Wenn Frauen aus der Rolle fallen. . .
. . .und einen Unabhängigen Verband bilden / In der Berliner Volksbühne diskutierte man heiß
Viele wichtige und richtige Worte gab es. Eines hieß: Die Frauenfrage darf keine Randfrage mehr sein. In diesem Sinne stellen wir diese Gedanken nach dem Frauentreff am vergangenen Wochenende in der Berliner Volksbühne auf diese Seite. Die Aktion verschiedener Fraueninitiativen und das unkonventionell Handeln der Theaterleute, die ihr Haus öffneten, brachte zustande, was kaum jemand vermutet hätte: ein übervolles Haus, heiße Diskussionen und - die Gründung eines Unabhängigen Frauenverbandes.
Wer wusste schon, dass eine derartige Vielfalt an Gruppen existiert? Sozialistische Fraueninitiative SOFI, lila Offensive, Frauenzentren, Fraueninitiative Fennpfuhl, 1. Weiblicher Aufbruch EWA, Frauengruppe der Evangelischen Adventgemeinde, Klub der Widerspenstigen, Frauengruppe der SED, DFD (alle Berlin), Freie Frauenassoziation Weimar, Frauenklub Cottbus, Rosalinde aus Leipzig... Sie gaben sich zu erkennen als Mitglieder des Neuen Forums, des Freidenkerverbandes, als Parteilose und Christinnen oder Frauen, die sich für Lesbinnen und Schwule einsetzen. Von den etablierten Parteien hörte man einzig die DBD und die SED. Berührungsängste gab es nicht, die Diskussion war offen, munter, frisch, phantasievoll, witzig, polemisch, klug, sachbezogen, wenig feministisch. Sollte die oft noch angezweifelte Solidarität unter Frauen doch schon funktionieren? Die im Saal anwesenden Männer fühlten sich durch die weibliche Übermacht nicht erdrückt, meldeten sich ebenfalls zu Wort. Waren das die neuen Männer, die sich die andere Hälfte der Gesellschaft für ihre neue Frauenpolitik wünscht?
Kluges zu dieser Frauenpolitik war bereits vorgedacht. (Wie lange wohl liegt es schon in Schubladen?) Die Schauspielerin Walfriede Schmitt verlas ein Positionspapier von Ina Merkel von der Sektion Kulturwissenschaft und Ästhetik der Humboldt-Universität Berlin. Zugegeben, es ist lang, doch nicht langweilig. Präzise beschreibt es die Lage in unserem Lande, analysiert die Probleme von Frauen, zeigt Ansätze für Veränderungen. Es bildete dann auch die Grundlage für den Forderungskatalog, mit dem der Koordinierungsausschuss des Unabhängigen Frauenverbandes an den Runden Tisch gehen will. Nur einige Punkte daraus: Zugang zu allen Materialien über Frauenforschung, Offenlegung der gesellschaftlichen Konzeption der Regierung zu Frauenfragen, Einrichtung eines Frauenförderungsfonds, Medienöffnung, Bildung von Frauenausschüssen in allen Volksvertretungen, Beachtung der Belange von Frauen (insbesondere Alleinerziehender und Rentnerinnen) bei der Veränderung von Preisen und Subventionen, besonderer Schutz des Rechts auf Arbeit von Frauen bei der bevorstehenden Wirtschafts- und Verwaltungsreform, Schaffung von Beratungs- und Frauenzentren.
Wer sich nicht wehrt, kommt an den Herd, hieß das witzige Motto der Veranstaltung. Eine andere ironische Sentenz: Es gibt nur zwei Wahrheiten auf der Welt - 1. Die Männer sind klüger als die Frauen und 2. Die Erde ist eine Scheibe. Die DDR ist eine männerorientierte Gesellschaft, ihre Strukturen sind patriarchalisch. Solche Feststellungen riechen nach Emanze, doch eben nur für den Teil der Gesellschaft, der nach wie vor allein mit sich in den Chefetagen von Wirtschaft und Politik sitzt. Und es dabei belassen will.
Die Quotenregelung - wenn auch umstritten - wird sich als Zwang zur sozialen Gleichstellung der Frau nicht länger aufschieben lassen. Zumindest in dieser Hinsicht hat die Regierung Modrow einen akzeptablen Vorlauf geschaffen. Was unsere eigene Partei betrifft, gibt es in den eben veröffentlichten neuen "Leitsätzen liberal-demokratischer Politik heute" erstmals Denkansätze zur Frauenpolitik. Sie rangieren jedoch immer noch unter dem Stichwort Sozialpolitik, erinnern damit fatal an die "Geschenke" zur besseren Vereinbarkeit zwischen Mutterschaft und Berufstätigkeit. Es geht um mehr.
Gabriele Voigt
Der Morgen, Zentralorgan der LDPD, Do. 07.12.1989