Pornographie in der DDR

Der Frauenverband erstattete Anzeige

die andere: Welche Aufgaben hast du hier im Unabhängigen Frauenverband?

Ev Labsch: Ich bearbeite die Finanzen des Berliner Büros und bin mit zuständig für die Koordinierung der Arbeit im Berliner Raum.

die andere: In Berlin gibt es inzwischen mehrere Videotheken, in denen nicht nur Trickfilme angeboten werden. Es wurde bekannt, dass auch Pornos dabei sind. Frauen des Verbandes wollen dagegen vorgehen?

Ev Labsch: Wir wollen nicht nur, wir sind bereits dagegen vorgegangen. Wir haben eine Anzeige beim Generalstaatsanwalt eingereicht, eine Anzeige gegen konkrete Videotheken, z. B. in der Prenzlauer Allee, in der Wilhelm-Pieck-Straße und in der Pasteurstraße in Berlin. Wir hatten diese Videotheken aufgesucht und festgestellt, dass Pornographie angeboten wird, und zwar Soft-Pornos und Gewalt-Pornos. Sie werden zwar nicht an Kinder und Jugendliche abgegeben - jedenfalls konnten wir nichts anderes feststellen, aber das ändert nichts am Grundproblem.

In einer Videothek haben wir sogar erfahren, dass das Zeug legal durch den Zoll gegangen und vom Rat des Stadtbezirks genehmigt worden sein soll.

die andere: Das heißt, diese Kassetten wurden unter Kenntnis der Inhalte genehmigt?

Ev Labsch: Hier sind wir noch am Nachforschen. Sollte sich das als Tatsache herausstellen, wird es weitere Anzeigen geben.

die andere: Was sind Soft- und Gewaltpornos?

Ev Labsch: Bei pornographischen Artikeln muss unterschieden werden zwischen den Formen der Darstellung, der Vermarktung des menschlichen Körpers. Und da gibt es eben Darstellungen, die ihren Effekt durch die Anwendung von Gewaltmitteln erreichen, wie Peitsche oder Messer. Die anderen Pornos gehen auch ohne Achtung mit dem weiblichen Körper um.

die andere: Stört euch die Darstellung des nackten Körpers beim Geschlechtsverkehr?

Ev Labsch: Nein, das ist ja noch keine Pornographie. Die Frage dabei ist, in welcher Art das passiert. Ob der Mensch dabei als Mensch eine Rolle spielt, ob die Beteiligten gleichwertige Partner sind. Es kann sich ja durchaus um eine ganz warme, menschliche Beziehung handeln. Und Sexualität sollte ja etwas Normales, Schönes sein.

die andere: Das heißt also nicht, dass der Frauenverband der DDR unter der Fahne der Prüderie gegen Pornos vorgeht?

Ev Labsch: Erotische Erlebnisse im Film oder im Fernsehen, das ist nicht die Frage. Wir wenden uns gegen die Darstellung der Frau als Bedienstete des Mannes, als Gegenstand, der zu seiner Befriedigung da ist.

die andere: Aber das Bedürfnis nach Pornos scheint doch groß zu sein?

Ev Labsch: Das hängt mit der Tabuisierung des Sexuallebens zusammen, über die biologischen Vorgänge und Verhütungsmöglichkeiten wird zwar gesprochen, aber über Sexualpraktiken, persönliche Erfahrungen, was wem gefällt, herrscht Schweigen. Wir haben einfach keine Sexualkultur. Deshalb versuchen die Leute, durch die Pornos Neues zu erfahren.

die andere: Wie sieht es mit der Eröffnung von Videotheken in anderen Städten aus?

Ev Labsch: Das weiß ich nicht konkret. In Schwerin soll es eine fahrende Peep-Show geben. Autos stellen sich auf den Markt und gegen Geld darf dann wahrscheinlich entweder ins Auto gestiegen oder von außen durch eine Art Schlüsselloch gesehen werden. Aber klar ist, dass wir ganz schnell zu wirksamen Formen finden müssen, um uns gegen die voranschreitende Vermarktung des weiblichen Körpers, nicht nur durch Pornos zu wehren.

die andere: Gab es schon eine Reaktion der Generalstaatsanwaltschaft?

Ev Labsch: Wir haben die Anzeige erst vor ein paar Tagen erstattet.

die andere: Was hofft ihr, mit dieser Anzeige erreichen zu können?

Ev Labsch: Dass die Menschen begreifen, dass Marktwirtschaft auch solche Dinge mit sich bringt. In der westlichen Welt ist es ja ganz normal, so etwas im öffentlichen Angebot zu finden. Die Auseinandersetzung damit wurde hier noch nicht einmal begonnen. Wir wollen das Problem überhaupt in das Bewusstsein bringen.

die andere: Vielen Dank für die Auskünfte.

Das Gespräch führte Tina Krone

die andere, Nr. 18, Mi. 23.05.1990