Leipziger  Postulate

Leipzig, am 17. November 1989 [im Original 17. Oktober]

I. Demokratie und politisches System

"Redet nicht von unserem Volk; das gehört uns nicht. Das Volk gehört sich selber, und wenn wir Glück haben, nehmen sie uns an."

Wir erleben, dass die derzeit bestehenden Volksvertretungen nicht das Vertrauen ihrer Wähler haben. Die vor uns stehenden gewichtigen mittel- und langfristigen Entscheidungen können nur von neu gewählten Volksvertretern - nach ausführlicher Diskussion mit den betroffenen Menschen - verantwortet werden.

Die Forderung nach neuen Wahlen stellt uns zuerst vor die Aufgabe, die Verfassung unseres Landes zu reinigen und zu ergänzen (§ 1; Zusatz über die Verfassungspflicht zur ökologischen Verantwortung u.a.).

Die neuzuschaffenden oder zu veränderten Gesetze (Mediengesetz, Parteiengesetz, Wahlgesetz u. a.) müssen zwei Grundbedingungen erfüllen: Sie müssen die demokratische und entscheidende Mitarbeit aller interessierten Menschen ermöglichen und jederzeit die öffentliche Kontrolle der verliehenen Macht erlauben.

Die Verwaltungsreform als Teil der Erneuerung von unten mit dem möglichen Ziel, die bis 1952 bestehende Gliederung unseres Landes in Länder (Anhalt, Brandenburg, Mecklenburg, Sachsen, Thüringen) wiederherstellen hat zwei Aufgaben zu leisten: Sie hat die Dezentralisierung von Entscheidungen zu fördern, die dort getroffen werden müssen, wo die Menschen damit leben. Und sie muss eine radikale Entbürokratisierung aller Strukturen und Institutionen des politischen Systems durchsetzen.

Die Einheit der individuellen und sozialen Menschenrechte ist neu zu bestimmen und Vorstellungen über sozialistische Menschenrechte (neben der neu gewonnen Reisefreiheit, die unbedingt die materielle Absicherung braucht, auch ein Widerstandsrecht der Bürger; die Kundgebungsdemokratie "Wir sind das Volk!" brauchen wir wie die Luft zum Atmen.) sind zu entwickeln und zu realisieren.

Die weißen Flecken in der Geschichte der DDR vom 9. Mai 1945 an bis zum heutigen Tag müssen ausgefüllt werden. Nur eine ehrliche, tabufreie Aufarbeitung unserer Vergangenheit - beginnend mit der Geschichte der SED - kann die Ursachen der heutigen Krise aufdecken und neue Fehler vermeiden helfen.

Wir gehen zu auf eine Demokratische Republik Deutschland als unser neues Deutschland.

II. Ökonomie und ...

"für uns ist die sozialistische Gesellschaft der Zukunft eine Gesellschaft der freien Konkurrenz der besten Ideen für die Ausgestaltung dieser Gesellschaft."

Wir fordern und realisieren die schrittweise Veränderung der ökonomischen Grundstruktur des Bezirkes Leipzig. Um die Dominanz der verarbeitenden Industrie zu sichern, wird die Veredelungschemie zulasten der Schwerchemie entwickelt.

Die Dezentralisierung von Planung und Leitung gibt dem Bezirk und der Stadt die Möglichkeit für eine angemessene eigene Wirtschaftspolitik für unser Land.

Zwei Voraussetzungen für diese Entwicklung sind zu sichern: Leitungsfunktionen müssen allen nach Kompetenz besetzt werden, wofür die Trennung von aller Parteien vom Staat und von der Wirtschaftsleitung grundlegend ist.

Über halbjährliche Rechenschaftslegung über den Staatshaushalt und die Devisenwirtschaft ist der Spielraum für politisch-wirtschaftliche Entscheidungen klarzustellen.

Durch die Auswirkungen der Verwaltungsreform wird die Entbürokratisierung auch im Wirtschaftsbereich gefördert.

Schnell in Angriff zu nehmen sind die Einrichtung von Innovationsbüros auf der Grundlage privater Initiativen, die effektive Förderung von Handwerkern ebenso wie eine bedarfsgerechte Entwicklung der Dienstleistungsbetriebe (Hotels und Gaststätten nicht zu vergessen).

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