Ausländerbüro als Feuerwehr und Rettungsleine
Interview mit Jo Sander, Mitarbeiter im Staatssekretariat für Ausländerfragen / Staatsbürgerschaft, Asylrecht und Arbeitsverträge vorrangige Probleme
Seit dem 1. März ist Almuth Berger Ausländerbeauftragte beim Ministerrat der DDR. Ihr untersteht ein Staatssekretariat, dem bisher drei Stellen bewilligt wurden. Zum Vergleich: allein die Westberliner Ausländerbeauftragte Barbara John kann sich auf 15 MitarbeiterInnen stützen.
Hauptanliegen sind für Almuth Berger und ihre Mitarbeiter die Frage der doppelten Staatsbürgerschaft, die Frage des Asylrechts und der Individualisierung der Arbeitsverträge, die bisher in den Regierungsabkommen der DDR mit Vietnam, Mocambique, Angola, Kuba und Polen eingebunden waren.
taz: Nach welchen Grundsätzen arbeiten Sie?
Jo Sander: Die Grundsätze sind Ergebnis des Runden Tisches. Sie beziehen sich hauptsächlich auf die Fragen der Staatsbürgerschaft. Ausländische Bürger sollen die Staatsbürgerschaft der DDR annehmen können, ohne dass sie ihre eigene ablegen müssen.
Dann müsste die Asylfrage noch erweitert werden. Die DDR hat nach Angaben des Innenministeriums in 40 Jahren 450 Asylanträge positiv bearbeitet.
Eine weitere wesentliche Frage ist, wie die ausländischen Werktätigen in der DDR eine ständigen Wohnsitz erhalten und wie sie sich aus den Regierungsabkommen herauslösen können. Der Runde Tisch sagte, das müsste über eine Individualisierung der Arbeitsverträge passieren, worüber die Ausländer unabhängig von der Erlaubnis der Botschaft ihres Landes und des Ministeriums für Arbeit und Löhne entscheiden sollten.
Wenn es Ausländerfeindlichkeit in der DDR gibt, wie bekommen Sie das zu spüren?
Also von ausländerfeindlichen Ansätzen hören wir, aber das sind nicht die wesentlichen Probleme, mit denen wir uns zur Zeit beschäftigen. Die Anrufe beziehen sich meistens auf die konkreten Lebenssituationen, wo Ausländer hier heiraten wollen oder geheiratet haben, wo die Abkommen und Verträge auslaufen oder vorzeitig beendet werden sollen. Oder wenn sich Betriebe an uns wenden und sagen, sie können ihre ausländischen Arbeiter nicht mehr beschäftigen oder sogar DDR-Bürger sagen, wir lassen uns nicht kündigen, solange noch ein Ausländer hier arbeitet.
Wie soll die Behörde strukturiert werden? Gibt es eventuell Büros auf bezirklicher oder kommunaler Ebene?
Der Runde Tisch von Berlin will eine(n) Ausländerbeauftragten einsetzen, zentral für Berlin und auch in einzelnen Stadtbezirken, wo besonders viele Ausländer leben. Das Problem ist, dass wir keine Mittel zur Verfügung haben und im Moment keinen Ansprechpartner hatten, dem wir dieses als Bitte oder Forderung vortragen konnten. Zur Zeit ist das so, dass wir oftmals als Feuerwehr fungieren und mit unseren wenigen Mitarbeitern völlig überlastet sind. Es kommen täglich ungefähr 80 Anrufe und Besuche. Das zu koordinieren, ist bis jetzt noch möglich, aber es bleibt keine Zeit für strukturelle Arbeit.
Welche Rechtslage ergibt sich für die DDR in Bezug auf die Arbeitsabkommen?
Im Grunde können die ausländischen Werktätigen nicht entlassen werden. Einzelne Betriebe unternehmen jetzt Schritte, die auch innerhalb der Abkommen für möglich gehalten oder erklärt werden. Zum Beispiel Überleitungsverträge. Aber im Moment ist es so, dass es sehr wenig andere Betriebe gibt, die bereit sind, ausländische Werktätige zu nehmen, wahrscheinlich genauso wenig wie DDR-Werktätige, weil die ökonomische Situation schwierig ist.
Wie reagieren Sie auf Betriebe, die trotz dieser Rechtssicherheit ausländische Arbeiter entlassen?
Da muss ich sagen, das liegt nicht in unserer Kompetenz, dafür ist das Ministerium für Arbeit und Löhne zuständig. Soweit ich das einschätzen kann, reagiert das Ministerium sehr schnell und sehr direkt. Sie fahren in die Betriebe und wir sind einige Male mitgefahren. Meistens kündigen die Betriebe an, dass sie die Verträge aufkündigen wollen, und dann muss verhandelt werden.
Das heißt, es gibt bisher keine ausländischen Arbeiter, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind?
Mir ist da nichts bekannt. Ich weiß nur, dass Betriebe wünschen, dass ausländische Arbeiter aufhören, und ihnen anbieten, sofort einen Rückflug zu organisieren. Das geht nicht an dem Minister für Arbeit und Löhne vorbei, und es muss die Zustimmung der ausländischen Vertretung eingeholt werden.
Sind Sie sicher, dass Sie über alle Fälle, in denen die Betriebe eigenmächtig handeln, informiert sind?
Da bin ich mir nicht sicher. Ich denke, dass das Ministerium für Arbeit und Löhne Informationen bekommt, aber ob direkt in dem Moment, wo's brennt, das kann ich nicht einschätzen.
Welche Empfehlungen gibt Ihr Amt ausländischen Arbeitern, die betroffen sind?
Den ausländischen Arbeitern, die unruhig sind, wo es Gerüchte oder Unklarheiten im Betrieb gibt, kann ich empfehlen, mit ihren Betreuern zu reden oder sich an die Gewerkschaften zu wenden.
Für sehr akute Fälle, wo die Kündigung schon ausgesprochen ist, haben Ausländer das Recht, einen Anwalt zu nehmen und den Betrieb zu verklagen. In solchen Fällen würde ich unbedingt darum bitten, das Ministerium für Arbeit und Löhne und unser Staatssekretariat zu informieren. Die Beratergruppe unseres Staatssekretariats ist bereit, Rechtshilfe zu geben.
Interview: Jana Middendorf
aus: TAZ Ost, 19.04.1990