Der Versuch, die Ausgrenzung von Frauen zu beenden
Tatjana Böhm, Soziologin und Mitarchitektin des Entwurfs, über die Verankerung von Frauenrechten in einer künftigen Verfassung
taz: Was würden die Mütter des Grundgesetzes zu diesem Verfassungsentwurf sagen? Wären Sie zufrieden? Ist hier eine zeitgemäße Formulierung von Frauenrechten gelungen?
Tatjana Böhm: Es ist aus strikt feministischer Sicht sicherlich keine optimale Verfassung. Aber die Mütter des Grundgesetzes wären trotzdem nicht unzufrieden. Denn der Entwurf versucht als Ganzes, schon allein durch seine Sprache, die Ausgrenzung von Frauen aus politischen und juristischen Kontexten zu beenden. Frauen verschwinden nicht mehr hinter dem Begriff Jedermann, der Bürger vereinnahmt nicht länger die Bürgerin. Entweder sind die Formulierungen geschlechtsneutral, oder sie nennen Frauen und Männer. Die Bundeskanzlerin haben wir ausdrücklich schon mal vorgesehen.
Wo sind Rechte für Frauen neu verankert worden?
Das ist vor allem der Artikel 3. Dort wurde nicht nur das Diskriminierungsverbot präzisiert, sondern, da die Geschichte gezeigt hat, dass dies nicht ausreicht, vor allem das Gleichstellungsgebot ausgeweitet. Der Staat wird jetzt ausdrücklich verpflichtet, die gleichberechtigte Teilhabe der Geschlechter in allen gesellschaftlichen Bereichen herzustellen und zu sichern. Schließlich lässt der Entwurf bei Maßnahmen zur Frauenförderung die Bevorzugung wegen des Geschlechts ausdrücklich zu. Damit werden Möglichkeiten aktiver Gleichstellungspolitik eröffnet.
Das heißt, dass es keine Auseinandersetzung mehr darüber geben könnte, ob ein Mittel wie Quotierung mit der Verfassung zu vereinbaren ist oder nicht?
Wobei das Mittel der Quotierung selbst meiner Meinung nach nicht in die Verfassung gehört. Mit unserer Formulierung werden Quoten auf der Ebene von Einzelgesetzen möglich gemacht. Doch unsere Formulierung geht darüber hinaus, denn sie fordert, ja sie verlangt Frauenförderung. Quoten sind dabei nur ein Aspekt.
Es gab aber auch Abstriche. Vor allem bei der Neuformulierung des Artikel 6 Grundgesetz, der Ehe und Familie unter den besonderen Schutz des Staates gestellt. Die Frauen hatten gefordert, Lebensgemeinschaften mit Kindern oder Pflegebedürftigen besonders zu unterstützen. Im Verfassungsentwurf heißt es jetzt doch: Die Familie steht unter besonderem Schutz der staatlichen Ordnung.
Das ist in der letzten Sitzung, bei der ich nicht dabei war, aufgenommen worden, und ich bin darüber nicht gerade glücklich. Hier in Frankfurt ist das auch von der Frauenarbeitsgruppe, die über den Entwurf diskutiert hat, ausdrücklich kritisiert worden. Denn der Begriff der Familie assoziiert den Zusammenhang zur Institution der Ehe. Es wird nicht deutlich genug, dass es um einen sozialen Begriff von Familie geht, um das Zusammenleben von Erwachsenen mit Kindern oder Pflegebedürftigen.
Wird das noch einmal verändert werden?
Ich denke doch. Wobei es sicherlich weiterhin heftige Diskussionen über die Begriffe Lebensgemeinschaft oder Familie geben wird. Einigkeit besteht jedoch darüber, dass die rechtliche Institution der Ehe keines besonderen Schutzes bedarf und auch nicht das Zusammenleben von erwachsenen Menschen, egal ob Frau und Mann oder Frau und Frau oder wie auch immer.
Streitpunkt ist auch der Schwangerschaftsabbruch. Es heißt jetzt: Jede Frau hat das Recht, eine Schwangerschaft auszutragen oder nicht. Dieses Recht darf nicht beschränkt werden. Dissens bestand in der Redaktionsgruppe, ob es heißen soll: Dieses Recht darf nicht bis zum dritten Monat eingeschränkt werden.
Redaktionsgruppe und Arbeitsausschuss waren sich einig darüber, dass Schwangerschaftsabbrüche nicht strafrechtlich verfolgt werden sollen. Es gab jedoch keine Einigkeit darüber, ob Beschränkungen nach dem dritten Monat zulässig sind, zum Beispiel eine obligatorische Beratung.
Wie wird die Diskussion hier weitergehen?
Sicher wird die Diskussion hier weitergehen, so wie ja in der gesamten Gesellschaft zur Zeit diskutiert wird. Im Kuratorium hatten wir uns darauf geeinigt, dass wir in bestimmten Fällen den Dissens auch offenlegen. Ich halte das für ein sehr demokratisches Verfahren.
Der Entwurf hat politisch keine Chancen, realisiert zu werden. Was hat diese Verfassungsdiskussion der Frauenbewegung überhaupt eingebracht?
Er hat auf parlamentarischer Ebene keine Chance, realisiert zu werden. Aber den Zusammenhang Verfassung und Frauenrechte zu diskutieren, diesen Prozess der Auseinandersetzung und Diskussion halte ich für wichtig. Die Frauenbewegung zerfällt in sehr unterschiedliche Zusammenhänge, und ich sehe gerade in dieser Verfassungsdiskussion die Chance, hier wieder mehr zusammenzuführen und wieder mehr miteinander zu reden.
Ist das denn geglückt? Blieb die Diskussion nicht doch auf wenige Frauen in Frankfurt und Berlin beschränkt?
Das ist immer die Frage bei Verfassungsdiskussionen. Verfassungen stehen oftmals am Ende von geglückten Revolutionen, und ich würde sagen, in der ehemaligen DDR war die Verfassungsdiskussion des Runden Tisches auch so ein Endpunkt. Da gab es eine kurze Zeit, ein paar Wochen, wo nicht nur Eliten, sondern ganz normale Frauen darüber diskutiert haben. Das ist ein Problem, aber es ist natürlich auch immer wieder unsere Aufgabe, Verfassungsdiskussionen mit den Alltagsfragen zu verknüpfen. Wobei ich in den letzten Monaten erlebt habe, dass sich doch viele Frauen dafür interessieren. Denken Sie nur an den Kongress im vergangenen Jahr, auch hier in der Paulskirche.
Der Entwurf ist weitgehend abgeschlossen. Welche Perspektiven hat das Ganze?
Der Entwurf wird anhand der Ergebnisse der Redaktionskommission verändert. Es geht ja nicht nur darum, Verfassungen einfach anzunehmen. Dieser Prozess, dass ein Volk darüber diskutiert, wie es verfasst ist, das ist für mich etwas ganz Wichtiges.
Interview: Helga Lukoschat
die tageszeitung, 17.06.1991