"...enorm viel Verständnis auch für die Deutschen"
Interview mit der neuen Ostberliner Ausländerbeauftragten Anetta Kahane / Ihre Zielrichtung: "Inländer müssen begleitet werden, weil sie keine Erfahrung haben, was es heißt, mit Ausländern zusammenzuleben" / Schlechte Startbedingungen
Ost-Berlin. Zum Einstand gab es nichts zu feiern, aber jede Menge Ärger: seit Dienstag hat Ost-Berlin eine Ausländerbeauftragte. Anetta Kahane, Mitglied des Neuen Forums, wechselt aus dem Büro der Ausländerbeauftragten der DDR auf die kommunale Bühne. Die allerdings erwies sich gleich zu Beginn als tückisch. Statt der benötigten - und vom Runden Tisch beschlossenen - sechs bis acht MitarbeiterInnen stehen Kahane vorerst nur eine/r und eine Sekretärin zur Verfügung.
Die vom Magistrat zugewiesenen zwei Arbeitszimmer befinden sich in einem Haus im Scheunenviertel, in dem neben dem Standesamt auch die für AusländerInnen zuständige Abteilung der Innenverwaltung untergebracht werden soll - eine räumliche Nähe, die Anetta Kahane unbedingt vermeiden möchte. Ihrer Forderung, dass in einem Büro der Ausländerbeauftragten auch AusländerInnen arbeiten sollen, mochte der Magistrat bisher nicht folgen. Ein vietnamesischer Jurist, den Anetta Kahane als Mitarbeiter einstellen möchte, wurde vorerst mit der Begründung abgewiesen, Ausländer dürften nicht im Staatsapparat arbeiten. Eine endgültige Entscheidung steht noch aus. Das Arbeitsgebiet der neuen Ausländerbeauftragten ist angesichts der massiven Ausländerfeindlichkeit in Ost-Berlin immens.
Noch fehlt das in West-Berlin vorhandene Netz von Flüchtlings- und ImmigrantInnengruppen, sozialen und juristischen Beratungsstellen. Auch die Kooperation zwischen Ost- und Westteil der Stadt steckt immer noch in den Kinderschuhen. Auf offizieller Ebene ist man dafür um so aktiver. Zwischen Innenverwaltung (West), Ausländerbehörde (West) und Abteilung Inneres im Magistrat findet nach Auskunft der neuen Berliner Ausländerbauftragten bereits ein reger Informationsaustausch statt. Die taz sprach mit Anetta Kahane über ihr neues Ressort:
taz: Wie sehen Ihre Kompetenzen als Ausländerbeauftragte des Magistrats aus?
Kahane: Die sind in etwa denen der Ausländerbeauftragten der DDR, Almuth Berger, vergleichbar. Das heißt: Vetorecht bei Abschiebungen, Mitspracherecht bei allen Landesverordnungen, die die Belange von AusländerInnen angehen. Ich soll dem Amt des Oberbürgermeisters zugeordnet werden. Ich werde also ressortübergreifend arbeiten und nicht, wie in West-Berlin, der Verwaltung für Gesundheit und Soziales unterstellt sein. Das ist übrigens eines meiner ersten Ziele, dass diese Kompetenzen bei einer Vereinigung der Stadt auch von West-Berlin übernommen werden. Warum soll der Westen nicht auch mal was vom Osten lernen?
In Ihrem vorläufigen Arbeitskonzept für die Ausländerbeauftragte in Ost-Berlin heißt es, eine wichtige Säule der Arbeit sei auch die Begleitung der Inländer bei dem schwer zu verkraftenden Prozess der Öffnung der Stadt. Warum macht sich eine Ausländerbeauftragte soviel Gedanken um die Inländer?
Inländer müssen begleitet werden, weil sie keinerlei Erfahrung haben, was es heißt, mit Ausländern zusammenzuleben. Bei dem Druck, unter dem die Leute hier stehen, haben sich so viele Aggressionen hier angestaut, dass sich das auf jeden Fall gegenüber den Ausländern entlädt. Der Boden, auf dem wir uns hier bewegen, ist ausländerfeindlich. Zumal dieses Nationalgefühl, was ja erst mal noch nichts Nationalistisches sein muss, in den letzten vierzig Jahren immer nur in Form von Frustration empfunden worden ist. Man durfte ja gar keines haben - und das rächt sich jetzt bitter. Antifaschismus und Internationalismus waren Pflicht, aber der heikle Punkt in allen sozialistischen Ländern, die nationale Identität, blieb tabuisiert. Bei uns ganz besonders, weil wir ja geteilt waren. Das bricht jetzt alles auf und ist gemischt mit sozialen Ängsten und einem kulturellen Vakuum. Man kann eigentlich nur versuchen, das mit enorm viel Öffentlichkeits- und Kulturarbeit und enorm viel Verständnis auch für die Deutschen abzufedern.
Wenn man sich die aktuellen Berichte über Überfälle auf Ausländerwohnheime ansieht, kommt einem erst mal nur der Gedanke: Wie kann man diese Menschen im Moment schützen?
Zum einen müssen wir über Bedrohungen und ausländerfeindliche Aktivitäten möglichst gut informiert sein, also auch die Betroffenen dazu bewegen, uns davon zu berichten; zum anderen gibt es im Präsidium der Volkspolizei eine Abteilung Extremismusbekämpfung, die auch ein Nottelefon haben. Mit denen werden wir eng zusammenarbeiten. Der VP und allen zuständigen Organen müssen wir immer wieder auf die Nerven gehen, damit die Leute ausreichend geschützt werden.
Im Bundesrat wird voraussichtlich am 11. Mai endgültig das neue Ausländergesetz verabschiedet, über dessen repressiven Charakter mittlerweile viel gesagt worden ist. Befürchten Sie, dass Ihnen das Gesetz eines Tages übergestülpt wird?
Wir werden dagegen tun, was wir können. Es ist ein Unding, dass dieses Gesetz verabschiedet worden ist, obwohl so viele neue Tatsachen geschaffen worden sind. Wir werden als DDR mit den spezifischen Problemen für AusländerInnen überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Das wird einfach durchgezogen. Das zeigt uns wieder einmal, wie das Kräfteverhältnis wirklich ist.
Gespräch: Andrea Böhm
aus: taz, berlin lokal, 10.05.1990