Unabhängiger Frauenverband zur sozialen Lage der Frauen:
Keine weiteren Belastungen durch unbedachte Reformen
Kürzlich hat sich der unabhängige Frauenverband formiert - eine "Blaustrumpf"-Truppe, die lebensfremde Frauentümelei betreibt? Wir meinen, ihre Überlegungen zur Lage der Frauen in unserem Land sind real und stimmen außerdem weitgehend mit Gedanken zur Erneuerung gewerkschaftlicher Interessenvertretung überein. Fragen an Ina Merkel, Sprecherin des unabhängigen Frauenverbandes.
Was ist aus aktueller Sieht für die Frauen zu tun?
Im gegenwärtigen gesellschaftlichen Umbruch spielen die Interessen der Frauen bislang eine untergeordnete Rolle. Es existiert weder ein öffentliches Bewusstsein noch eine angemessene politische Interessenvertretung der Frauen. Wir beobachten mit Sorge, dass sich in unserem Land ein politisches Machtvakuum auftut und befürchten, dass in dieser Situation kurzfristig Entscheidungen getroffen werden könnten, die eine Verschlechterung der sozialen Lage von Frauen bewirken. Wir fürchten, werktätige Frauen könnten die ersten sein, die von einer bevorstehenden Verwaltungsreform, von anstehenden Rationalisierungsmaßnahmen betroffen sein werden. Aber auch unbedachte schnelle Entscheidungen über die Streichung von Subventionen oder überhaupt Veränderungen im Lohn-Preis-Gefüge könnten nicht wiedergutzumachenden Schäden anrichten. Die Interessenvertretungen werktätiger Frauen wie die Frauenkommissionen der Gewerkschaften, aber auch der DFD machen sich unserer Meinung nach nicht stark genug.
Wie sehen Sie die Lage der werktätigen Frauen in der DDR?
Die Frauen stellen mit 49,8 Prozent der Berufstätigen zwar die Hälfte aller Werktätigen in der gesellschaftlichen Produktion, sie sind jedoch in allen Entscheidungsgremien von Wirtschaft und Politik nicht entsprechend vertreten. Hinzu kommt, dass im gesamt gesellschaftlichen Maßstab Frauen im Durchschnitt ein Drittel weniger verdienen als Männer. Wir empfinden es als zutiefst ungerecht, dass beispielsweise eine Krankenschwester weniger Geld bekommt als ein Kraftfahrer. Das ist mit dem Leistungsprinzip nicht zu begründen, eher, dass weibliche Arbeit unterbewertet wird. Diese ungerechte Verteilung des Einkommens führt dazu, dass zuallererst Frauen zu Hause bleiben, wenn das Kind krank ist. Der "Störfall" Frau wird ungern eingestellt, Frauen werden oftmals unter ihrer Qualifikation beschäftigt. Besonders alleinerziehende Mütter und altere Frauen sind sozial benachteiligt, ihr Lebensstandard liegt weit unter dem Durchschnittsniveau.
Welche Forderungen stellen Sie? Wer kann bei Ihnen mitmachen?
Wir streben eine angemessene Vertretung der Frauen in allen politischen Organisationen und im Parlament an, auch über Quotierungsregeln; eine Reform des Lohn-Preis-Gefüges, eine Rentenreform, die Verkürzung der Arbeitszeit für beide Geschlechter und die Umverteilung sachbezogener Subventionen auf das Kindergeld. Wir wollen auf die Wirtschafts- und Sozialpolitik eines modernen Sozialismus auf deutschem Boden verstärkt Einfluss gewinnen und verstehen uns als eine politische Sammlungsbewegung, die allen Frauen offen steht.
Gerlinde Erxleben
Tribüne, Di. 12.12.1989