Forderungskatalog der Mitarbeiter der städtischen Theater und des Puppentheaters
Die Mitarbeiter der Städtischen Theater und des Puppentheaters Karl-Marx-Stadt fordern:
1. Öffentliche tabufreie Analyse aller gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Entwicklungen der letzten 40 Jahre, z.B.
- zu Formen und Folgen des Stalinismus in Partei und Staat,
- zur Effektivität sozialistischer Planwirtschaft,
- zu soziologisch-kulturellen Verhältnissen,
- zu erstarrten Formen von Ausbildung und Erziehung.
2. Sofortige Neuwahlen zur Volkskammer nach Auflösung der Nationalen Front und Zulassung aller basisdemokratischen Gruppierungen (u.a. des Neuen Forums) bei resoluter Abgrenzung von neofaschistischen Tendenzen mit dem Ziel einer Wahlrechts-, Verfassungs- und Strafrechtsreform.
3. Des weiteren fordern wir:
- unabhängige und eigenverantwortliche Arbeit von Presse, Rundfunk und Fernsehen,
- Reisefreiheit für alle Bürger,
- Abschaffung der Zensur für alle öffentlichen Bereiche,
- Wahrnehmung der öffentlichen Rechenschaftspflicht aller staatlichen Institutionen,
- Amnestie für alle politischen Gefangenen,
- die sofortige Auflösung der Kampfgruppen, die Entmilitarisierung der GST und die Abschaffung des sozialistischen Wehrerziehungsunterrichts,
- Abschaffung der Militärgerichtsbarkeit außerhalb des Kriegszustandes,
- sofortige Information über Aufgaben und Personalstand des Ministeriums für Staatssicherheit,
- einen zivilen Wehrersatzdienst,
- die sofortige Veröffentlichung aller Umweltdaten als Grundlage für eine neue Ökologiepolitik,
- dass sich Generalsekretär Egon Krenz von seinen Äußerungen und Haltungen zu den Juni-Ereignissen in China distanziert.
4. Sofortige Freilassung und Rehabilitierung aller Angehörigen bewaffneter Organe, die sich weigerten, während der Oktober-Ereignisse gegen die Zivilbevölkerung vorzugehen.
Öffentliche Klärung der skandalösen Übergriffe während Demonstrationen und in den Haftanstalten. Strafrechtliche Verfolgung und Verurteilung aller für diese Vorgänge Verantwortlichen und daran Beteiligten.
Karl-Marx-Stadt. 23. Okt. 1989
Angenommen von 421 Kollegen.
aus: Freie Presse, Nr. 263, 08.11.1989, 27. Jahrgang, Organ der Bezirksleitung Karl-Marx-Stadt der SED