des Runden Tisches "Fragen der Gleichstellung der Geschlechter" bestand Konsens darin, dass das Problem der Verwirklichung der Gleichstellung der Geschlechter einem gesonderten und speziell hierfür geschaffenen Gremium in Gestalt eines Volkskammerausschusses für Gleichstellungsfragen und eines Ministeriums für Gleichstellungsfragen zuzuordnen ist. Dies bedeutet zugleich, die "Frauenfrage" aus dem Kompetenzbereich des Ministeriums für Gesundheit und Soziales herauszulösen.
Der Unabhängige Frauenverband fordert, bei der Einrichtung des Ministeriums für Gleichstellungsfragen als gleichberechtigter und kompetenter Partner der Regierung in angemessener Weise beteiligt zu werden.
UFV